Wien: Neuer Sender für urbanes Fernsehen F.E.Rakuschan 29.01.1999 TIV - True Image Vision Mit dem Startgeld aus Subventionsetats für die bildende Kunst entsteht in Wien ein Sender für urbanes Fernsehen. Ob Geisterfahrer oder Localplayer ist noch nicht entschieden. Vor-Geplänkel im Kunstraum Zeitgleich mit der Wiener Gemeinderatswahl 1996 fand ein für drei Tage anberaumtes Fernseh-Projekt unter dem Namen Lokal-TV statt. In einem Vorbericht der Stadtzeitung Falter (41/96, S. 77) wurde die Initiatorin Ariane Müller mit dem Ausspruch zitiert: "Wir rechnen mit heftigen Reaktionen." Gemessen an der faktischen Umsetzung der Idee ist jedoch zu hoffen, daß dieser Ausspruch nicht von einer übersteigerten Erwartungshaltung geleitet wurde, sondern bloß als PR-Gag für das angepeilte Publikumssegment gedacht war. Denn die Idee, die am Tage produzierten Beiträge abends in Lokalen (sic!) über zur Verfügung stehende Fernseher plus Videorecorder zu distribuieren, zeigt schon deutlich, daß das Lokal-TV-Konzept eher einer Logik der Kunst nahe ist als der Verfahrenslogik einer Medienanstalt. Dieser unübersehbare Unterschied ist zwar notwendig um, wie im Konzeptpapier zu lesen war: "dem ORF-Monopol... dem Politikbegriff, den das Fernsehen vermittelt, etwas entgegenzusetzen", reicht aber bloß für den Distinktionseffekt der Unternehmung im eigenen Feld der Kunst (Lokal-TV wurde von der damaligen Bundeskuratorin Stella Rollig mit ATS 20.000,- gefördert). So wie dieses Projekt nur von einem Teil eines spezifischen Szenepublikums überhaupt registriert wurde, war es auch folgerichtig, daß Lokal-TV in der hippen Kunstausstellung "Zonen der Ver-Störung" im Rahmen von Steirischer Herbst 97 landete. Der Anspruch auf "Aneignung von öffentlichem Raum", so im Konzeptpapier wörtlich, mußte sich vorrangig mit der Aneignung des Kunstraums zufriedengeben. Schlußendlich waren es dann die Hintergründe, die das Projekt vom Vorwurf der Naivität entlasteten. Denn Lokal-TV sollte nur das rotweißrote Kunstfeld im Hinblick auf personelle und finanzielle Ressourcen abchecken. Und zwar für das von H.C. Dany, S. Dillemuth und J. Zehrer ins Leben gerufene Fernsehprojekt UTV (s. bspw in: Erste Hilfe, Oktober 96). Auch wenn dieses Projekt als ein sich finanziell selbst tragender Fernsehsender m. E. schlüssig zu vermitteln ist, konnten die Konzeptionisten damit ehest noch bei Kunstvereinstouren - symbolisch - punkten. Keineswegs möchte ich mit meinen Ausführungen den Eindruck vermitteln, daß ich in dahingehenden Crossover-Unternehmungen keine Emergenzen erkennen kann, die etwa im Zusammenhang von sozialen Bewegungen in anderen gesellschaftlichen Bereichen, als der Kunst, Effekte setzen könnten. Die Aktivitäten und Diskussionen dazu im letzten Jahr haben auch hierzulande ihre nachhaltigen Spuren hinterlassen. Bspw.: Kunsteingriffe. Möglichkeiten politischer Kulturarbeit, Gerald Raunig (Hg.), IG Kultur Österreich, Wien 1998. Die Publikation enthält n.a. die Dokumenation des gleichnamigen Symposiums der IG Kultur Österreich. Imagewert "Kunst mit neuen Medien" Für die Umsetzung des Lokal-TV-Konzepts, 1996 in Wien, wurden von der Initiatorin auch zwei Personen eingeladen, die, durch ihre Piratenradio-Aktivitäten in der Szene bekannt, in Lokal-TV ihr persönliches symbolisches Kapital einbringen sollten: Thomas Madersbacher und Alf Altendorf. Sie unterstützten die Unternehmung, nicht ohne aus ihrer umfangreichen Beschäftigung mit medienpolitischen Fragestellungen die gravierenden Mängel anzusprechen. Schon zu diesem Zeitpunkt arbeiteten sie an Plänen, nach dem Inkrafttreten eines neuen Kabel- und Satellitenrundfunkgesetztes im Jahre1997 ein eigenes Fernsehprojekt zu realisieren. Ein Kernteam war schnell gebildet. In der Folge ging es darum, Studioräume zu finden und eine erste finanzielle Absicherung für die Anschaffung