VOLKER RATTEMEYER, RENATE PETZINGER Pars pro toto Die Geschichte der Documenta am Beispiel des Treppenhauses des Fridericianums In den Tagen vor und nach der Eröffnung der achten documenta ist in zahlreichen Gesprächen mit Künstlern, Kunstvermittlern und Kunstkritikern vom Identitätsverlust dieser großen internationalen Kunstausstellung zu hören. Der Unmut der versammelten Fachwelt über einzelne Exponate, Bereiche oder auch über die documenta 8 als Ganzes entlädt sich in Charakterisierungen wie Halbherzigkeit, illustrative Vordergründigkeit, prätentiöses Kunstgewerbe, Terrassendekoration, Mixtur aus Zeitgeist, Routine und Sachzwang, ästhetische Landschafts- und Stadtreparatur, Kaleidoskop von Beliebigkeiten räumlicher Inszenierungen u.v.a.m. Die achte documenta sei verkommen zum bloßen Medienspektakel, zur Unterhaltungsshow à la Luna Luna, zum Jahrmarkt der Eitelkeiten, auf dem sich die Überheblichkeiten der Architekten und die Launen der Designer addieren - mit entsprechender Resonanz beim Publikum. Die Chance, eine künstlerische Perspektive aufzuzeigen oder gar einen künstlerischen Standpunkt zu beziehen, sei vertan. Finden, so ist zu fragen, die Vorhaltungen und Kritiken an der documenta 8 vielleicht auch in den Eingriffen, die das Museum Fridericianum als auratischer Ort der documenta in den letzten zehn Jahren über sich ergehen lassen mußte, eine Begründung? Ist es der Verbau des Hauses, dem im Zweifelsfall eine unter künstlerischem Gesichtspunkt fehlgeschlagene documenta 8 anzulasten ist? Der Bedeutung, die das räumliche Ambiente des Museums Fridericianum für die Gestaltung der documenta-Ausstellungen gehabt hat, soll im folgenden exemplarisch am Beispiel der großen Treppen-Rotunde nachgegangen werden. Auf welche Weise, so soll unsere Fragestellung lauten, ist die Geschichte der documenta und der ihr jeweils zugrundeliegenden Ausstellungsphilosophie mit der Gestaltung dieser Treppen-Rotunde verknüpft? Welche tatsächliche und welche symbolische Bedeutung hat die Treppen-Rotunde für die jeweilige documenta-Ausstellung gehabt? Die Treppen-Rotunde als zentraler Aufgang Zur Erinnerung: Mit der Treppen-Rotunde verbindet sich ein großer Teil der wechselvollen Geschichte des von Simon Louis du Ry im 18. Jahrhundert geplanten Museums. An ihrer Stelle befindet sich zunächst das rechteckige Haupttreppenhaus des 1769 begonnenen und 1779 vorläufig fertiggestellten Baus. Eine stattliche, aus einem Mittellauf und zwei gebrochenen Seitenläufen bestehende Haupttreppe mit flurartigem Vorraum führt vom Erdgeschoß des Museums in das riesige, über eine lichte Höhe von 8,10 m reichende Obergeschoß mit dem 77,30 m langen und 10,70 m breiten Bibliothekssaal. Unter der Herrschaft von Napoleons Bruder Jérôme wird die Verwandlung des Hauses in einen Ständepalast beschlossen. Der Architekt Grandjean de Montigny, mit den Umbauarbeiten beauftragt, setzt an die Stelle des rechteckigen Haupttreppenhauses einen hohen halbkreisförmigen Parlamentssaal mit Oberlicht. Über einen risalitartigen Zwischenbau verbindet er dieses Halbrund mit dem Hauptgebäude. Die Treppe wird in den westlichen Eckraum des Vorderflügels verlegt. Nach dem Ende der französischen Fremdherrschaft wird der Parlamentssaal nach Plänen des Architekten Bromeis ab 1828 erneut umgebaut. Der Rundbau bleibt erhalten, wird aber durch eine Zwischendecke geteilt. Zur Belichtung werden in die Nischen der Außenwand im Erd- und Obergeschoß rund- und flachbogige Fenster eingebaut. Auch wird die Treppe wieder an ihren ursprünglichen Ort zurückverlegt. Schöner als die erste, findet sie in einem ovalen, eingeschossigen, oben zum größten Teil offenen Gehäuse im Mittelpunkt der Rotunde ihren Platz. In diesem Gewände präsentiert sich der Rundbau auf der Rückseite des Museums Fridericianum bis zur Zerstörung des Hauses im Jahre 1942. Die notdürftigen Wiederaufbauarbeiten bis zur documenta l im Jahre 1955 nehmen die Gestaltung der Rotunde als Treppenaufgang mit äußerem Umgang wieder auf. Als Verbindung zwischen den Ausstellungsräumen im Erdgeschoß und dem riesigen Hauptraum im Obergeschoß hat die Treppe nicht nur eine Funktion als Verkehrsfläche. Sie ist zugleich auch ein Ort der Kommunikation, des Sehens und des Gesehen-Werdens. Durch die Treppe wird