Sabine B. Vogel: Die Kunst von morgen - hoffentlich keine Kreativ-Wirtschaft FAZ.NET 4. Sep. 2001 Der Untertitel der Ars Electronica bezaubert. Als "Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft" vermischen sich hier Felder, die sonst streng getrennt gehalten werden, sich aber tatsächlich beeinflussen. Das Problem daran ist nur, dass die Einflüsse nicht visualisierbar, geschweige denn ausstellbar sind. Ein Großteil der diesjährigen Ars Electronica-Projekte findet im Internet statt - und kann also an Unmengen von Bildschirmen aufgerufen werden. "Net Vision/Net Excellence" besteht aus Monitoren, auf denen sechs ausgewählte Websites aufgerufen wurden, darunter ein Adventure-Online-Game, die Website von Warp Records oder eine Site zu "außergewöhnlichen Wegen der Flash-Programmierung". Auch die "Elektrolobby" mit ihrem Schwerpunkt von Online-Games ist vor allem eine Ansammlung von Bildschirmen. Zwar finden auch hier jede Menge Vorträge und Gespräche statt, aber das ändert nichts an der irritierenden Ausstellungsform - denn die Projekte können auch ganz gemütlich zuhause betrachtet werden. Ganz schön komplizierte Spielzeuge Entschieden objekthafter präsentiert sich der Ausstellungsteil "Get in Touch". Hier sehen wir Windräder, die nicht vom Wind, sondern von digitalen Informationen angetrieben werden. Oder einen Ping Pong-Tisch, der beim Spiel kleine Variationen der digitalen Wasseroberfläche erzeugt. Gegenüber steht das "Future Office Project". "Phinwheels" will die Omnipräsenz digitaler Datenströme sinnlich erfahrbar machen, der Tisch soll zur interaktiven Erfahrung der digitalen Welt beitragen, und das Zukunftsbüro zeigt den perfekten Konferenztisch. Aber hier beginnt das diesjährige Festival-Thema "wer macht die kunst von morgen" zum Bumerang zu werden. Einerseits werden wir wie Kinder ganz spielerisch-belanglos in die digitale Welt geführt. Andererseits steht dort der absolut faszinierende Prototyp eines ausgefeilten Tisches: integrierte Computerbildschirme, eine ausklappbare Leinwand für Videokonferenz, ein "cross pad", das vom simplen Notizblock jede Information per Mausklick an den Computer weitergibt und als E-Mail verschickt werden kann, der winzige Infrarot-Hand-Scanner und die komplexe Fernbedienung, die Zugriff hat auf den integrierten Videorecorder, auf jeden einzelnen Monitor, auf die digitale Schultafel und vieles mehr. Botschaften an unbekannte Adressaten Beeindruckend! Aber wer wird hier adressiert: die professionelle Community der digitalen Welt oder die Dinosaurier aus der analogen Welt? Genau hier erhält die Kunst ihre Funktion: Sie soll die Brücke oder Schaltstelle zwischen sinnlichen Erfahrungen und technologischen Innovationen bilden. Denn weder wissenschaftliche Forschungen noch Fortschritte der Technologie oder Netzkultur sind ausstellbar. Sie nehmen keine bildliche Gestalt an - dazu bedarf es Objekte, die mehr als nur Vorführmaschinen sind. In einer solchen klar zugewiesenen Funktion kann Kunst natürlich weder eine eigene Sprache entwickeln noch kreativ explodieren, geschweige denn die Führung übernehmen - denn die Kunst tritt hier, apart ausgestattet und liebevoll gepflegt, im Dienste des Kommerzes auf. Und ob dies an neuen oder alten Schauplätzen passiert oder durch spannende Konferenzen begleitet wird, ist in seiner kulturellen Bedeutungslosigkeit gleichgültig. Die "Kunst von morgen" wird hoffentlich nie eine "Kreativ-Wirtschaft" werden.