des Equipments und eines Probebetriebs aufzustellen. Ihr Antrag um Subvention über ATS 713 221,- für eine viermonatige Pilotphase bei der ministeriellen Förderstelle für Medienkunst wurde vom Fachbeirat (per Abstimmung und Mehrheitsbeschluß) negativ entschieden. Die Entscheidung wird etwas verständlicher wenn man bedenkt, daß dieser Förderstelle gemessen am jährlichen Gesamtbedarf nur bescheidene Mittel zur Verfügung stehen und die erstmalige Subventionszusage eines derartigen Projekts die einvernehmliche Absicht des Beirats über eine längerfristige Unterstützung miteinschließen würde. Unter einer kritisch-analytischen Sicht der Auseinandersetzungen im rotweißroten Kunstfeld, die selten offen ausgetragen werden und daher nur Insidern zugänglich sind, ist es gerade dieser Negativbescheid gewesen, der den Fernsehmachern letztlich zugute kam: die Bundeskuratorin Lioba Reddeker sagte finanzielle Unterstützung zu. Wenn in Österreich etwas aus dem Bundeskuratorenbudget gefördert wird, stellt sich damit immer gleich die Frage nach der Interessensgebundenheit des Kurators bzw. der Kuratorin zu dem, was finanziert wird. (Ein Antrag wird immer ausschließlich und allein von der Kuratorenperson entschieden. Und wie nicht wenige Beispiele aus der Vergangenheit zeigen, sind die Bundeskuratoren in bestimmten Fällen in ihrer Kompetenz schlichtweg überfordert; mit ein Grund, warum das Bundeskuratorenmodell umstritten ist.) Reddeker, die zur Sicherung ihrer Position voll auf Datenakkumulation setzt (nicht zufällig heißt ein ihr nahestehender Verein AKKU - nomen est omen), mit ihren Förderungen augenfällig ihre künftigen Tätigkeitsbereiche für nach dem Ablauf ihrer Funktionsperiode ausbaut (bspw. ein Wiener Kunstverein) und eher dem Lager zuzurechnen ist, das die kunstzentrische Weltsicht mit der ökonomischen Privatisierung der Kunst verbindet, versuchte bislang erfolglos - nicht zuletzt aufgrund der genannten Charakteristika - zum harten Kern der heimischen Medienkunstszene (Mediamatik, Metadesign, Netzkritik usw.) vorzudringen, die ihr so den Imagemehrwert ´Kunst mit Neuen Medien´ verwehrt. (Reddeker ist da nur ein Beispiel für diverse Handlungsträger in den heutigen Kunstkulturszenen, die in ihrer einstmals restaurativen Kunstzuwendung die Themen der Neuen Medien, wie sie so seit 1989 mit Nachdruck auch den deutschsprachigen Raum erreichten, jahrelang ignoriert haben, lange nach dem Internethype 1994 endlich darüber ins Grübeln gekommen sind und jetzt allen Ernstes auf Diskursmitsprache spekulieren.) Erst im Kontext dieser Sachverhalte wird verständlich, warum gerade Reddeker, die grundsätzlich allen Sphären der Populärkultur ablehnend gegenüber steht, dem Team von TIV Subvention gewährte. Ob sie sich der vollen Verantwortung ihrer Entscheidung und den sich daraus ergebenden Konsequenzen auch voll bewußt war oder TIV nur als eine Karte im Ränkepoker herhalten soll, wird spätestens dann deutlich, wenn sich der erste finanzielle Engpaß dramatisch zuspitzt. Zwischen Kunst und Populärkultur Einmal davon abgesehen, daß die moderne Kunst ohne den Zusammenhang mit der Populärkultur in ihrem vollen Umfang überhaupt nicht zu verstehen ist, stehen die TIV-Macher jedenfalls nicht für Kunstzentrismus. Axel Stockburger, Student in der Mkl. f. Visuelle Mediengestaltung und neben Ricarda Denzer und Amina Handke eine weitere Person im Projektträgerteam von TIV, hat seine Visuals in den letzten beiden Jahren mehr in der Club-Culture-Szene als in Kunsträumen öffentlich gemacht. Die Kunstszene soll im Themenrepertoire von TIV aber keinesfalls fehlen, so die Inhalte dem genau definierten Zielpublikum, einer "urbanen Fernsehgeneration...mit der Altersgruppe der 14 bis 39jährigen", so im Konzept, entgegenkommen. Heißt im Klartext nur: keine Programmierung für alle Altersschichten. Eine faßbare