die Rotunde in drei halbkreisförmige Zonen gegliedert. Die innerste Zone, das Treppenauge, wird zum Zwischenrisalit hin durch eine dicke tragende Wand und zur Treppe hin durch das aufgemauerte Geländer begrenzt. Zur documenta l ist es im Erdgeschoß durch einen großen Rundbogen zugänglich. Der hohe Raum ist vom Fußboden bis hin zur Decke über dem Obergeschoß offen. Zur documenta 2 wird eine Zwischendecke mit begehbarer Plattform eingezogen, in Höhe des Mittelpodests der Treppe. Darunter eine Garderobe, später, zur documenta 4, ein Zugang zu den äußeren Zonen der Rotunde. Die mittlere Zone ist die Treppe selbst. Auf halber Höhe ein breites Mittelpodest. Innen ein aufgemauertes Geländer. Zur documenta l zieht es sich - in Höhe des Mittelpodests mit einer Stufe versehen - von unten nach oben durch. Zur documenta 2 wird das Geländer auf dem Mittelpodest unterbrochen und gibt den Zugang zur Plattform der Zwischendecke frei. Außen wird die Treppe eingefaßt durch eine halbkreisförmige, über beide Geschosse reichende Rundwand, ein Tonnensegment. Als zur documenta 3 auch das zweite Obergeschoß der Rotunde ausgebaut wird, verlängert sich die Rundwand nach oben hin in eine Stützenreihe mit dazwischenliegenden geländerhohen Ausfachungen. Durchblicke werden freigegeben. Die äußere Zone der Rotunde: ein breiter Umgang. Erdgeschoß und Obergeschoß dieses Umgangs, seit der documenta 3 auch das hinzugekommene darüberliegende Zwischengeschoß, werden von documenta zu documenta unterschiedlich genutzt. Im Jahre 1979 beschließen das Land Hessen, die Stadt Kassel, die Staatlichen Kunstsammlungen und die documenta GmbH, das Museum Fridericianum in der documenta-freien Zeit je zur Hälfte in ein Technikmuseum und in eine Kunsthalle für Wechselausstellungen umzuwandeln. Hierzu soll das Gebäude vertikal geteilt werden. Zur documenta soll es zu etwa fünf Siebteln für die Großausstellung nutzbar bleiben. Im Gefolge dieses Beschlusses werden im ganzen Gebäude weitreichende Umbaumaßnahmen in Angriff genommen. Sie leiten sich her aus der Konzeption des geplanten Technikmuseums. Auch der Brandschutz spielt eine gewichtige Rolle. In das riesige, im Urzustand des Museums über eine lichte Höhe von mehr als acht Metern reichende Obergeschoß wird eine Zwischendecke gezogen. Dadurch wird ein zusätzliches Geschoß gewonnen. Die spezifischen Ausstellungsmöglichkeiten im hohen Hauptraum allerdings sind dahin. Die Umbauten führen auch zur völligen Neugestaltung der Rotunde. Das Stichwort heißt: Entkernung. Die Rotunde wird leergeräumt. Die Treppe fällt der Abrißbirne zum Opfer. Mit ihr müssen auch alle anderen Einbauten - einschließlich der Klos - dem Umbau weichen. Übrig bleibt ein riesiges Halbrund mit Oberlicht, eine leere Zylinderhälfte. In Höhe der Geschoßdecken vom Hauptbau werden in diese Zylinderhälfte drei halbkreisförmige Balkone eingezogen. Die Rotunde hat jetzt zwei Zonen: die äußere Balkonzone und ein über die gesamte Gebäudehöhe vom Keller bis zum Oberlicht reichendes halbkreisförmiges inneres »Auge«. Erdgeschoß und beide Obergeschosse der Rotunde erhalten Fensteröffnungen. Der großzügige Treppenaufgang in der Rotunde wird ersetzt durch zwei kaninchenstallartige, enge Treppenhäuser im Zwischenrisalit. Solchermaßen präsentiert sich das Museumshalbrund zur documenta 7. Zwischen der documenta 7 und der documenta 8 kommt auf die Rotunde eine weitere Umbaumaßnahme zu: das gesamte Kellergeschoß des Museums wird als »Theater im Fridericianum«, kurz »tif«, dem Kasseler Staatstheater überlassen. Der Keller der Rotunde wird Foyer. Zwischen Keller und Erdgeschoß wird anstelle des halbrunden Balkons eine durchgehende Zwischendecke eingezogen. Intensiven Bemühungen von verschiedener Seite ist es zu verdanken, daß der Plan des Jahres 1979, in einer Hälfte des Museums Fridericianum ein Technikmuseum einzurichten, 1983 wieder fallengelassen wird. Heute steht das gesamte Haus als Kunsthalle zur Verfügung - auch zwischen den documenta- Ausstellungen. Sicherlich: die aufwendigen Umbauten, die im Museum Fridericianum vorgenommen wurden, um in der Hälfte des Hauses ein Technikmuseum einzurichten, haben dem Gebäude aus Sicht des Ausstellungsmachens gravierende architektonische Verletzungen zugefügt. Die Sonderstellung des Museums