MIND THE GAP- eine Herausforderung an die Wahrnehmung Pauline Neubrunner Artefakte, auf sonderbare Weise ins Leben eingeschleust und mit diesem nach alter Kartenspielmanier vermischt, dies könnte als Grundtenor den beiden Künstlerinnen Christa Zauner und Michaela Göltl unterstellt werden. Mit ihrer, in drei Themenschwerpunkte unterteilten Fotoausstellung "mind the gap" warten sie dem Publikum mit einer besonderen Mischung auf: eine Melange, gebrüht aus bizarren Realitäten, ob im Zeit-Raumgefüge des Reisens ("mind the gap") und Da- Seins ("bionik - upside down") oder in den angedeuteten Übergangsprozessen von hoffentlich lebendigen Körperteilen in ihre kunstgeschaffenen Pendants aus Plastik ("Transformation"). Die beiden Künstlerinnen treiben ein neckisches Spiel mit unseren Sinnen. Sie betören unsere Wahrnehmung aber so liebevoll, dass es Spaß macht, in ihre Welt der VER stellten, VER schobenen und VER rückten Rahmenbedingungen zu schlüpfen und, wie ein Kind, das Staunen wieder zu erlernen. MIND THE GAP Gleich im ersten Abschnitt der Reise befinden wir uns auch schon mitten in der Welt des Phantastischen. Vielleicht tauchen da Erinnerungen an Fernsehzeiten in den Kindertagen auf, wo kurzfristig die Welt hinterm Bildschirm Prioritätscharakter besaß und wir es noch verstanden, schwerkraftenthoben, mitzureisen in die fernen Welten des kosmischen Raums. In Anlehnung an die Erinnerungen von damals öffnen die Künstlerinnen für uns und mit unseren Augen Fenster in die Welt da draußen. Herein schaut, was Science-Fiction - Regisseure sich in den vergangenen Jahrzehnten eben so ausgedacht haben: vorbeizischende Raumschiffe, Trabanten fremder Sonnensysteme, interstellare Nebelfetzen. Dass es das UFO als solches, im Stück, wirklich gibt, weiß man/frau spätestens nach einem Blick aus dem Zugfenster. Beruhigende Bilder, nach all dem reality-TV, das es täglich schafft, uns in das Theater der Grauslichkeiten dieses Planeten einzuweihen! Die beiden Installationstechnikerinnen verstehen es aber auch, den Blick umzudrehen. Ein Wechsel der Perspektive ist ja so gut wie immer ein Gewinn, öffnet auch im Kosmos des Kopfes neue Welten. Ist es nicht ohnehin der Dimensionswechsel, der uns gelegentlich abgeht? Würden wir unsere kleine, eng gefasste Sicht nicht öfter viel großzügiger bewerten, wenn wir sie mit xenoblastischen Wahrnehmungsapparaten erfassen könnten? Zum Beispiel mit denen eines Außerirdischen! Die beiden experimentell veranlagten Frauen machen sich diesen Spaß. Und plötzlich sind wir, kurzgeschlossen mit logistischen Fragestellungen eines Extraterrestriers, angehalten zur Überlegung, wie sich Raumschiffe wohl am sanftesten absetzen lassen auf von Kunstlicht durchfluteten, nächtlichen Gleisanlagen, die eigentlich nur für die wurmartige Fortbewegung im Nahverkehrsbedarf von Erdlingen konzipiert sind. Aber auch Kosmogalaxier gehen gelegentlich auf Sightseeing Tour und warum denn nicht auf den alten Planeten Erde! So ist der cool elegante Mr. Spock kurz mal vorbeigekommen, um sich an einem Provinzbahnhof des ehemaligen europäischen Ostens nach einer Sitzgelegenheit umzusehen. Indigniert wendet er den roten Ein-Stück-Plastikgüssen, die da seinen intergalaktischen Hintern beherbergen würden, den Rücken zu, Kolchosenschrott das, da hätte er doch lieber in der ersten Klasse der "Enterprise" bleiben sollen. Und ein etwas minder geschmeidiger Zeit- und Raumreisender, vielleicht ein wenig unterkühlt vom kosmischen Wind oder auch nur benommen vom berüchtigten Hintergrundrauschen, stellt die interstellare Harley kurz ins Eck, um sich ein echtes Budweiser aus der Bahnhofskantine zu gönnen. Manchen wird der Inspirations- und Entstehungsort der Arbeit, der grenznahe tschechische Bahnhof in Ceské Velenice, ein Begriff sein. Die Querverbindung zu einer vor wenigen Jahren kaum noch bereisbaren, tatsächlich irgendwie im Utopischen gelegenen Welt könnte sich dann durchaus in manchen Köpfen als Stimulans zur Thematik einstellen. Und doch gehört die Zeit, wo die Region scheinbar hinter den Brettern der noch betretbaren Welt lag, längst der Vergangenheit an. Also wer weiß, vielleicht trampen wir auch in einer gar nicht fernen Zukunft durch Zeit und Raum wie diese Intergalaktischen, die sich für