Ulrike Lienbacher interviewt die Kunstkritikerin Johanna Hofleitner Ulrike Lienbacher: Ein Interview hat ja immer auch etwas mit Rollenbildern zu tun. Wie ist diese Umkehrung der Interview-Situation, diese Rollenverteilung "KünstlerIn befragt KritikerIn" für Dich - eben keinen Text schreiben zu müssen, aber auch nicht in der Rolle zu sein, der KünstlerIn etwas herauslocken zu müssen? Johanna Hofleitner: Zugegeben, es ist eine ungewöhnliche Rolle. Was mir an diesem deinen Konzept gefällt und weshalb ich dir zugesagt habe, ist daß du damit eingespielte Muster und Hierarchien über den Haufen schmeißt. Denn machen wir uns nichts vor: es sind Hierarchien, um die es hier geht. Als Kritikerin behältst du (hoffentlich) meistens die Kontrolle über den Text. Das ist ehrlich gestanden eine sonderbare Macht, die einem das System "Kunst" da zuspielt. Allerdings sehnt sich eben dieses System anscheinend zugleich auch nach der Macht des Kritikers. Für mich persönlich kann ich sagen, daß ich angesichts dieser Macht oft ein Unbehagen empfinde, obwohl ich zu meiner Rolle stehe und immer große Angst davor habe, daß meine Integrität verletzt oder preisgegeben werden könnte. UL: Hast Du manchmal das Gefühl, daß Du bei der Beurteilung und Einschätzung einer künstlerischen Arbeit und Position richtiger liegst als die KünstlerIn selbst? JH: Ja, manchmal schon. Das hat, denke ich, allerdings weniger mit meiner Rolle als Kritikerin im Besonderen als schlichtweg damit zu tun, daß ich als Außenstehende mehr Distanz zu einer Arbeit habe als der Künstler, der häufig viel zu sehr persönlich involviert ist. Es kommt aber auch vor, daß eine Arbeit einfach schlecht ist und daher das künstlerische Anliegen gar nicht rüberkommt. UL: Hast Du auch schon die Erfahrung gemacht, daß Du von KünstlerInnen selbst bei einem Gespräch von der Qualität der Arbeit und einer inhaltlichen Absicht überzeugt wurdest? JH: Sicher. Ich behaupte ja auch gar nicht, daß sich eine Arbeit von vornherein erklären muß. Allerdings bin ich überzeugt, daß sich die Qualität einer guten Arbeit von vornherein "ankündigt". Das ist wie in der Literatur: ein Text kann noch so verschlüsselt, rätselhaft, kryptisch sein - wenn ihm von vornherein die Poesie fehlt, ist er auch kein guter Text. Da erübrigt sich auch jede Erklärung. UL: Welche Begriffe fallen Dir zu meiner Arbeit ein? JH: Körper der Dinge, Ambivalenz, Unterbewußtes, Changieren, Verbergen, Doppeldeutigkeit, Irritation, Bezugssystem, Sehnsucht, Lust ... UL: Wenn man gleich die beiden ersten Begriffe "Körper der Dinge" und "Ambivalenz" nimmt, sehe ich hier zwei wichtige Aspekte meiner Arbeit: Da ist einerseits die Faszination für das Dingliche und für Objekte als Kristallisationspunkte gesellschaftlicher Wunschproduktion; andererseits aber gibt es auch eine gewisse Skepsis, ein Unbehagen, ein gebrochenes Verhältnis dazu. JH: Wenn du von Skepsis, Unbehagen und einem gebrochenen Verhältnis sprichst - ich denke dabei speziell an deine Zeichnungen, an denen du seit Mitte der Neunziger arbeitest -, dann halte ich dem aber auch entgegen: Gerade die Kunst ist eine Strategie, um dieser Wahrnehmung zu begegnen. Genauer: du formulierst, versprachlichst diese Wahrnehmung mit den Mitteln der Kunst. Damit tust du als Künstlerin einen wichtigen Schritt, um diese Überlegung nicht nur auf einer persönlichen Ebene zu verarbeiten (was Therapie wäre), sondern auch allgemein - öffentlich - zu