PRESSEINFORMATION zur Ausstellungseröffnung von ERWIN BOHATSCH Eröffnung: Donnerstag, 22. November 2001 von 18 - 22.00 Uhr Gleichzeitiger Eröffnungstermin mit allen Innenstadt Galerien! Dauer der Ausstellung: 23. November bis 2. März 2002 Erwin Bohatsch, geboren 1951 in Mürzzuschlag, Steiermark, studierte an der Akademie der Bildenden Künste in Wien, erhielt 1983 den Otto Mauer Preis und 1996 den Preis der Stadt der Wien. 1999: Einzelausstellung im Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien. Zu seinen Arbeiten ein Auszug aus: Eine Art Energiefeld von Michael Lüthy »Es ist ein fließender Prozeß.« Wenden wir uns nun Bohatschs Bildern zu, so sehen wir, daß deren Tendenz zu einer größtmöglichen Offenheit tatsächlich nicht zu übersehen ist. Die Bilder entstehen in einem langsamen Prozeß des Übereinanderlegens schleierartiger Farbschichten, die zuweilen fast nur aus transparentem Bindemittel unter sparsamster Beimischung von Pigmenten bestehen. Die Leinwand schimmert an manchen Stellen durch und bestimmt mit ihrer Farbigkeit und Textur die Erscheinungsweise des Bildes mit. Strukturen bilden sich im Laufe dieser Schichtung nur allmählich heraus. Sie entstehen nicht durch das Ziehen von konturierenden Linien, sondern durch die feinen Kontraste, die sich zwischen den Schichten abzeichnen. Da diese ausschließlich horizontal und vertikal verlaufen, erinnern die entstehenden Strukturen zuweilen an Architektonisches. Doch sie verfestigen sich nicht. Sie gerinnen nie zur definiten Form, die sich aus dem Bildzusammenhang herauslösen ließe. Die Bildstruktur bleibt auf diese Weise das »Energiefeld«, von dem Bohatsch spricht. Unter anderem liegt dies an Inversionseffekten, die Bohatschs Malverfahren hervorruft. Sie lassen tieferliegende Malschichten optisch vor ihrer Umgebung erscheinen, sodaß Faktum und Wirkung, Sein und Erscheinen auseinandertreten und eine eindeutige Raumstaffelung sich nicht herauszukristallisieren vermag. Außerdem reagieren die Bilder mit ihren zahlreichen Lasuren und den unterschiedlich reflektierenden oder absorbierenden Bindemitteln intensiv auf das Raumlicht, das auf sie trifft. Dasselbe gilt für die Position des Betrachters. Verändert sich das Licht oder wechselt der Betrachter seine Position, dann wandelt sich auch das Bild. Die häufig zu bemerkenden Horizontal-Vertikal-Strukturen beziehen sich auf das Bildformat und tendieren zugleich zu dessen Überschreitung. Das hängt zusammen mit Bohatschs Entscheidung, die Bildmitte meist offenzuhalten und somit eine Zentrierung zu vermeiden. Die Bildränder werden zu Grenzen im dialektischen Sinne. Sie trennen Bild und Umraum und verbinden sie zugleich. So entwickeln sich auch die intensiven Wechselwirkungen, die Bohatschs Bilder, sobald sich mehrere im selben Raum befinden, zu einem offenen Ganzen zusammenschließen, in dem jedes Bild seine Autonomie bewahrt und dennoch zum Teil eines Ensembles wird. Der fließende Übergang von einem Nebeneinander von Einzelbildern zur Rauminstallation, den wir als Aspekt der Serialität schon bei Monet feststellten, kehrt hier wieder. Bohatsch erkundet den Punkt größtmöglicher Verdichtung dessen, was ein Bild ist. Das bedeutet zuweilen einen Rückgang auf ein Mindestmaß an farblichem und stofflichem Einsatz. Tatsächlich genügt im Grunde ein einziger Kontrast, und sei er auch ganz leise, um unser Sehen zu aktivieren und das Bild entstehen zu lassen. Denn er genügt, um Fläche und Tiefe, Stoff und Form, Faktum und Wirkung gegeneinander auszuspielen. Voraussetzung dafür ist jedoch, daß der Kontrast kein stabiles Verhältnis ausbildet – als Verhältnis von Figur und Grund, Vorne und Hinten, Malgrund und »Daraufgemaltem«, etc. –, sondern eine Diskontinuität setzt, die nicht aufzuheben ist. Das Bild ist dann nicht das Abbild einer Diskontinuität, die es bloß zeigte, sondern es ist diese Diskontinuität. Damit fällt dem Betrachter die Rolle zu, das Bild zu strukturieren und die kontrastierenden Elemente zueinander in ein Verhältnis zu setzen. Er begreift dann z. B. eine Bildschicht als tieferliegend als eine andere oder faßt