Burghart Schmidt: Das Verschwinden in Vorhang, Dichtung, Kabel, über die Künstlerinnen Gertrude Moser-Wagner (sottopassaggio), Karin Harather (der Vorhang als Vorwand) und Isabella Hollauf (Dichtungen) In: Die Brücke, Kärntner Kulturzeitschrift 1/1992 Eröffnungsrede zu: Gertrude Moser-Wagner, Karin Harather, Isabella Hollauf. Künstlerhaus Klagenfurt 1991. ... Keinem, dem Sie begegnen, begegnen Sie ohne ein Dazwischen von Vorhängen, Dichtungen, Kabeln. Nichts, dem Sie begegnen, begegnet Ihnen in anderer Form als doch der Getrenntheit durch Kabel, Dichtungen, Vorhänge. Und eben dann das ganze Kommunikationssystem über Kabel und Funk, worauf die Arbeit von Gertrude Moser-Wagner anspielt mit einem sottopassaggio, dem Unterirdischen, was auch das Überirdische sein könnte, eine menschgemachte, materiale Transzendenz in diesseitig immaterieller Funktion. Negativität, Situationalität, Dazwischen, das sind die Motive dessen, was man heute behandelt, etwa von Paul Virilio her, als Ästhetik des Beschleunigens oder Verschwindens. Das entspricht unserer realen Lebenssituation. Wir können natürlich sagen, wenn uns vielleicht nicht gefiele, in dieser Negativität des Dazwischen leben zu müssen, das wollten wir darum auch nicht vor Augen geführt bekommen. Aber die Kunst hat immer wieder den Versuch zu machen, Erfahrungen ins Bewusstsein zu tragen und sei es durch den Gesichtspunkt der Inszenation. Die Inszenation möchte im Rahmen einer Ästhetik des Beschleunigens, des Dazwischens der Situation sich selber in eine Provisorialität bringen, in ein Verschwindenkönnen eines sich Wegwerfenwollens. Auch heute etwa im architektonischen Bereich, der so viele Verlegenheiten seit Jahrzehnten vor sich hat, spricht man ja davon, dass man eventuell arbeiten solle in einer Wegwerfästhetik: das heiát mit einer Wegwerfarchitektur, die nicht Jahrzehnte ihr provisorielles Unternehmen den Leuten aufzwingt, sondern abgelegt werden kann, wie wir von Modewelle zu Modewelle unsere Kleidung ablegen. Ein Motiv dieser Art hat aus früheren Arbeiten Gertrude Moser-Wagner im Nachbarraum vorzuführen. Mit einer Serie von Dias, denen es um das Vergraben einer Telefonzelle alten Typs vor dem technischen Museum Wien geht. Da wird das Verschwinden des Objekts inszeniert und demonstriert, obwohl natürlich, wie das so ist in der Ordnung der Gesellschaft, die Telefonzelle dort nicht bleiben durfte, wohin die Künstlerin sie geschafft hatte, sie musste wieder ausgegraben werden. Das passiert in der Kunst oft. Ich höre immer wieder von Theaterleuten: unsere besten Ideen werden von Feuerschutzbestimmungen kaputt gemacht. So das Geschehen mit der alten Telefonzelle. Aber im Sinne einer sophistischen Scharfsinnigkeit geht das, was Gertrude Moser-Wagner demonstriert, noch etwa einen Schritt weiter in einer Tafel, die Ihnen Fotos vorträgt, Fotos auf denen sie erst einmal die Fahrdrähte der Eisenbahn sehen. Das ist wieder ein Negativ. Fahrdrähte sind ja nicht um ihrer selbst willen da, sondern für das Fortbewegen der Eisenbahnen. Dazu kommt noch Moser-Wagners Zufallsbegegnungen mit Stationsschildern in Italien wie Indicatore. Was soll ein solches Stationsschild noch ankündigen als sich selber: Indicatore - Anzeiger. Anzeiger des Anzeigers des Anzeigers. Negative Ästhetik eines Verschwindens in dem, was der Künstler inszeniert und darstellt. Ästhetik des Verschwindens in beschleunigter Zeit, ein Grundmotiv, das die so verschiedenen Ausgestelltheiten hier vereint. Man kann Ihnen versprechen, wenn diese Ausstellung geschlossen wird, indem sie ihr Ende erreicht hat, dann verlangt die Post das Ihre als Recyclingmaterial zurück, mit dem vielen Kupfer darin. Künstler stehen heute allerdings vor eigentümlichen Problemen, wenn man einem Bogen der Ästhetik des Verschwindens folgt: eines nennt man in dem Europa verbindlichen Englisch non-existence-art, aber doch auf ganz andere Weise, als das, was hier demonstriert wird. Denn, wie ich von Künstlern der genannten Richtung hörte, geht es ihnen darum, Gegenstände so zu inszenieren, dass man sie als Kunst nicht mehr entdecken und auffassen kann. Ich glaube, das ist ein Experiment, das sehr wohl notwendig sich anbietet, aber nicht weiter fortlaufen kann. Während etwa Gertrude Moser- Wagner vor dem Problem stand: sie nimmt in der Art eines ready made für Recycling vorbereitete Reststücke einer Kabelage und nun merkt sie, wie sie das inszenieren will erkennbar als eine Kunstausstellung, es kämen zu viele ästhetische Qualitäten plötzlich zum Vorschein, die das Kabel nicht an sich hat, wenn es durch die Erde gezogen ist. Irgendwie will sie doch die Kabelage als Kabelage ebenso bringen und daher macht sie das Aufhäufen in den Transportkästen, sodass Sie einen Eindruck von der Alltäglichkeit des Kabels vielleicht auch noch bekommen können. Solchen Sinns bemüht sich Moser-Wagner, den Versuch weiter voranzutreiben aus der Inszenation in ein allmähliches Verschwinden der Inszenation. Und ich glaube, dieses allein kann die Kunst nur leisten in der Selbstverleugnung, sonst gerät sie in die gröáte Heuchelei. Ich hoffe, Ihnen ein wenig geholfen zu haben im Hinblick auf den Umgang mit den Objekten. Dazu noch eines: Sie werden, wenn Sie hier wiederholt herumgehen merken, wie Sie vom Unterirdischen her durch ihre Füáe Stimmen hervorrufen. Sie haben sie die ganze Zeit im Hintergrund reden hören, diese Stimmen. Diese Stimmen aus dem unsichtbaren Dazwischen, aus dem Unterirdischen sind nicht bezugslos zu dem, was Sie erfahren im Raumwechsel ... Burghart Schmidt, Dr. phil. habil., Professor für Sprache und Ästhetik an der Hochschule für Gestaltung Offenbach.a.M.