unter allen Ausstellungshäusern im nationalen und internationalen Vergleich, die so entscheidend dazu beigetragen hat, daß die documenta in Kassel entstehen und sich entwickeln konnte, hat sich relativiert. Die totale inszenatorische Offenheit, das unverwechselbare Ambiente, der anregende Kontrast zwischen repräsentativer klassizistischer Hülle und kargem Innenleben - vorbei. Kein Wunder, daß die ursprünglich designierten Ausstellungsmacher der documenta 8, Harald Szeemann und Edy de Wilde, den teilweisen Rückbau des Hauses in den Zustand vor 1976 forderten. Unbestritten daher, daß das Gebäude heute für die Ausstellungsinszenierung einer documenta eine Herausforderung ganz anderer Art darstellt, als vor dem Umbau. Vor dieser Herausforderung zu flüchten oder ihr standzuhalten - dies ist die Entscheidung, vor die sich die künstlerische Leitung der documenta 7 wie auch der documenta 8 gestellt sehen. Welche Dimension hat diese Herausforderung am Beispiel Rotunde? Um dies zu ermessen, blicken wir zurück. Was war los in der Rotunde von der documenta l bis zur documenta 6? Worauf beruht der Mythos, der diesem Ort heute in der Erinnerung anhaftet? Großer Aufgang, Labyrinth mit Schatzkammer und Café: Die Rotunde der documenta l Zur ersten documenta im Jahre 1955 nutzt Arnold Bode alle verfügbaren Räumlichkeiten der Rotunde für Ausstellungszwecke. Im Erdgeschoß des Treppenauges steht die lebensgroße Figur der »Knieenden« von Wilhelm Lehmbruck aus dem Jahre 1911. Durch den offenen Rundbogen ist sie bereits vom Eingangsbereich her sichtbar. An dem mit weißer Kalkmilch geschlämmten rohen Mauerwerk der Rotunde hängen - hoch plaziert - mehrere großformatige Bilder von Oskar Schlemmer. Weitere Lehmbruck-Plastiken und Schlemmer-Grafiken ziehen den Besucher unter der oberen Treppenhälfte links vom Treppenauge in einen geheimnisvollen niedrigen Gang mit künstlicher Beleuchtung hinein. Plötzlich ein Durchgang. Er führt in den äußeren Umgang der Rotunde. Durch ein hohes, bis zum Erdboden herunterreichendes, mit durchscheinender Plastikfolie verhangenes Rundbogenfenster fällt Tageslicht auf eine Bildreihe von Paul Klee. Rechts vom Treppenauge ebenfalls ein Durchgang: hier führt der Weg in ein kleines Ausstellungscafe. In dem Buch documenta-Dokumente beschreibt Karl Bachler die Atmosphäre dieses Cafés folgendermaßen: »Auch im kleinen Ausstellungscafe, wo man nach anstrengendem ersten Rundgang Erholung sucht, wird man die documenta nicht los. Dort hängt über jedem Tisch Picasso-Grafik. Keine Tasse Kaffee ohne Blick auf und von Picasso, kein Eis ohne hitziges Gespräch über - Picasso. Um die winzigen Tische schwirren leidenschaftliche, manchmal heftige Reden, nicht laut, nicht aufdringlich, aber voller Dringlichkeit.« Mit der liebevollen Präsentation der Werke von Lehmbruck, Schlemmer und Klee wie auch mit dem pfiffig-provokativen Regieeinfall der Picasso-Grafik im Café weist die Rotunde dieser ersten documenta auf ihr Thema hin: Europäische Kunst der ersten 50 Jahre dieses Jahrhunderts. Es ist das erklärte Ziel der Veranstalter, mit der documenta eine umfassende Übersicht über die europäische Kunstentwicklung von der Jahrhundertwende bis zum Jahre 1955 zu bieten. Erstmalig soll der jungen Generation wieder jene Kunst gezeigt werden, die unter der Herrschaft des Faschismus als entartet oder verfemt galt. Im Zentrum steht dabei die Malerei. Sie wird durch drei Generationen repräsentiert. Den Anfang bilden beispielhafte Dokumentationen von Vertretern der großen Gruppenbewegungen im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts: Fauvismus, Expressionismus, Kubismus, Blauer Reiter, Futurismus, Pittura Metafisica usw. In der zweiten Künstlergeneration folgen Klee, Beckmann, Chagall, Morandi, Picasso, Léger, Rouault u.a., die jeweils mit einem umfangreichen OEuvre präsentiert werden. Die Auswahl unter der dritten, der jüngeren Generation, konzentriert sich auf solche europäischen Künstler, die bereits durch ein ausgeprägtes Werk ausgewiesen sind, wie z. B. Nay, Trökes, Vedova, Winter und Wols. Zugleich folgt die Künstler- und Werkauswahl der zentralen These Werner Haftmanns, nach der die moderne Kunst - als Ausdruck der modernen Welterfahrung - sich überwiegend im Gewande der Abstraktion