weltanschauliche Positionierung von TIV garantieren die Programm-Macher/innen selbst. TIV grenzt sich sowohl gegen ein Gegenöffentlichkeitsmodell ab, das wie in den 70er Jahren ein Fernsehen außerhalb der Hegemonie schaffen wollte, als auch gegen das Modell Offene Kanäle, das aufgrund fehlender Programmierung durch X-Beliebigkeit auf Dauer leerläuft. TIV garantiert für die Anfangsphase erstmal täglich 120 Minuten eigenproduziertes Programm, wobei die Sendeabwicklung live im Studio stattfindet und die Präsentation in Form einer durchgehenden Moderation über die gesamte Dauer eine zentrale Stellung einnimmt. Wo noch anderswo ein Widerstand durch Bilder gegen eine "verstärkte Visualisierung der Gesellschaft" (DE:BUG.15.0998, S. 30) beschworen wird, beschränkt sich TIV konzeptionell auf "einen flexiblen Einsatz visueller Gestaltungsmittel". Diese Minimalfixierung ist durchaus vernünftig, wenn man zur Kenntnis nimmt, daß jede Artikulation motiviert ist, d.h. zugleich: der Glaube an ´Objektivität´ und ´Neutralität´ als ideologischer Trugschluß erkannt wird. Ein Widerstand durch Bilder gegen Bilder bleibt L´art pour l´art so lange kein gesellschaftlicher Zweck von den Bildermachern postuliert wird. Erst wenn eine derartige Unternehmung unter ein identifizierbares Kampfprinzip gestellt wird, können die entsprechend codierten Bilder in der Differenzrelation von Mitteilung, Information und Annahmeerwartung wirksam werden; die Betonung liegt auf können. Ein anderes Fernsehen, und diesen Anspruch benötigt jeder Neustart dieser Art, muß immer wenn auch unausgesprochen auf den Zuseher mit außertextlichem Wissen setzen. In der binären Schematisierung eines Rezipientenmodells ist das immer der ´gewitzte´ gegenüber dem ´naiven´, der selbst beim Konsum von banalen Serials, aufgrund seines Vermögens den ´Text´ auch auf einer Metaebene ´lesen´ zu können, zu seinem Mehrwert kommt. Aber das bietet schon bisher das ganz normale Fernsehprogramm. Und wie bei diesem, wird sich auch TIV beim angepeilten Zielpublikum um eine entsprechende Quote bemühen müssen. Erst recht, da sich die Entstehung von TIV quasi als weiterer Faktor aus einer Tendenz in den Kunsthandlungsfeldern der letzten Jahre erklärt: das Kunstobjekt und kunstcodierte Prozesse wurden zunehmend durch vielfältige Spielarten von Dienstleistung abgelöst, die anderen Funktionssystemen der Gesellschaft entlehnt sind. Diesen Entstehungsfaktor von TIV bestätigen die Protagonisten mit ihrem eindeutig sozio-kulturellen Umfeld. Die (medien-) politische Dimension des Projekts liegt vorrangig in der Tatsache, daß TIV ernstlich in einer Medienlandschaft antritt, die heute mehr noch als etwa vor einem Jahrzehnt mit gigantischen Geldströmen bewegt wird. Was die Distribution des Programms anlangt, so strebt TIV die Einspeisung als zweiter lokaler Programmanbieter ins Netz der Wiener Telekabel an, nicht ohne sich auch an andere Interessenten und Kooperationspartner im In- und Ausland richten zu wollen. Und genau da liegt der momentane Knackpunkt der Unternehmung. Denn während die Sendungen via Internet mit Hilfe von Silverserver bzw. VBS über RelaVideo live zu empfangen sind und die Aufzeichnungen in der Videosektion jederzeit aufgerufen werden können - Computer mit angemessener Performance und schnelles Modem ist von Vorteil - muß sich TIV im Anspruch von Fernsehen bislang mit dem Erfolg begnügen, daß die erste Folge ihres Fernsehmagazins STROBE am 14. 1. 98 im Rahmen der ORF-Kunststücke gesendet wurde. Die Verhandlungen mit der Wiener Telekabel sind zwar angebahnt, ziehen sich jedoch zäh dahin. Die Urheberrechtsfragen sind jedenfalls schon geklärt und der Sendetermin-Start ist auch schon festgesetzt: 1. Mai - am Tag der Arbeit. Telepolis Artikel-URL: http://www.telepolis.de/r4/artikel/3/3337/1.html Copyright © Heise Zeitschriften Verlag