Burghart Schmidt: Krakau - Krakau. Ein bedenkenswertes "Vice Versa" in Namensspiegelung. 1999 Die Kunst steht heute in minimalisierenden Tendenzen. Das ist, vorsichtig gesagt, nicht ganz mit dem Minimalismus zu verwechseln. Der konnte es bei minimalisierender Materialwahl zu ganz schön aufwendigen Objekten bringen, die sich ins Unübersehbare stellten und bisweilen auch monumentalen Charakter gewannen. Hier ist mit dem Minimalisieren das Entdeckerische in Hinblick auf das Kleine, das Nebenbei gemeint, das sich in der leichten Übersehbarkeit so rührt wie tummelt für die sich schärfenden Blicke. Schließlich ist das Zeitalter des Gewichts der "feinen Unterschiede" ausgebrochen, wie Pierre Bourdieu meint. Während das Zeitalter der großen Haupt- und Staatsaktionen, der großen Gesten, der "großen Geschichten" (Jean François Lyotard) ausgelaufen scheint. Den großen Gestus holen nur noch die Disney-Länder der Unterhaltungsindustrie ein durch Simulation von allem und jedem. Gertrude Moser-Wagner und Beverly Piersol haben zwei Krakaus, aus anderen Ansichten als den üblichen, entdeckt, die bei Namensgleichheit verschiedener nicht denkbar sind. Das eine Krakau zeigt sich als ein alpines Dorf in der Steiermark, genauer im Übergang von dessen Murtal zum Lungau auf ungefähr 1000 m Höhe, das andere liegt als große Stadt und geschichtliche Metropole in unterem Land Südpolens gleich bei den Industriegebieten Kattowitzes. Das eine ist gerade eben der völligen Zerstörung durch die Schlachtfelder deutschen Überfalls auf Osteuropa entkommen mit nächster Nachbarschaft zu den wüstesten und quälerischsten Vernichtungslagern deutscher Tötungs- und Mordindustrie, das andere hat sich immer inmitten der "Alpenfestung" dahingehangelt ohne Bomben aus heiterem Himmel. Nur die Namensgleichheit erinnert daran, daß es in Vorzeiten auch mitten in den Alpen zu rabiaten wirtschaftlichen Verdrängungskämpfen gekommen war, denen militärisch nachgeholfen wurde. Erst spät kamen die germanischsprachigen Bayern in diese Gegend, so spät, daß sie den Ortsnamen der Vertriebenen, den der Slawen nach den abgewanderten Kelten, ließen. Sonst haben beide Gemeinden nur noch eines gemeinsam, Anziehungspunkt für Tourismus zu sein. Doch hier klafft schon wieder der Unterschied auf, diesmal der zwischen Städtetourismus und Berglandtourismus, aber auch noch der zwischen eingefahrenem Westtourismus der Hochgebirgsreize und dem Erschließungstourismus nach Osten, der an den Grand-Hotel-Tourismus eines Starkults für "Sehenswürdigkeiten" aus dem 19.Jahrhundert anzuknüpfen vorgibt: Endlich wieder .....! Dem gegenüber das "Immer schon gehabt ..., und trotzdem noch schön". Doch der Kontrast ist nicht die eigentliche Entdeckung der Künstlerinnen. Der würde ja auch in seiner Krassheit dem Minimalisierungskonzept widersprechen. Es geht ihnen vielmehr um feine Unterschnitte unter die touristische Oberfläche der Hauptattraktionen im Starkult. Und da tauchen plötzlich Übereinstimmungen und Verwandtschaften auf, an die man gar nicht mehr geglaubt hätte. Wieder geht es um Namen als Programmworte. St. Benedikt spielt da eine Rolle, einmal sekundär und einmal primär. Beginnen wir mit dem Sekundären. Beverly Piersol suchte Krakaudorf am Rand zum Lungau auf und fand zu der Zeit der Aufsuche das