Stella Rollig in: Profil Nr.38, 33.Jg., 16.Sept. 2002 Was mitnehmen Das Quartier 21 ist eröffnet. Es passt makellos in seine Zeit. Es muss gegen Mitte der neunziger Jahre gewesen sein: Eine zweckdienliche Fußbekleidung, bis dahin Strand und Schrebergarten vorbehalten, avancierte zum Hipness-Signet urbaner Flaneurinnen - die Gummischlapfen. Als Flip-Flops im Modeuniversum neu positioniert, sind sie mittlerweile mehr als nur innenstadttauglich. Flip-Flops stehen für lässiges Sich-Bewegen zwischen Architekturbüro, Coffeeshop und Clubland. Im Sommer 2002 hat die Marketingabteilung des Museumsquartiers sich die Image- Beute geschnappt. Für Sie, verehrte KonsumentInnen, wird der coole Treter nun mit orangem MQ-Logo angeboten! Gegen Mitte der neunziger Jahre verspürten Wiener Kunst- und MusikmacherInnen die Notwendigkeit und den Reiz, unabhängige Produktions- und Veranstaltungsorte zu gründen. Im Verlängerten Wohnzimmer entstand entspannte Musik und Kunst, die UKF-Truppe lud zu Kunstgesprächen, der Art Club galt als angesagteste Adresse für Ausstellungen, Performances und Konzerte. Alles Geschichte. Die BetreiberInnen machen heute anderes. Beispielsweise monochrom, institut fünfhaus oder Das undisziplinierte Büro. Sie tragen das orange MQ-Logo. Sie sind auch nicht mehr, wie ihre Vorläufer, einfach anregende und angenehme Szene-Treffs. Sie sind "Kulturanbieter". Unter diesem Titel werden sie im Q21-Paket auf den Markt der Freizeitangebote ins Rennen geschickt. Wo ein Angebot ist, lehrt das Abc der Ökonomie, wurde zuvor eine Nachfrage ausfindig gemacht. Das Problem, in das die MQ-Betreiber sich und die Q21-SiedlerInnen auf dem "experimentellen, dynamischen, flexiblen" usw. "Experimentierfeld" manövriert haben, sind unterschiedliche und vermutlich schwierig zu vereinbarende Nachfragen, die zugleich bedient werden sollen. Es sind einerseits (vermeintliche?) Bedürfnisse des Publikums, dem das Q21, zumindest im Erdgeschoß, als "überdachte Flaniermeile" zur Verfügung gestellt wird (ein Schelm, wem dazu Shopping Mall einfällt). Und es sind auf der anderen Seite die diversen Interessen der ProduzentInnen. Das Bündel an Motiven, ins Q21 einzuziehen, reicht von erhöhter Sichtbarkeit über arbeitsorientierten Raumbedarf bis zur Hoffnung auf Subventionsabsicherung. Ob die Mieten übrigens wirklich so günstig sind, wie in allen MQ-Publikationen beteuert wird, lässt sich nicht einfach beurteilen - Zahlen wurden nicht veröffentlicht. Die PR-Agentur aus dem MQ- Büro, die man mit einer Q21-Adresse mitgeliefert bekommt, ist keineswegs nur ein dienstbarer Geist. Sie wird auch in Zukunft - wie bisher - das Konzept, das heißt nunmehr "den Standort", als kommunizierbare Einheit brauchen. Die Enge und (durchaus angestrebte) Durchlässigkeit der Architektur tragen zur Verwischung der Identitäten bei. Wer durch die "Electronic Avenue" flaniert, wird kaum begreifen, ob er/sie sich nun im Schauraum von SPOILER oder dem institut fünfhaus befindet, ob hinter der künstlerischen Installation unter den grauen Trenn- und Treppenelementen der transeuropa- Straße ein/e Urheber/in unter den Fittichen der Bundesländerplattform A9 oder des mittel-süd-ost-europäisch orientierten KulturKontakt steht. In einem Kulturbetrieb, der - überall, aber in Wien wegen des Überangebots besonders - von Konkurrenzdruck durchseucht ist, wird das den "Anbietern" nicht zur Freude gereichen. Ebenso wenig wie die absehbaren Querelen mit den Nachbarn um die Nutzung des "Freiraums", der gemeinsamen Küche, der Arena, der Gästewohnungen. Ist in der offenen und dichten Raumgliederung ernsthaftes Arbeiten überhaupt möglich? Wer im kommenden Winter für delikate Telefongespräche mit Handy in den Hof flüchten wird, wünscht sich vermutlich in ein konventionelles Büro ohne Standortfaktor (zurück). Genug geunkt? Gut. Nichts mehr zur Subventionsvergabe, die alle bösen Ahnungen der Draußengebliebenen hoffentlich nicht bestätigen wird. Natürlich ist klar, dass das Q21 ein Zeit-Symptom ist. Längst ist es obsolet, dem Verschwinden von Sub- und Off- und Keller-Kultur nachzutrauern. KulturproduzentInnen sind heute AuftragnehmerInnen, die für ihre Geldgeber kundenspezifische Leistungen erbringen. Keine Chance, nicht als Marktsegment erfasst zu werden. Ob Staat, wie beim MQ/Q21, oder Wirtschaftskonzerne, die Auftraggeber haben Imagepolitik und Branding verstanden und sich kundig gemacht, welche KulturproduzentInnen Begriffe wie Flexibilität, Dynamik und Innovation repräsentieren. Der Fischer-von- Erlach-Trakt ist nun ein Ausstellungsraum immaterieller Arbeit, wie sie die Globalisierungstheoretiker Hardt und Negri als konstitutiv für die (westliche) Welt des 21. Jahrhunderts beschreiben. Seine Struktur fördert Häppchenkultur. Beim Durchgehen was mitnehmen. "Genießen Sie’s!", sagte Q21-Konzeptionist Vitus Weh vergangene Woche dem Publikum. Versuchen wir’s. Stella Rollig ist Autorin, Kuratorin, u. a. am O.K Centrum für Gegenwartskunst in Linz, sowie Vorstandsmitglied des Depot. Alle Zitate sind Veröffentlichungen des MQ entnommen.