zeige. Die Veranstalter versuchen, diese These dadurch zu belegen, daß in der documenta l die Traditionslinien dieser Malerei und ihre Wurzeln über drei Generationen hinweg bis zum Anfang des Jahrhunderts rückverfolgt werden. Innerhalb der Philosophie der documenta l von der abstrakten Kunst als Weltsprache nehmen Oskar Schlemmer, Paul Klee und Wilhelm Lehmbruck zwar nicht die zentralen Positionen und Wegbereiterfunktionen ein. Indem Bode aber Arbeiten dieser Künstler am zentralen und besucherträchtigen Platz in der Rotunde des Treppenauges und im Treppenaufgang plaziert, verweist er auf ihre Bedeutung innerhalb der durch die documenta l thematisierten Traditionslinien. Zugleich führt Bode vor Augen, wie dieser von der Verkehrsfläche her strategisch bedeutsame Ort im Museum Fridericianum für einen visuellen Einstieg in ein documenta-Thema zu nutzen ist. Klo's statt Klee: Die Rotunde der documenta 2 Bei der documenta 2 im Jahre 1959 wird die Rotunde nicht als visueller Auftakt in das Thema der Ausstellung genutzt. Im äußeren Umgang des Erdgeschosses werden sanitäre Anlagen eingebaut. Wo zur documenta l die Arbeiten von Paul Klee hingen, befindet sich nun das Herrenklo. Das Café auf der anderen Seite muß dem Damenklo und Büroräumen weichen. Im Treppenauge eine Garderobe. Weder die Hängekommission noch der Ausschuß für Malerei und Skulptur können sich darüber einigen, welche Werke im Treppenaufgang präsentiert werden sollen. So ist es denn Arnold Bode selbst, der im Alleingang kurz vor Eröffnung der documenta eine Entscheidung trifft. Auf die neu eingezogene Zwischenplattform über der Garderobe stellt er zwei geschweißte Kupferreliefs von Zoltan Kerneny aus dem Jahre 1958, darüber hängt er das Ölbild »Deep orange on black« von Sam Francis aus dem Jahre 1955. Im Mauerwerkshalbrund plaziert er mehrere große Wandteppiche. Die Serie dieser Teppiche wird im äußeren Umgang des Obergeschosses fortgesetzt. Es handelt sich um Arbeiten, die nach Bildvorlagen von Adam, Arp, Deyrolle, Faßbender, Le Corbusier, Mortensen, Pianbert, Prassinos, Riedl, Schaparely und Winter gefertigt sind - entstanden in den Jahren zwischen 1953 und 1958, großenteils geknüpft in den Ateliers Tabard in Aubusson für die Galerie Denise René. Für die zentralen Aussagen der documenta 2 sind weder die Arbeiten von Zoltan Kemény und Sam Francis noch die Wandteppiche von herausragender Bedeutung. Hauptthema der documenta 2 ist der Siegeszug der abstrakten Kunst nach 1945. Als ihre Bahnbrecher werden Pollock, de Stael und Wols herausgestellt. Jedem dieser drei Künstler wird ein großer Werküberblick gewidmet. An ihrem Beispiel wie auch an dem der anderen »Informellen« soll die These verdeutlicht werden, daß viele Künstler der Nachkriegsjahre sich zwar nach 1945 zunächst durch unterschiedliche Ansätze ausgezeichnet haben (expressiver Realismus, Surrealismus, konkrete Kunst), daß viele von ihnen nach 1950 sich aber der abstrakten Kunst des Informel und des Tachismus anschließen. Die Kunstwerke in der Rotunde stehen zu dieser These zwar nicht im Gegensatz, stellen in ihrer Gesamtheit aber auch keinen sonderlich nachdrücklichen Beleg für sie dar. Im übrigen konzentriert sich Arnold Bode auch eher darauf, für diejenigen Arbeiten, die die These vom Siegeszug der Abstraktion belegen sollen, im großen Hauptraum des Museums Fridericianum und in seinen Seitenflügeln überzeugende Raumfolgen zu schaffen. Dem Treppenhaus in der Rotunde kommen demgegenüber eher Funktionen als Verkehrs- und Kommunikationsfläche zu. Die Rotunde der documenta 3: Ein Treppenhaus und was sonst noch? Ob die Rotunde des Museums Fridericianum auch zur documenta 3 als Präsentationsort von Kunst genutzt worden ist, diese Frage kann hier nicht beantwortet werden. Etwa 50 Menschen, die als Kritiker oder Besucher diese documenta gesehen haben oder die an ihr als Künstler beteiligt gewesen sind, konnten den Autoren dieses Berichts keinen Hinweis darauf geben, ob oder in welcher Weise das Treppenhaus in die Ausstellung miteinbezogen war. Selbst der damalige documenta-Pressesprecher, der dem eigenen Bekunden zufolge während dieser Zeit vier Monate im Fridericianum »gelebt« hat, mußte passen. Schlechtes Erinnerungsvermögen? Keine bleibenden Bilder und Vorstellungen? Was