Madeleine Schuppli: Christina Zurfluh. 1998 (Textauszüge aus: Das Kunst-Bulletin 9/1998) In der Abgeschiedenheit ihres Ateliers in Wien malt die Schweizer Künstlerin Christina Zurfluh hunderte von Kompositionen, die niemand je zu Gesicht bekommen wird. Kaum ist die Farbe getrocknet, wird sie mit einer nächsten Schicht übermalt. Bis zu fünfzig von ihren einfachen Bildern mit Streifen, Kreisen oder monochromen Oberflächen legt die Malerin übereinander. Eine letzte einfarbige Schicht schließt den besinnlichen Malprozess ab. Jetzt holt die Künstlerin zum befreienden Schlag aus und bearbeitet die Farboberfläche mit dem Hammer. Die zentimeterdicke Farbkruste bricht, ganze Stücke werden weggesprengt und die plane Bildoberfläche mutiert zur zerklüfteten Kraterlandschaft. Die tieferen Schichten werden fragmentarisch wieder sichtbar. Der Akt des Aufbrechens der Farbe oszilliert zwischen unkontrolliertem und kontrolliertem Handeln. Den Malprozess hat sie tagebuchartig festgehalten, so dass sie über die Unterwelt ihrer Bilder ganz genau Bescheid weiß und das Hervorholen von Verborgenem bedingt steuern kann. Der zerstörerische Akt nutzt Christina Zurfluh in der dritten Phase des Werkprozesses als kreatives Potential. Die entstandene Unordnung schafft Freiheit, vieles ist wieder offen, die Farbe ist nun zur plastischen Arbeitsmaterie geworden. Christina Zurfluh sammelt die weggesprengten Farbstücke auf und um sie auf die Bildfläche zurückzuführen. Die Brüche und Verletzungen in der Malschicht werden nicht ungeschehen gemacht, nichts wird geheilt oder restauriert. Die Farbstücke werden in einem spielerisch- bewussten Akt auf die Leinwand angeordnet sogar Farbtropfen vom Atelierboden finden (Wieder-)Verwendung. Modellierend komponiert Christine Zurfluh das Farbrelief. Am fertigen Objekt kann der taktilen Qualität der Oberfläche mit den Händen nachgespührt werden. Während Fontana die Verletzung der Leinwand zum Thema machte, beziehungsweise das Bild in die dritte Dimension öffnete, hat Richter in seinem abstrakten Werke auch in einem dreistufigen Prozess von Auftragen, Zerstören und Schichten gearbeitet. Auch auf der rein visuellen Ebene werden Christina Zurfluh's Werke körperlich wahrgenommen. Die Arbeiten sind Farbe, haben ein Gewicht das nicht nur physikalisch erlebbar ist. Die Bedeutung der Leinwand beschränkt sich darauf, dass sie den Ort des Werkes bezeichnet. Das Bild wird zum Objekt, der Bildraum zum Bildkörper. Es gibt kein Eindringen, sondern die Werke treten uns entgegen, strahlen aus mit einer irrilierender Präsenz und einer totalen Differenz von Innen und Außen, vom Bild und Umgebung. Natürlich hat sich Christina Zurfluh den unausweichlichen Fragen nach den malerischen Möglichkeiten in der zeitgenösssichen Kunstpraxis gestellt, nachdem das Ende des Mediums schon vielfach verkündet wurde. Ihre künstlerische ®Nische¯ hat sie nicht nur durch die eigene Technik gefunden. Ihre Werke nehmen auch in ihrer ästhetischen Erlebnishaftigkeit eine ganz eigene Position ein. Die Kleinteiligkeit die harten Farbkontraste deren Organisation zwischen Muster und Chaos pendelt, lassen das Auge mit enormer Schnelligkeit über die Oberfläche gleiten, das Sehvermögen bis an seine Grenzen fordernd.