Dorf, das die Film- und Statistenkulisse hergegeben hatte für die Serie des Titels "Die Leute von St. Benedikt". Das, ein St. Benedikt, war Krakaudorf zuvor nicht gewesen, Krakaudorf war erheblich aufgetrieben worden und durchgerührt für die Verwandlung zu "St. Benedikt", wenn diese selbstverständlich auch ganz vorübergehend gedacht war. Erst wurden die Leute aus ihrem Krakaudorf vertrieben, dann wiederum aus der Montage- und Filmklappen-Idylle des St. Benedikt in ihr Krakaudorf zurück. Diesen Heraus- und Hereinfall versucht Piersol zunächst zu verdeutlichen mit Serialisierung von Standphotos der Dorfstatisten aus dem Film. Das wurde verwandelt zur Siebdruckserie. Aber in ihrem Aufenthalt vor Ort schaffte sie weiteres Material an für weitere Darstellungspotentiale zur neuerlichen Vertreibung der Leute aus der Filmidylle in ihr altes Dorf, das nun nicht mehr ihr altes war; jetzt war es zerfressen von den Spekulationen auf tourismuswirtschaftlichen Aufschwung, ja Boom als Drehort einer von vielen begeistert verfolgten Fernsehserie, der so, wie er erträumt ward, ausbleiben mußte. Erst die Verillusionierung zu Traumfabrik, dann die Verillusionierung zu nachträglich nachhaltiger wirtschaftlicher Sonderstellung. Enttäuschung, Enttäuschung, Enttäuschung .... aus lauter "Fall ins Jetzt" (Ernst Bloch). Das den Zustandswechsel einende Zwischenspiel von Illusion und Desillusion mit den zwischengeschalteten Kälteschocks wollte Piersol wohl symbolisieren durch den Grundton Blau der Photoreihungen oder Photokonfrontierungen beim Übertrag in die Siebdruckserie. Auf jeden Fall erreicht sie mit dem Konstruktiven ihrer Siebdruckserie eine Zeitraumstrukturierung des psychischen Ausdrucks, der ihren früheren Zeitrauminstallationen keineswegs ganz fremd sich zeigt. Nur, daß sich Solches hier eingelassen hat auf konkrete Gehalte aus gleichsam alltagsgeschichtlichen Ereignissen, wozu vorher nur die Struktur gefunden war aus der eigenen Alltagsgeschichte der Künstlerin. Gertrude Moser-Wagner findet, um zum Primären zu kommen, in Krakau-Stadt, gleichsam altvorortlich, eine St. Benedikt - Straße, die ihren Namen von einem Klosterstandort seit langem hat. Bürgerliche Gründerzeit - Architekturzeile, von der Moser-Wagner zunächst Photos der Einzelhäuser macht als Grundlage späterer Siebdrucke. Dann macht sie sich an Interviews, um die Alltagsgeschichte dieser Häuser zu ermitteln, die von der Fassade her bürgerliche Häuslichkeit ausstrahlen. Aber es blieb hier nicht lange bei der Alltagsgeschichte. Oder vielmehr die gegenwärtigen Ängste der Alltagsgeschichte spiegelten sich bald in den Ängsten einer Erinnerung an heiße Geschichte jüngster Vergangenheit: Von den Deutschen veranlasste arisierende Vertreibungsprozesse, Zwangseinsiedlungen und jetzt wieder vielleicht wirtschaftlich erzwungene Vertreibung durch die Ostblockwende. Die Alltagsangst mischt alles ineinander, erfuhr die Künstlerin in ihren Interviews. Nur die Gegenwartsängste, die sie erfuhr, könnten etwas mit den Vertreibungsängsten in Krakaudorf zu tun haben. Doch die Krakaudörfler blieben ja und blieben, bleiben und werden bleiben. Während die St. Benediktiner aus Krakau - Stadt wirkliche, nämlich sozialökonomische Vertreibung befürchten müssen. Auch mit dem scheinbar einenden St. Benedikt - Motiv muß man in metaphorisierenden Bewegungen vorsichtig umgehen. Zwar paßt St. Benedikt als religionsgeschichtliche Metapher recht gut zu den minimalisierenden Tendenzen der Künstlerinnen. Schließlich war spätantik um 530 Benedikt von Nursia gleichsam in der zu seiner Zeit von ihm vorgefundenen religiösen Atmosphäre eine Art Lehrer "neuer Bescheidenheit" , seinesfalls der Religion, was mit einer "neuen Bescheidenheit" der Künste in metaphorischem Spiegelverhältnis zu stehen vermöchte, wie die Künstlerinnen es primär und sekundär entdeckten, durch ihre Feinschnitte unter die Oberfläche. Auch das Vertreibungsmotiv klingt mit an im Benedikt von Nursia. Doch dann eben nur in einer Umkehr sondergleichen. Benedikt von Nursia ist der Urvater aller freiwilligen Aussteiger gewesen und dazu noch einer jener ganz kleinen Gruppe von freiwilligen Aussteigern, die ihren freiwilligen Ausstieg wohlgepolstert betrieben. Das ist nun das allerschärfste Gegenteil zu den Mühsalen und Beladenheiten der in den Ausstieg Gehetzten. Man darf aber gegenüber Kunst niemals metaphorisch pressen, man verlöre sonst deren Einsichtgewinne. Nämlich etwa den, den die Feinschnitte von Gertrude Moser-Wagner und Beverly Piersol zu solchen Überlegungen veranlassen. Eine Metapher will kein Argument sein, auch wenn sie sich einer Entdeckung der Realität verdankt, sie will nur Überlegsamkeit anstoßen. Und das gelingt den Künstlerinnen in ihrem Projekt "Vice versa", den Siebdruck-Parallalisierungen. Im Verfolgen des Projektiven an diesem Projekt schauen einen die übersetzerischen Siebdruck - Resultate der Photos von jener Häuserzeile in Gertrude Moser-Wagners entdeckerischer Auswahl aus Krakau - Stadt so an wie die beschädigten Gesichter aus einem beschädigten Leben, selbst wenn die Konfrontation mit den Interviews fehlen würde, die wiederum den Moser- Wagner eigenen Konzeptualismus vom Ganzen des künstlerischen Prozesses her eintragen. Der Eindruck des Beschädigtseins, ohnehin Resultante der Nichtrenoviertheit der Krakauer Häuser, wird verstärkt, soweit das die Siebdrucke betrifft, durch das Auftauchen der Hausgesichter unter archivalischen Notierungen darüber auf den Siebdruckblättern. Archivalisches gemahnt immer an Fragmentarik, Beschädigung, Verletzung. Dazu bedarf es nicht des Inhalts der Notizen. Und darin zeigt solches Verwandtschaft zu den beschädigten Gesichtern eines beschädigten Lebens aus Piersols Erfahrungen mit Krakaudorf. Soviel ist sicher und viel. Zudem soll das Projekt nun weitergehen. Die "Siebdruckparallelisierungen" waren nur ein künstlerisches Zwischenstadium, das in den Künstlerinnen jene Vorsichten und Bedenken erweckten, die hier angesprochen sind. Auch Piersol hat Interviews gemacht vor Ort bei ihrer künstlerischen Tätigkeit. Das Projekt liegt in vollen Zügen seines Experimentierens. Irgend ein Stadium wird das nächste sein, unabschließbar. Zwischen Ad-hoc- Literarischem und Bildnerischem aus lauter Verfahrensübersetzungen wird sich in Kleinstkonfrontationen, wie sie jetzt schon angesetzt sind, das Komplexe des Minimalen zu zeigen beginnen, welches sich der Vermischung in eine achselzuckende Neutralität nachhaltig entziehen will. Das Unterscheiden wird erregt, nicht eingeschläfert. Es geht wachsend um die "feinen Unterschiede".