zeigt die documenta 3 überhaupt? Der Leitsatz der documenta 3 basiert auf dem apodiktischen Ausspruch von Werner Haftmann »Kunst ist das, was bedeutende Künstler machen«. Getreu diesem Leitsatz, der sich übrigens als höchst umstritten erweist, umfaßt die Hauptausstellung der documenta 3 eine Reihe von 26 Meisterkabinetten, in denen wichtige Künstler der klassischen Moderne und anerkannte Künstler der Nachkriegszeit mit Werkgruppen und Einzelwerken in einem Umfang von jeweils 10-15 charakteristischen Arbeiten vorgestellt werden. Zu den »Meistern« zählen innerhalb der klassischen Moderne Arp, Beckmann, Braque, Corinth, Kirchner, Klee, Laurens, Mirò, Moore, Picasso, Schlemmer und Schwitters; die Nachkriegsmoderne ist vertreten durch Bacon, Baumeister, Dubuffet, Härtung, de Kooning, Nay, Nesch, Poliakoff, Saura, Sutherland, Tobey, Trier und Winter. Ergänzt werden die 26 Meisterkabinette um weitere Abteilungen. Innerhalb der Abteilung »Bild und Skulptur im Raum« präsentiert HAP Grieshaber im äußeren Umgang der Rotunde im Obergeschoß eine zehnteilige Bilderwand aus überlebensgroßen Holzdruckstöcken und den davon gefertigten Drucken. An insgesamt 63 Beispielen wird verdeutlicht, daß die Beziehung zwischen Bild und Raum bzw. zwischen Skulptur und Raum keine Frage dekorativer Äußerlichkeit ist, sondern für das Erleben und richtige Wahrnehmen von Kunst im Raum zentrale Bedeutung hat. Hier gelingen Arnold Bode erneut dramatischeffektvolle Rauminszenierungen wie z. B. die Hängung der »drei Bilder im Raum« von Ernst Wilhelm Nay unter der Decke einer langgestreckten Koje, die vielen Besuchern der documenta 3 in lebhafter Erinnerung geblieben ist. Überhaupt sind es eher die »Nebenlinien« der documenta 3, die dieses Mal das eigentlich Bedeutende dieser großen internationalen Ausstellung ausmachen. Allem voran die »Handzeichnungen des 20. Jahrhunderts«, das große Abschiedsgeschenk, das Werner Haftmann der documenta bereitet. In 12 Räumen und einem großen Saal wird in dieser Abteilung ein Überblick über 80 Jahre Geschichte der modernen Handzeichnung seit Cézanne gegeben. Eine Abteilung, die in der Presse und unter den Künstlern höchstes Lob erfährt. Unter dem Begriff »Aspekte 64« werden zum ersten Mal Künstler gezeigt, die mit dem neuen Realitätsbegriff der Objektkunst arbeiten, 84 an der Zahl. Zum ersten Mal ist auch Joseph Beuys mit von der Partie. Erstmalig wird bei der documenta 3 schließlich auch das Dachgeschoß des Museums Fridericianum genutzt. Ohne seine Kollegen zu fragen, richtet Arnold Bode hier unter dem Stichwort »Licht und Bewegung« Kinetik- und Lichträume von neun Künstlern und Künstlergruppen ein. Eine Entscheidung, die möglicherweise auch von außen mitbeeinflußt ist. Denn viele deutsche Künstler protestieren lautstark gegen die Künstlerauswahl der documenta, insbesondere gegen die scheinbare amerikanische Übermacht. Der Hauptakteur solchen Protestes, Otto Piene, findet sich unter den eingeladenen Künstlern von »Licht und Bewegung«. Vor allem beim Publikum rufen die ratternden und blitzenden Objekte und Kinetikräume im Dachgeschoß viel Zustimmung hervor. Bei aller Bewunderung für die »Nebenabteilungen« der documenta überwiegen diesmal ansonsten die kritischen Stimmen. Presse, Künstler und Kunstvermittler bemängeln ein erstarrtes und überlebtes Konzept mit nur wenigen utopischen Funken. Durch das Festhalten an einem Kunstbegriff, der die Kunst auf das Ich des Künstlers beziehe, das Gespräch mit der Kunstgeschichte, nicht jedoch mit der Gesellschaft suche und breite Strömungen der aktuellen Kunst der sechziger Jahre ausgeblendet habe, sei die documenta künstlerisch in eine Sackgasse geraten, lautet der Grundtenor der Kritik. Dokumentation der aktuellen Kunst als neues Konzept für die documenta Die Kritik an der documenta 3 wird von den Veranstaltern ernst genommen. Bei der Vorbereitung zur documenta 4 führt sie zu weitreichenden Konsequenzen. »Kunst 1968« soll das Thema der documenta 4 lauten. Damit wird die Konzeption der ersten drei documenta-Ausstellungen, kunstgeschichtlich bereits abgesicherte Werke in großen Retrospektiven vorzustellen, aufgegeben. Dokumentiert werden soll künftig statt dessen die aktuelle zeitgenössische Kunst, die Kunst der Avantgarde. Die Kunst also, die