diese witzige Installation der beiden visionären Frauen für einen kurzen Besuch auf der Erde gar nicht zu schade waren. TRANSFORMATION Erwachsene Menschenhaut, an Stellen, die wir nicht zu erblicken vermögen, in fleischfarbenes Polyvinylchlorid übergehend. Blasses, jedoch eben noch glaubhaft durchblutetes Zellgewebe spannt sich über eine leicht angewinkelte Knochen/Gelenksverbindung oder aber geht bereits über in die blank schimmernde, an Knorpelgewebe erinnernde Rundung eines weißen Plastiksackerls. Wenn Körper und KunstStoff ineinander überzugehen drohen, sind wir bereits längst herauskatapultiert aus der Science-Fiction-Welt und im richtigen Leben gelandet. Die Verwobenheit von Natur und Kunst im rein technischen, gezielt reproduzierbaren Sinn erscheint vielleicht immer noch als Novum, doch nicht so in der konservierenden Medizin, nicht so in der Kosmetikindustrie, nicht so in der ganz aktuellen und jungen Disziplin der Bionik. Letztere hat sich gar nichts Geringeres vorgenommen, als das Lebendige zu imitieren, so perfekt wie nur irgend möglich und zum Zweck, der seit jeher die Mittel heiligt: der Wirtschaft dienlich zu sein. Wenn Michaela Göltl in ihren "Transformationen" natürlich Gewachsenes und Kunststoff miteinander verquickt, könnte ihr Anliegen ein ebenfalls nicht Geringes sein: Längst schon darf, und warum nicht mit Mitteln der stilistischen Kunst, der philosophische Diskurs angeregt werden, wenn sich die Technik dem Produkt Mensch mit Riesenschritten annähert, zuerst noch hilfreich und mängelbehebend, doch vielleicht sogar bald ganz imperativ, Richtlinien vorgebend. Die Künstlerin greift diesen Prozessen vor. Mit ihren Installationen und der an sie knüpfbaren Aufforderungen gibt sie uns jede Menge Querverweise: Kunstorgane, Hautstücke, so perfekt, dass sie gar nicht mehr echt erscheinen oder eben Kunststoffe, als blutleere und seelenlose Entsprechungen unauffällig zwischen erstere geschoben wie Hautfetzen eines zum Schein lebendig gewordenen Golems. Behelf oder Ersatz? Assoziationen dürfen ausufern. Liebst Du mich oder die unter meine Haut implantierten Silikonhügel, Hydrogelpackungen, Sojaölzellen? Oder was eben sonst noch unter der ahnungslosen Oberhaut, deren altersbedingte Falten und Fältchen längst mit geschickter Laserschnittführung weggezaubert worden sind, Platz hat? Gehört diese streichelweiche Samthaut zu Dir oder ist sie das Ergebnis regelmäßig darunter injizierter, feuchtigkeitsspendender Hi-tech- Moleküle, synthetischer Hormonpackungen, schräg eingesetzter Bio-Kampfstoffe. Der Kampf gegen das biologische Programm von Zellen, vor allem wenn sie in menschlichen Zellverbänden leben, hat ja längst begonnen. Anatomischer Perfektionismus, auf die Spitze getrieben, Modellkurven, Modelleiber, Straffhäuter, das ist es, was unsere verwöhnten und abgefeimten Triebe noch erregt . Das tägliche Diktat der Werbung hat sich ganz schön breit gemacht. Verpackungsfrisch bis zum Tag des Ablebens, so wollen uns die Bodydesigner mit einer Vehemenz, der sich zu entziehen schon an politischen Widerstand grenzt. Denn wer sich heutzutage offen, was heißt ungeliftet, zu einem biblischen Alter jenseits von fünfunddreißig bekennt, wird demnächst hart mit der Anti Aging - Lobby im Clinch liegen. Ein wirklich tapferes Outing bringt nämlich längst nicht mehr hinter sich, wer, wie langweilig, öde, gähn, die eigene sexuelle Orientierung offen legt, sondern wer sich im Bezug auf die Anzahl an gesellschaftlich zumutbaren Gesichtsfalten keine Obergrenzen festsetzen lässt. "Verwesung ausgeschlossen, Fragezeichen" so könnte ein, zugegeben - grob vereinfachter - Untertitel der Bildserie auch lauten oder "Die schleichende Transformation des Planeten und seiner Bewohner zu Kunststoff". Die Frage taucht auf, ob Verwesungsprozessen, denen wir postmodernen, großteils sehr patriarchal gesteuerten Menschen so spinnefeind sind, nicht auch eine reinigende, klärende Kraft innewohnt. Was schließlich wird passieren mit all den Plastikzweithäuten, mitwachsenden, aufklebbaren Fingernägeln, Silikonbrustbergen - von Antimatschtomaten, die blöderweise durch keinen Magen- Darmtrakt entsorgt wurden, redet ja noch niemand. Wir werden womöglich, noch bevor wir es uns versehen, um das Recht auf natürliche