Körper ohne Eigenschaften Die künstlerische Arbeit von Ulrike Lienbacher ist gekennzeichnet von.... So oder ähnlich beginnen im allgemeinen die monografischen Katalogtexte, und ihre AutorInnen nehmen die Rolle von Wissenden ein, die den LeserInnen ihre Einsichten weitergeben. Eine schöne Aufgabe, könnte man annehmen. Daß ich, während ich vor den Unterlagen zu Ulrike Lienbachers Arbeit sitze und überlege, was ich darüber zu sagen hätte, über diese Aufgabe nachdenke und darüber, was den Katalogtext von der Kritik unterscheidet und weshalb ich immer weniger Katalogtexte schreibe, hat wohl auch mit meiner Wahrnehmung dieser Arbeit zu tun. Es hier anzuführen, ist deshalb vielleicht weniger deplaziert, als es scheinen mag. Sehe ich im Werk einer Künstlerin verschiedene Seiten, die ich nicht so einfach zusammenbringe und für die ich durchaus auch unterschiedliche Sympathien entwickeln kann, so bleibt mir im Rahmen der Kritik die Möglichkeit, Widersprüche zu artikulieren, Werkgruppen differenziert zu bewerten und vor allem auch Fragen zu stellen, die andere beantworten mögen. Das Genre Katalogtext drängt jedoch zu einer Homogenisierung, zum Aufheben von Widersprüchen oder zum Wegfallenlassen von Aspekten, die sich einer Gesamtsicht nicht einfügen wollen. Die künstlerische Arbeit von Ulrike Lienbacher ist gekennzeichnet von ... einem offensichtlichen Auseinanderfallen zweier ästhetischer Erscheinungswelten. Da sind auf der einen Seite verschiedene objekthafte Arbeiten, die weitgehend abstrakt, seriell produziert, in künstlichen Materialien und synthetischen Farben auftreten. Im Gegensatz dazu stehen die Zeichnungen und Fotografien, die figurativ, individuell ausgeführt und in Farbe und Technik äußerst zurückhaltend sind. Gegenüber der geradezu "armen" Ästhetik der Fotos und Zeichnungen weisen die Objekte eine der Warenästhetik entlehnte formale Vollkommenheit und fetischisierte Oberflächenqualität auf. Die Bezüge dieser gegossenen Kunststofformen zur Welt der Konsumprodukte werden darüber hinaus durch so eindeutige Hinweise wie die stapelweise Präsentation auf Tischen oder die Verwendung von Autofarben konkretisiert. Und schließlich hieß eine Ausstellung, in der Lienbacher die an Bonbonnieren erinnernden Polyäthylengüsse in Farben wie "Lac Rose Mét." oder "Bronze Pearl" zeigte, unmißverständlich "Angebote." Man erinnert sich zwangsläufig an das, was in den achtziger Jahren "Commodity Art" genannt wurde und den zum Scheitern verurteilten Versuch darstellte, den Warencharakter des Kunstwerks durch seine zynische Affirmation zu thematisieren. In "Angebote" definierte Lienbacher das Kunstwerk als Konsumgut zusätzlich über den niedrigen "Aktionspreis" der in hoher Stückzahl vorhandenen "Massenprodukte." Unter solchen Voraussetzungen wird jede/r BesucherIn, so wenig er oder sie üblicherweise auch daran denken mag, zum potentiellen Käufer. Wie viel oder wie wenig Lienbachers Objektdisplays tatsächlich mit den systemkritischen oder pseudokritischen Ansätzen der achtziger Jahre zu tun haben, läßt sich vielleicht besser einschätzen, wenn man sich mit den in einer ganz anderen Sprache artikulierten Fragen der Zeichnungen und Fotografien befaßt hat. Eine neue Serie großformatiger Zeichnungen (140 x 160 cm) in brauner Tusche zeigt eine Reihe von Frauen- und Mädchenfiguren, die meisten davon in Rückenansicht. Ihre bis auf wenige Ausnahmen nackten Körper sind mit dem geringstmöglichen Einsatz grafischer Mittel angedeutet, gerade genug, um ihnen eine gewisse Plastizität zu verleihen, zu wenig, um sie lebendig erscheinen zu lassen. Die Frauenkörper wirken in ihren hockenden, knienden und gebückten Haltungen steif. Die Gesichter bleiben verborgen, einem nicht existenten Bildraum zugewandt. "Individualität" beziehen die jedem Zusammenhang enthobenen Frauen lediglich aus ihren je