im Zeitraum der vier Jahre seit der letzten documenta entstanden ist. Verbunden mit der Änderung des Konzepts der documenta sind weitreichende organisatorische und personelle Veränderungen. Zusätzlich zu den Ausschüssen für die einzelnen Abteilungen der documenta werden ein Informations- und ein Organisationsausschuß gebildet. Werner Haftmann, der 1967 die Leitung der Berliner Nationalgalerie übernimmt, zieht sich aus dem documenta-Rat zurück, ebenso Will Grohmann und Alfred Hentzen. Und auch Werner Schmalenbach und Fritz Winter, beide der documenta langjährig in verschiedenen Funktionen verbunden, treten zurück. Werner Schmalenbach tut seine Bedenken gegenüber der neuen Konzeption der documenta öffentlich kund. Zum entscheidenden Impulsgeber der documenta 4 wird Jan Leering, von Hause aus Architekt und Direktor des Stedelijk-Van-Abbe-Museums in Eindhoven. Als Leiter des Ausschusses Malerei verhilft er den großformatigen Farbfeldmalereien der amerikanischen Pop-Artisten und den Objekten der Minimal Art zum Durchbruch. Die Pop Art-Rotunde der documenta 4 Erst zur documenta 4 wird die Rotunde des Museums Fridericianum auch zu jenem symbolhaft-auratischen Raum, als der sie in der Geschichtsschreibung angeblich schon immer existiert haben soll. Nun, Geschichtsschreibung nährt sich von Legenden. Die Legende, von der Rotunde aus sei »schon immer« in exemplarischer Weise in die Ausstellung eingeführt worden, sie sei »schon immer« zentraler Ort für die Präsentation besonders wichtiger Arbeiten gewesen, entsteht vor dem Hintergrund jener spektakulären und bei den Besuchern der documenta 4 unauslöschlich in der Erinnerung haften gebliebenen Inszenierung, mit der Arnold Bode und Jan Leering diesen Raum anläßlich der documenta 4 nutzen. Riesig und unübersehbar hängt an der hohen Innenwand des Treppenauges das über die gesamte Höhe reichende Wandbild »Fire Slide« von James Rosenquist. Zwei überdimensionale Füße in flachen Schuhen. Daraus herauswachsend zwei riesige Unterschenkel in Hosenbeinen aus blauem Stoff. Zwischen den gekreuzten Beinen eine metallglänzende Rutschstange. Ein typisches Werk der amerikanischen Pop-Art, jener Kunstrichtung also, die das Gesicht der documenta 4 so nachhaltig prägt. Ein dezenter Hinweis zugleich auf die Tatsache, daß die documenta 4 wegen der verschärften Brandschutzbestimmungen in ihrer jetzigen Form eigentlich gar nicht stattfinden dürfte ... Pop Art und Farbfeldmalerei auch auf der großen Rundwand rings um die Treppe. Hier hängen zehn riesige »Cardinal Numbers« von Robert Indiana, darunter - etwas versetzt - vier Bilder von Rupprecht Geiger. Solchermaßen eingestimmt, erreicht der Besucher den großen, über zwei Geschoßebenen reichenden Hauptsaal des Museums Fridericianum. Mit weiteren Werken von Rosenquist und Indiana, Roy Lichtenstein und Tom Wesselman wird in der einen Hälfte dieses Saales ein wahres Pop Art-Festival aufgeführt. Die andere Hälfte gehört den amerikanischen Minimalisten (Frank Stella, Robert Morris u.a.). Pop Art schließlich auch im äußeren Umgang der Rotunde des Obergeschosses. Hier hängen weitere Bilder von James Rosenquist, Roy Lichtenstein und anderen. Und auch am Beispiel des Erdgeschosses wird die neue symbolhafte Bedeutung der Rotunde für die documenta deutlich. Garderoben und Büros mußten ausziehen. Über einen gewundenen Gang gelangen die Besucher in die Kindermalschule, in der der Nachwuchs solange beschäftigt wird, wie die Eltern durch die Ausstellung streifen. Gebührt der documenta 4 das Verdienst, mit der Pop Art und der Minimal Art auf wichtige Strömungen insbesondere der amerikanischen Kunstentwicklung aufmerksam zu machen, sieht sie sich damit zugleich auch neuer Kritik ausgesetzt. Zahlreiche deutsche Künstler reagieren mit Protest auf die angebliche Übermacht der Amerikaner - obwohl letztere nur etwa ein Drittel der beteiligten Künstler stellen. Mit diesem Drittel sind sie allerdings im Museum Fridericianum wie auch in den Außenräumen der documenta unübersehbar - man denke nur an das riesige 5450 Kubikmeter-Paket von Javacheff Christo auf der Wiese der Karlsaue. Registriert wird auch die offensichtlich enge Interdependenz zwischen der documenta und dem Kunsthandel. Noch nie wurden der documenta so viele Werke von