Sabine B. Vogel: Carsten Nicolai aus Deutschland erhält "Goldene Nica" FAZ.NET 3. September 2001 Die Gewinner des diesjährigen Prix Ars Electronica stehen fest: der Deutsche Carsten Nicolai und sein slowenischer Marko Peljhan nahmen die "Goldene Nica" für ihre Installation "polar" entgegen. FAZ.NET nahm die nominierten Werke der interaktiven Kunst bereits zuvor unter die Lupe. "Bump" von der "association.creation" (A) zeigt die Videodokumentation einer früheren Ars Electronica: In Linz und Budapest standen lange Holzstege. Jeder Schritt auf die Bretter führte zu einer Bewegung der entsprechenden Latte in der anderen Stadt. "Hier ist es", laut Pressetext, "möglich geworden, die Welt nicht nur visuell, sondern auch körperhaft spürbar näher zu bringen". Von welcher Welt ist die Rede? Die der Stadt als Erlebnisraum? Von Gerüchen, Geräuschen, Pfaden und Menschen? Nein, die Welt der Technik - eine Welt, die sich den Brettbewegern kaum erschlossen haben wird. Elektronisches Insektensammel-Set Dieser belanglose, traurige Einsatz von Technik als pseudo-aktive Beteiligung gilt übrigens allgemein als Favorit für die "Goldene Nica". Fast poetisch präsentiert dagegen Haruki Nishijima (J) sein "Remain in Light". Auf die Besucher wartet ein "elektronisches Insektensammel-Set", um in der Stadt analoge Geräusche einzufangen. Mit hohem technischen Aufwand umgewandelt, schwirren diese immateriellen Daten jetzt als bunte und laute Lichtpunkte auf transparenten Tüchern im Raum. Die Technik trifft auch hier weder auf Wissenschaft noch Popkultur, aber sie verharrt nicht im Selbstzweck des reinen In-Bewegung-Versetzens, sondern findet ein wundersames Bild: die Stadt als Reservoir unsichtbarer analoger Daten, dargestellt als ein psychodelisches Universum von Glühwürmchen. Den umgekehrten Weg schlugen Carsten Nicolai und Marko Peljhan ein. "polar" ist eine unglaublich komplexe, in allen Details kaum zu referierende Installation, die in Linz leider nur als Dokumentation zu sehen ist. Jeweils zwei instruierte und hochtechnologisch ausgerüstete Besucher wurden in einen Raum voll mit Licht, Daten und Projektionen einer sich bewegenden Meeresoberfläche geschickt. Statt Meeresrauschen Hochfrequenzen Mit jedem Schritt veränderten sich Lichtmuster und Sound. Hier wird die poetische Erfahrung der bewegten Meeresoberfläche in eine technizistische Bildsprache übersetzt. Statt Meeresrauschen Hochfrequenzen, statt Wellen Computerlinien, statt Imaginationen Technik - die Konsequenz der Medienkunst? So krass muß die Konsequenz sicher nicht ausfallen, denn "polaris" zeigt einen Ausweg: die wissenschaftliche, das heisst abstrakt-immaterielle Sichtweise auf Wirklichkeit, wird in ein abwechslungsreich-intensives Erlebnis transformiert. Nur das dieses Werk leider bei einem Transport zerstört wurde. Die zeitgenössische Kunst ist ein Universum der Grenzfälle mit starker Tendenz, sich alle Materialien, interessanten Diskurse und Phänomene einzuverleiben. Im Mix von unbelasteter Neugierde und fröhlicher Respektlosigkeit allem Autoritären gegenüber liegt ihre Stärke und ihre kulturelle Bedeutung. Ein "Takeover" durch die Medienkunst ist nirgendwo abzusehen. Dafür bedarf es entschieden mehr als der Behauptung, wichtigen Entwicklungen nahe zu sein.