unterschiedlichen, fast übertrieben kunstvollen Frisuren, die im Gegensatz zum restlichen Körper äußerst sorgfältig grafisch durchgearbeitet sind. Aber handelt es sich überhaupt um mehrere, an ihren Frisuren zu unterscheidende Frauen oder nicht vielmehr nur um eine oder wenige, sich durch wechselnde Haartracht verändernde Frau(en)? Mit Ausnahme der als "Mädchen" zu lesenden Gruppe läßt die schematische Zeichnung der Körper deren Unterscheidung nicht zu. Den eigenschaftslosen Körpern bleibt als einziges Distinktionsmerkmal die Frisur. Sie wirkt aber nicht nur als Schmuck, sondern auch als Last. Ist sie es, die die Frauen in ihre kauernden Haltungen drückt? Was sind es eigentlich für Körper, die hier als eigenschaftslose bezeichnet wurden? Viele der Körperhaltungen in dieser Serie assoziiert man sofort mit bestimmten Figurentypen aus dem Bildfundus der Kunstgeschichte, deren schematisierte Übernahmen sie sein könnten. Einige von ihnen könnten etwa den Badenden von Ingres oder Bildern von Degas entliehen sein. Das wäre die Ebene der idealen Körper, die die Welt der Repräsentation bevölkern, in der traditionellen Kunst und (später) der Werbung. Ideal im Sinne einer Idee vom (weiblichen) Körper folgend, einer immer irgendwie normativen Vorstellung davon, durch welche Eigenschaften die zum Einsatz gebrachten Körper die jeweiligen Absichten ihrer Produzenten und die Erwartungen ihrer Rezipienten am wirkungsvollsten verkörpern würden. Seien das klassische Schönheitsdiskurse, die bürgerliche Erotik oder politische Ideologien der Geschlechterrollen. Auf der anderen Seite existieren die realen Körper, meiner und Ihrer, Körper, als deren Eigenschaften vor allem jene registriert werden, die von der Normativität der idealen Körper abweichen. Diese Eigenschaften spielen, sofern sie nicht in besonderem Maße als Abweichung (oder auch als Erfüllung der Normen) wahrgenommen werden, für das soziale Leben der Individuen eine eher untergeordnete Rolle. Zu viele andere Faktoren bestimmen, wie ich die anderen und wie sie mich wahrnehmen. Sobald die realen Körper allerdings den Raum der Repräsentation betreten, wo die Subjekte einer weitgehenden Reduktion auf ihre optische Erscheinung unterworfen sind, werden ihre Eigenschaften bedeutsam. Einen solchen Eintritt des realen Körpers in die vom idealen beherrschte Welt der Repräsentation dokumentieren jene Fotos, die Ulrike Lienbacher ihren Frauenzeichnungen zugrundelegt. Die Posen des eigenen realen Körpers bilden die Vorlagen für die Haltungen der gezeichneten Frauen. Der reale Körper entledigt sich im Übersetzungsprozeß von der Fotografie in die Zeichnung seiner Eigenschaften. Ein ähnlicher Vorgang der Ent-Differenzierung findet auf andere Weise in einer Foto-Serie statt, in der Lienbacher eine Reihe von nackten Menschen aufgenommen hat, die sich ein weißes Badetuch umgeschlungen haben. Der Bildausschnitt ist so gewählt, daß Gesicht und Beine der Personen unsichtbar bleiben. Ihre Hände (mit denen sie das Handtuch halten) haben sie, von wenigen Ausnahmen abgesehen, hinter dem Rücken verborgen. Schließlich ist der obere Ansatz des Badetuches, knapp oberhalb der Brustwarzen, so definiert, daß die geschlechtliche Zuordnung der Personen in vielen Fällen schwerfällt. Alle wichtigen Merkmale - Gesicht, Hände, Geschlecht -, an denen die Differenzierung und Identifizierung von Körpern ansetzt, bleiben dem Blick entzogen. Daß diese Ent-Differenzierung des Körpers im Medium der Fotografie geschieht, ist insofern bedeutsam, als die verschiedenen sozialen und institutionellen Gebrauchsweisen der Fotografie seit ihrer Erfindung engstens an die Diskurse der Identität und Differenz (Anthropologie, Kriminalistik, Psychologie etc.) geknüpft waren. Mit der frontalen Präsentation der Körper vor neutralem Hintergrund erinnern Ulrike Lienbachers Fotos an