Galeristen zur Verfügung gestellt. Nicht wenige dieser Arbeiten waren übrigens erst im September 1967 auf dem vom Verein progressiver deutscher Kunsthändler inzwischen ins Leben gerufenen Kunstmarkt im Kölner Gürzenich zu sehen. Keine documenta zuvor zeigt auch so viele Arbeiten, die - schon allein wegen ihrer Riesenformate - direkt für das Museum gemalt worden sind. Sei es für Ankäufe der öffentlichen Hand, sei es für Ankäufe von Privatsammlern, die gegenüber den Museen als Stifter auftreten. Trotz des erklärten Anspruchs der documenta 4, das Museum zu verneinen, so lautet die Kritik, sei sie auf diese Weise selbst zum neuen Museum geworden. Zu geringer Raum sei auch den Happening-, Aktions- und Fluxuskünstlern eingeräumt worden. Unter den neuen Kunstformen der sechziger Jahre sei lediglich das Environment und das Multiple ausreichend gewürdigt. Erstmals müssen sich die documenta-Veranstalter schließlich mit einem völlig neuen Phänomen auseinandersetzen: mit den politischen Protesten und Unruhen des Jahres 1968. Die fallen in Kassel allerdings recht zahm aus. Honig wird ausgegossen über den Tisch des documenta-Rates als Fanal gegen das Establishment ... Trotz Kritik bleibt die kunsthistorische Bedeutung dieser vitalen documenta unbestritten. Die Vision von Harald Szeemann: Individuelle Mythologien Der Vorwurf, die documenta 4 sei trotz gegenteiliger Absicht zu museal geworden und die gesellschaftlich engagierte Kunst der sechziger Jahre sei in ihr zu kurz gekommen, hat Konsequenzen für die Wahl eines neuen Ausstellungsleiters. Zum Generalsekretär der documenta 5 wird Harald Szeemann berufen. In seinen Ausstellungen »Wenn Attitüden Form werden« (Bern 1968) und »Happening und Fluxus« (Köln 1970) postuliert Szeemann einen Kunstbegriff, der an die Stelle einer statischen musealen Ausstellung ein Ereignis setzt, das aus dem Museum heraus auf die Straße und in die Öffentlichkeit drängt. Das erste Konzept von Harald Szeemann geht in der Tat von diesem Kunstbegriff aus. Es umfaßt fünf Themengruppen. Sie sollen in Form von Ausstellungen, organisierten Ereignissen, Aktionsbereichen und mittels Informationsvermittlung realisiert werden. Das Konzept erweist sich als nicht durchsetzbar. In einer zweiten Stufe wird es durch ein gemeinsam mit Bazon Brock erarbeitetes Ausstellungsmodell mit dem Titel »Befragung der Realität - Bildwelten heute« ersetzt. Gemäß diesem Konzept sollen in insgesamt 15 Ausstellungsabteilungen mit Themen aus der Kunst und der Alltagswelt Werke aus künstlerischen wie auch aus außerkünstlerischen Bildwelten zu sehen sein. Dadurch soll die documenta 5 darüber Aufschluß geben, welche Bedeutung der Kunst für die Problemlösungsversuche der Gesellschaft zukommt. Doch auch diese Konzeption ist nicht endgültig. Harald Szeemann löst nicht geringes Erstaunen im Vorbereitungsteam wie auch in der Kunstöffentlichkeit aus, als er wenige Wochen vor Eröffnung der documenta 5 seine ablehnende Haltung gegenüber dem Konzept Nr. 2 bekannt gibt. Er erklärt, daß die politische Diskussion um die gesellschaftliche Funktion der Kunst sich selbst ad absurdum geführt habe, daß die Kunst zu sich selbst zurückgekehrt sei und daß die Künstler sich keinen Deut um die gesellschaftliche Relevanz ihrer Werke scheren würden. Die documenta habe die Aufgabe, die besten zeitgenössischen Künstler zu zeigen. Für Harald Szeemann sind dies insbesondere diejenigen Künstler, die in ihrer künstlerischen Arbeit ganz bewußt von ihren eigenen und persönlichen Bildwelten ausgehen. Ihre gesellschaftliche Funktion als kollektives Gedächtnis einer Epoche ist nur mittelbar auszumachen. Sie liegt darin, daß die Individualität des Künstlers sozusagen stellvertretend Teile einer gruppenhaften Befindlichkeit freilegt. Der Begriff, den Harald Szeemann für die von ihm bevorzugte Kunst prägt, ist der der »individuellen Mythologie«. Innerhalb einer Ausstellung von verwirrender Vielfalt und Intensität, die zugleich starke Brüche zeigt, erweist sich die von ihm betreute Abteilung »Individuelle Mythologien, Selbstdarstellung, Prozesse« als die eigentlich Visionäre. Im Erdgeschoß, im Obergeschoß und im Dachgeschoß des Museums Fridericianum sowie in der Neuen Galerie stellt Harald Szeemann in dieser Abteilung 95 von insgesamt 