reflektieren und zu thematisieren. UL: Eine starke persönliche Ebene oder ein therapeutischer Zugang ist wirklich nicht das, was ich beabsichtige. Ich vermeide biografische Ansätze, auch wenn die Zeichnungen sehr intim und persönlich wirken. Ich versuche Erfahrungen aufzugreifen, die eigentlich fast jeder in unserem Kulturkreis machen kann. - Ich möchte gern nochmals auf den von dir zuvor ins Treffen geführten Begriff "Bezugssystem" zurückkommen. JH: Nun, auf den ersten Blick scheint deine Arbeit dreigeteilt: da sind einmal die Zeichnungen, auf denen du zumeist mädchenhafte, vom Betrachter oft abgewandte Figuren fast nur umrißhaft darstellst. Dann die Objektinstallationen, die vordergründig auf den Konsumbereich verweisen. Und dann schließlich als drittes die Schwarzweißphotographien, in denen es immer um etwas bewußt Unbestimmtes, Vages und somit auch um Bilder als Projektionsflächen geht: egal ob es nun Berggipfel sind oder die neue Serie, bei der sich 10 Frauen und 10 Männer ein weißes Handtuch um den nackten Oberkörper spannen und ihre Gesichter im Bild nicht sichtbar und ihr Geschlecht nicht erkennbar ist. - In Wirklichkeit findet für mich aber zwischen allen diesen drei Feldern ein aktiver Dialog statt. Mit anderen Worten: jeder Bereich fokussiert einen bestimmten Aspekt der Arbeit ausführlicher als die anderen, insgesamt aber beziehen sich alle drei Bereiche geradezu systematisch aufeinander. UL: Für manche scheint meine Arbeit allerdings gerade deswegen auseinanderzuklaffen, was mir dann auch als Bruch ausgelegt wird. Und es bestehen ja wirklich formal-ästhetische Diskrepanzen zwischen den farbigen, seriell produzierten und makellos wirkenden Objekten, den figurativen Zeichnungen mit den etwas holprigen, gebrochenen Linien, die auch mit einer gewissen Fehlerhaftigkeit spielen und den Fotoarbeiten, hier speziell die neue Serie mit den von Wolken verhüllten Berggipfeln JH: Ich sehe darin keine Widersprüche, oder wenn, dann gibt es diese nur an der Oberfläche. Wie ich zuvor ausgeführt habe, hat diese vermeintliche Disparatheit deiner Arbeit für mich System. Sie macht die Spannungen und Ambivalenzen, die sich in jeder einzelnen deiner Arbeit finden, in der Zusammenschau erst sichtbar. So gesehen finde ich, daß die sogenannten Brüche für den Betrachter eigentlich eine Chance sind, um die Kontinuitäten zu erkennen. UL: Hast Du eine Vorliebe für eine Arbeit? JH: Schwierige Frage, da ich deine Arbeit in ihrer Gesamtheit sehr schätze. Ganz bestimmt aber sprechen mich deine Zeichnungen, egal ob sie nun kleinformatig oder großformatig sind, sehr an - auch auf einer Ebene, die über das Kritisch-Analytische und die Reflexion hinausgeht und viel mit Emotion zu tun hat ... wobei aber auch gesagt sein soll ist, daß letztendlich auch diese beiden nicht von einander zu trennen sind. UL: In dieser Situation der Regierungsbeteiligung der FPÖ bekommt die Frage des Politischen in der Kunst eine neue Aktualität. Welche Strategien siehst Du in der Kunst? JH: Das Problem hierzulande ist, daß es viele Künstler lange Zeit nicht für wichtig hielten, politisch zu sein. Auch das ist, wenn man will, eine politische Haltung. Jetzt spricht sich endlich herum, daß diese Bequemlichkeit wohl nicht ausreicht. Allerdings bin ich nicht der Meinung, daß der "politische Koeffizient" eines Kunstwerks der einzige Gradmesser für seine Qualität sein darf. Er kann es sein, muß es aber nicht sein.