eine Horizontal-Vertikal-Beziehung als Gebautes auf. Doch indem sich kein Verhältnis und keine gegenständliche Assoziation stabilisieren lassen, erweist sich sogar ein derart elementares Bild als unausschöpfliches Möglichkeitsfeld. Es zeigt sich als komplexe Interaktion von Elementen, die nicht auf ein vorhersehbares oder notwendiges Ergebnis zuläuft, das die Interaktion beendet und die Diskontinuität aufhebt. Dabei ist allerdings keinerlei Beliebigkeit im Spiel. Auf der einen Seite muß der Künstler das Verhältnis von Offenheit und Geschlossenheit genauestens strukturieren. Gerade für Kunstwerke, die auf Offenheit zielen, gilt, daß sie beim kleinsten Mißgriff die innere Spannung verlieren, von der sie abhängen. Entweder sind sie dann nur noch Diskontinuität und fallen auseinander, oder sie sind zu homogen und verkommen zur Dekoration. Auf der anderen Seite können wir als Betrachter im Bild nicht sehen, was wir wollen – so wie wir in Wandflecken oder Rorschachtests Ungeheuer oder liebliche Gesichter entdecken, die auf das Unbewußte unserer Subjektivität zu verweisen vermögen. Vielmehr wird unser strukturierendes Sehen durch die Strukturen des Bildes geleitet. Sie bestimmen die Möglichkeiten, die wir im Betrachten auszuschöpfen beginnen. Bevor das Bild ein Feld von zu treffenden Entscheidungen des Betrachters wird, etwas auf diese oder auf eine andere Weise aufzufassen, ist es bereits ein Feld getroffener Entscheidungen des Künstlers. Soweit der Betrachter in der Betrachtung gehen kann, der Künstler ist immer schon weitergegangen als er. Wenn wir uns in den Raumweiten von Bohatschs Bildern bewegen und die schwebende Ruhe dieser Bilder erfahren, dann hat sich eine komplexe Realität aufgebaut, in der der objektive Anteil des Bildes und der subjektive Anteil des Betrachters verschmelzen. Was wir als die Tiefe des Raumes, die Leichtigkeit der Farbschleier oder die Horizontal-Vertikal- Schichtung benennen, ist nicht einfach »im Bild«, sondern stellt das Ergebnis unseres strukturierenden Sehens dar. Die Interaktion der verschiedenen Bildelemente hat sich in unserer Auffassung zu einer bestimmten Konstellation gefügt. Das Bild bildet keine Realität ab, sondern wird zu einer, und zwar in dem Augenblick, in dem wir uns in ihm zu bewegen beginnen. Der Sinn von Bohatschs Bildern liegt damit weniger in dem, was sie darstellen, sondern im Apell an unser Strukturierungsvermögen. Ihr bildnerischer Sinn realisiert sich nicht als Ergebnis, als ein Zeigen von diesem oder jenem, sondern als Akt der Anschauung. Josef Albers hat in diesem Sinne davon gesprochen, Kunst »sei nicht darstellen, sondern vorstellen«. Damit ist zugleich die Pointe der »Offenheit« in der Kunst benannt. Ein offenes Kunstwerk versucht nicht, eine definite Bedeutung zu vermitteln, sondern Akte der Anschauung zu ermöglichen, in denen der objektive und der subjektive Anteil irreduzibel sind. Das offene Kunstwerk als epistemologische Metapher spricht von einer Welt, die weder chaotisch noch exakt bestimmt ist, sondern unserer beständigen Orientierung aufgegeben bleibt. Die Realität, von der sie handeln, ist weder von der Subjektseite des Individuums noch von der Objektseite der »Tatsachen« her allein zugänglich. Indem Bohatschs Bilder ein Möglichkeitsfeld eröffnen, appellieren sie an unsere Freiheit, in sie einzutreten. Darin liegt nicht nur ein ästhetischer, sondern auch ein moralischer Wert. Keine Seite, weder der Künstler noch der Betrachter, erschafft das, was »ist«, aus sich allein. Nur im Zusammenwirken beider Seiten entsteht das Werk. Da der Künstler durch die Offenheit seiner Bilder den substantiellen Anteil des Betrachters an der Realisierung des Bildes anerkennt, und da der Betrachter allein dadurch, daß er die Bilder betrachtet, die Autonomie des Malers anerkennt, ist das Bild, von welcher Seite man es nimmt, ein Akt gegenseitigen Vertrauens. Dieser Akt kann seine Zeitgemäßheit nicht verlieren. Von den Bildern, die uns informieren, bewegen oder überreden wollen, und deren laute Aktivität auf unsere rezeptive Passivität zielt, gibt es schon genug.