Verrottung nach dem Ableben kämpfen müssen. Eine Installationsarbeit, die auch zum Denken anregt, vielleicht etwas abseits der vielbefahrenen Datenhighways des Gehirns, in den individueller gewachsenen Denkspuren, in den abgelegenen Seitengassen und idyllischen Plätzchen unserer doch weit verzweigten Neuronenbahnen. BIONIK - UPSIDE DOWN Und danach ist alles irgendwie anders. Man/Frau darf auf Portraits glotzen, denn im wahrsten Sinne wird hier erfahrungsgemäß geglotzt. Es lässt sich auf den ersten Blick einfach nicht sagen, was genau da verdreht ist. Die BesucherInnen der Ausstellung werden in dieser Serie mit Nahaufnahmen konfrontiert, großformatige Portraits, an denen irgendetwas nicht stimmt. Wir fragen uns bloß, was. Sogar die Künstlerin selbst taucht da auf, von seltsamen Umständen gezeichnet, ein Vifzack, wer sie überhaupt auf den ersten Blick erkannt hat. Denn sie scheint irgendwie verzerrt oder zumindest durch einen Zerrspiegel geschleust, einen der möglicherweise die wahre Herkunft von Personen offenlegt. Was im besonderen Fall die tiefe Mongolei nahelegen würde, paradox, Schärding -das weiß jedeR - liegt in Oberösterreich. Die Hände der abgebildeten Person umfassen in diesem Portrait den Nacken. Eine routinemäßige Dehnübung am Morgen, wenn die Leute dort in fernen Landen gerade aus ihrer Jurte aufbrechen, sich aufs Pferd schwingen, um ins Altai-Gebirge fortzureiten, auf der Suche nach Holz, Nahrung oder um dem alten Schamanen des Berges einen Besuch abzustatten. Üblicherweise gibt es bei jeder Geschichte einen oder viele Gesichtspunkte, die im Unbekannten liegen. Im Normalfall stört das niemanden, wir, abgerichtet von den Medien bis zum Haustierstatus, begnügen uns oft genug mit dem Fokus, der uns in verdauungsfreundlichen Einheiten vorgesetzt wird. Hier ist es aber gerade der Fokus, der mit Absicht irritiert, provoziert. Das scharfgestellte Objekt passt nicht in unseren Wahrnehmungsalltag, die Faszination der Bilder basiert auf ausgelagerten Gesetzmäßigkeiten. So etwas fordert heraus, Eindeutigkeit ist das Mindeste, das einem Primatenhirn geboten werden muss! Die Künstlerin hat unter der Hand, abseits der offiziellen Thematisierung, schon keck verlautbart, sie hätte den Menschen auf diesen Portraits kurz die Wurzel gezogen. Das ist ein interessanter Hinweis und imstande, das Geheimnis zu lüften. Nebenbei bemerkt, so schauen die auch aus: verdutzte Gesichter, selbst verdutzt, nicht nur die BetrachterInnen, so staunt zur Abwechslung auch mal das Objekt das Subjekt an, eine echte Seltenheit eigentlich, die/der Kunstsinnige wird selbst bestaunt von der eben bestaunten Kunst. Aber was ist wirklich los? Liquide Substanzen scheinen aufzusteigen in diesen Köpfen. Wir erinnern uns krampfhaft an den Biologieunterricht, wo wir alle einmal über die Umstände aufgeklärt wurden, welche vorliegen, wenn Körpersäfte sich just in kraniale Regionen versteigen wollen. Was ja hier der Fall ist. Da treten Venen hervor wie bei sonstwelchen Beschäftigungen von Arbeit über Rage und Obstipation bis Zerknirschung. Welches Ereignis ist es bloß, das diese Leute hier so exaltiert erscheinen lässt, aufgepumpt, geplustert, vielleicht explodieren die ja gleich, naheliegend die Versuchung, einen Schritt zurück zu treten, wären nicht auch die Details so faszinierend. Nasenflügel sind nach oben gerollt, Oberlippen mitunter ansatzweise gefletscht, Augen rot unterlaufen, Augenbrauen hochgezogen. Die Gesichter scheinen einheitlich in mysteriöses und selbstverzerrendes Staunen versetzt. Verwundert den Vergleich zu letztbeschriebenem Installationsschwerpunkt ziehend, darf man/frau sich getrost fragen, ob es solch hässliche Leute überhaupt noch geben darf. Die Künstlerin Christa Zauner hat ihre Objekte einfach auf den Kopf gestellt, umgedreht, verkehrt herum abgebildet. Nun ist der auf miefenden Turnsaalmatten eingeübte Kopfstand ja nicht jedermann/fraus Sache und, auch wenn in Ausnahmefällen geglückt, in den meisten Fällen doch schon eine Weile her. Ein Geheimnis bleibt also, wie sie das bloß angestellt hat! Doch die ganze Installation ist ja zur Kunst geronnener Aktionismus und entzieht sich so ohnehin geschickt dem empirischen Maßstab. Viel Spaß in der Welt der verqueren Wirklichkeiten!