Ralf Christofori: Malerei als Entertainment Gekürzte Fassung einer Rede über Gabriele Steidinger "Die Unterscheidung zwischen High und Low ist irrelevant geworden für viele jüngere Künstlerinnen und Künstler, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil alle Kunstformen sich mittlerweile mit einem neuen und allgegenwärtigen Bezugspunkt auseinandersetzen müssen: mit dem Entertainment. (...) Wenn das tatsächlich der Fall ist, dann bedeutet das, daß sich die Malerei ebenfalls an eine neue Betrachtungsweise gewöhnen muß. Als Entertainment kann ein Gemälde sich nicht länger auf dem Privileg intensiver Aufmerksamkeit ausruhen, sondern muß sich von der Peripherie aus in das Bewußtsein einer Betrachterin herantasten. Ja mehr noch: es könnte zu einer Notwendigkeit werden, auf diese Weise funktionieren zu müssen." Carmine Iannaccone. Entertainment Complex. In: Frieze, Nov./Dec. 1999, 88 Entertainment also. Unterhaltung, Ablenkung, Belustigung, wenn man dem Wörterbuch glauben darf. Geradezu niederträchtig, wer der neuen ernsthaften Malerei mit solcherlei Unterstellungen begegnet. Da hat nun die Kunst und auch die Malerei über Jahrzehnte dafür gekämpft, als ernst zu nehmende kritische Instanz innerhalb einer zunehmend verdumpfenden Gesellschaft zu operieren - und dann sowas. Malerei als Teil einer affirmativen Unterhaltungskultur, Postkonzeptualismus (als hätten wir alle schlagartig dem Denken abgeschworen), nur noch Delikatessen, Petitessen, Hostessen, die uns ins pure Vergnügen führen. Die Kunstlandschaft trägt nun also auch ihr Schärflein bei zum kollektiven Freizeitpark, Geschichtsbewußtsein läßt sich nur noch als Retro-Nostalgie ertragen, Kitsch wird Kult und umgekehrt. Wie gesagt: niederträchtig, wer der neuen Malerei in solcherlei Kategorien begegnet. Oder etwa nicht? Schändlich, wer diese Kategorien auch noch willfährig bedient. Oder etwa nicht? Ja, sicher. Nachdem wir das Denken abgelegt haben, kann man vielleicht nur noch in diesen Kategorien malen. Und das ist weitaus schlimmer. Oder etwa nicht? Wir haben es bei Gabriele Steidinger mit einer Malerin zu tun, die in diesen Kategorien malt - und trotzdem denkt. Ihre Bilder beschwören tatkräftig eine Oberflächlichkeit, die sich ganz unbefangen, aber deshalb nicht weniger konsequent mit den genannten Phänomenen auseinandersetzt. Entertainment: Unterhaltung, Ablenkung, Belustigung. Da sind die Bildgrammatiken einer Unterhaltungsindustrie, die - von Werbung und Design über ‘Schöner Wohnen’ bis hin zu den weltweit aus dem Erdboden gestampften Themenparks - allesamt einen Lebensraum propagieren, bei dem das Künstliche als Inbegriff des authentischen Erlebens ins Spiel gebracht wird. Die suggestive Kanalisation vereinzelter Wünsche und Sehnsüchte in eine vorgegaukelte kollektive Authentizität gipfelt in einer Mentalität, die die Welt nur noch als Hülle und Verstellung vorstellt. In Gabriele Steidingers Landschaften grünt das Grün, wie es künstlicher nicht der Fall sein könnte. Ein Golfspieler trainiert völlig isoliert seine Abschläge, Schafe grasen auf der blanken, geradezu nährstofflosen Oberfläche, ein grünes Knäuel schwebt weltvergessen vor dem allzu blauen Himmel. Die in Leuchtfarben getauchten Szenerien versprühen nichts weniger als eine fröhliche Ablenkung. Hinter der inszenierten Attitüde ihrer Bilder verbirgt sich im Gegenteil die Tragik einer allgegenwärtigen Künstlichkeit. Und zwar nicht nur was die Motive anbelangt, sondern ebenso hinsichtlich des bildnerischen Prozesses selbst. Wer in Steidingers Blumenbildern noch immer den Schlager von den Tulpen aus Amsterdam zu hören meint, der jagt vergeblich einer kreatürlichen Nostalgie hinterher, die mittlerweile in Hollands Retorte entsteht und ein paar Tage später in Cellophan eingewickelt auf den Fußgängerzonen der westlichen Hemisphäre zu haben ist. Hinter dieser Form von Entertainment und Vergnügung bleibt die Tragik nicht lange verborgen. Gabriele Steidingers Bilder erzählen von dieser Tragik und auch von der Motivation der Künstlerin, sich genau dieser alltäglichen Ablenkung stellen, sich auf malerische Weise mit diesem Entertainment auseinandersetzen zu wollen. Aus einem echten Gefühl heraus - aber was ist schon echt?