eine der zentralen Konventionen des fotografischen Aufzeichnens und Festschreibens von Identitäten und Differenzen. Während in den institutionalisierten Aufzeichnungspraktiken die Neutralität der Umgebung als negative Folie für die möglichst reine Präsenz der Merkmale von Identität und Differenz fungiert, unterlaufen Lienbachers Fotos solche fotografischen Repräsentationslogiken, indem sie möglichst viel von der Eigenschaftslosigkeit der Umgebung auf die Körper übergehen lassen. Ob die kunstvollen Frisuren der Frauen in Lienbachers Zeichnungen als Schmuck, als Last oder beides zu sehen wären, war als Frage offen geblieben. Jedenfalls erhalten die neutralisierten Körper, die vom realen Körper der Künstlerin ausgehen, diesen aber nach Eintritt in die von den idealen Körpern beherrschte Welt der Repräsentation in Äquidistanz zu den Normen der idealen sowie den Abweichungen der realen Körper auf die prekäre Zwischenlage des eigenschaftslosen Körpers einpendeln, durch die Frisuren wieder eine gewisse Identität. Die Perfektion der Frisuren läßt den Eindruck entstehen, die neutralisierten Körper würden sich darüber in eine andere Welt projizieren. Eine solche Vorstellung würde gestützt durch die erwartungsvolle Pose vieler dieser Frauen. Vielleicht realisieren die vollendeten Frisuren stellvertretend den Traum des/jedes realen Körpers, in der Welt der idealen Aufnahme zu finden. Nachdem sich einige der Frisurformen in Lienbachers Objekten, den so betitelten "Nippes" wiederfinden und diese ziemlich eindeutig auf Strukturen des Begehrens verweisen, die vom "infantilen oralen Vergnügen" (Lienbacher) bis zum Kitschobjekt reichen, in dem sich die Widersprüche des Alltagslebens aufgehoben finden, scheint eine solche Vorstellung nicht nur spekulativ. Eine andere offen gebliebene Frage, wie viel oder wie wenig Lienbachers Objektdisplays tatsächlich mit den systemkritischen oder pseudokritischen Ansätzen der achtziger Jahre zu tun haben, läßt sich an dieser Stelle wohl auch teilweise beantworten. Geht man von den Zeichnungen und Fotos aus, deren Körpern fast alles fehlt, was sie als lebendige, psychisch, sexuell und sozial strukturierte Wesen auszeichnen würde, so findet man in den Objekten eine ganze Reihe von Verweisen auf libidinöse Dispositionen, Überschreitungs- und Versöhnungsphantasien und Kompensationsmechanismen. Den eigenschaftslosen Körpern der Fotos und Zeichnungen steht in den Objekten ein ganzes Spektrum an angedeuteten Leidenschaften, Sehnsüchten und Bedrohungen von Subjekten gegenüber. Lienbachers Objekte erscheinen dann zwar immer noch als Quasi-Skulpturen, als Stellvertreter für Kunstwerke oder als "Surrogate," als die man sie in Anlehnung an Allan McCollums "Surrogates" der frühen achtziger Jahre bezeichnen könnte. Doch ihr Referenzfeld, wenn sie zum Beispiel von Konsum, Begehren und Fetischisierung sprechen, ist weniger auf eine Kritik des Kunstwerks als Ware orientiert als daß es sich auf Problemstellen im Verhältnis der Körper und ihrer Subjekte zum Selbst, zum Sozialen und zum Raum der Repräsentation hin öffnet. Bis hier hin bin ich dem Homogenisierungsdrang des Genres Katalogtext, wenn auch weniger aus einer Position des Wissens als aus einer des Nachspürens, weit genug gefolgt. Die Frage, warum in Ulrike Lienbachers Arbeit die Ent-Differenzierung der Körper, wie sie die Zeichnungen und Fotos betreiben, und alles, was diesen Körpern durch die von den Objekten ausgelösten Assoziationen Gestalt verleihen könnte, einer derart deutlichen Trennung unterliegt, soll diesem Zwang nicht mehr unterworfen werden. Ebenso wenig wie die Frage, welche Potentiale der faszinierende Entwurf eines eigenschaftslosen Körpers zwischen den Bedingungen des realen und jenen des idealen Körpers für die Transformation des Verhältnisses der beiden letzten beinhalten könnte.