180 an der documenta 5 beteiligten Künstlern vor. Die große Mehrzahl unter ihnen ist jünger als 40 Jahre und anläßlich der documenta 5 zum ersten Mal auf einer der bedeutenden Großausstellungen internationaler Kunst vertreten. Zum ersten Mal, aber nicht zum letzten Mal. Etwa die Hälfte wird auch auf zukünftigen documenta-Ausstellungen wie auch auf anderen bedeutenden internationalen Ausstellungen vertreten sein. Zu den von Harald Szeemann erstmalig auf die documenta gebrachten Künstlern gehören u.a.: Vito Acconci, Anatol, Giovanni Anselmo, Lothar Baumgarten, Christian Boltanski, Gilbert & George, Nancy Graves, Rebecca Horn, Jörg Immendorf, Jannis Kounellis, Mario Merz, Panamarenko, Giulio Paolini, A. R. Penck, Giuseppe Penone, Sigmar Polke, Arnulf Rainer, Klaus Rinke, Ulrich Rückriem, Reiner Ruthenbeck, Edward Ruscha, Fritz Schwegler, Richard Serra, Katharina Sieverding, André Thomkins und Franz Erhard Walther. Eine völlig neue Künstlergeneration, die das Gesicht dieser documenta nachhaltiger prägen soll, als alle Theorie sich ausmalen konnte. Doch nicht nur in der Abteilung »Individuelle Mythologien, Selbstdarstellung, Prozesse« wird eine neue Künstlergeneration vorgestellt. Auch die übrigen Abteilungen warten mit neuen Namen auf, die in die Kunstgeschichte der siebziger und achtziger Jahre eingehen werden: Richard Artschwager, Michael Asher, John Baldessari, Robert Barry, Georg Baselitz, Bernd und Hilla Becher, Marcel Broodthaers, Daniel Buren, Hanne Darboven, Jan Dibbets, Franz Gertsch, Hans Haacke, Duane Hanson, Imi Knoebel, Richard Long, Robert Mangold, Blinky Palermo, Gerhard Richter, Robert Ryman, HA Schult und Lawrence Weiner sind Künstler und Künstlerinnen, die in diesem Zusammenhang zu nennen sind. Mit dem ursprünglichen theoretischen Konzept der documenta 5, der Befragung der Realität und ihrer Bildwelten, hat diese Künstler- und Werkauswahl nur noch sehr vermittelt zu tun. Ein Iglu und ein Motorrad in der Rotunde der documenta 5 Auch in den Inszenierungen der Rotunde befreit sich Harald Szeemann von den theoretischen Ballaststoffen der ursprünglichen Konzeption. Erstmalig wird der Treppenaufgang für eine Rauminstallation genutzt. Auf der Plattform des Mittelpodests errichtet Mario Merz aus Metall, Drahtgewebe und Tuch eines seiner großen Iglus. Neonzahlen auf dem Iglu und an den Wänden der Treppe bilden die Zahlenreihen des italienischen Mathematikers Leonardo Fibonacci. 1 - 1-2 - 3 - 5 - 8-13 - 21 - 34 - 55 - 89 - 144 - usw. Die jeweils letzte Zahl ergibt sich durch Addition der beiden Zahlen davor. Merz vermerkt zu dieser Zahlenreihe im Katalog: »Und weil Menschen, Zahlen, Dinge, Tage danach trachten, unendlich zu sein, ist die erste aller Summen, eins + eins = zwei, noch nicht gestorben.« In Deckenhöhe »fährt« ein frei in den Raum ragendes Motorrad die runde Treppenwand entlang. Rauminstallationen einer »armen« und minimalistischen Kunst, die ihre Anfänge neu buchstabieren lernt, auch in den äußeren Umgängen des Erd- und Obergeschosses der Rotunde. Unten eine Arbeit von Yoko Ono, hierzulande weniger als Künstlerin denn als Ehefrau von John Lennon bekannt. Darüber Werke der 1970 verstorbenen Künstlerin Eva Hesse und des Italieners Gilberto Zorio. Vom äußeren Rundgang des Obergeschosses aus gelangt der Besucher übrigens auch auf eine außen an die Rotunde angebaute provisorische Holztreppe. Kein Kunstwerk, sondern eine intelligente Antwort des Ausstellungsmachers auf neue Anforderungen von seiten der Bauaufsicht. Wer die Treppe hinuntergeht, gelangt in HA Schuhs biokinetische Müllandschaft. Im Zwischengeschoß des Umgangs schließlich Arbeiten aus der von Klaus Honnef und Konrad Fischer betreuten Abteilung Idee/Licht. Analytische Arbeiten sozusagen. Peter Alexander untersucht den Lichteinfall in gegossenem Polyesterharz. Michael Asher untersucht fiktive Raumveränderungen durch Bemalung der Wände. Und Ron Coopers Thema liegt in der Untersuchung der unterschiedlichen Farbwirkungen von Pigmenten und von Lichtwellen. Eine Rotunde, so läßt sich zusammenfassen, in deren Künstlerauswahl, Werkauswahl, Rauminszenierungen und präzisen Problemlösungen ein gutes Stück von der Philosophie der gesamten documenta 5 sichtbar wird. Einer documenta, die wegen ihrer Neuentdeckung einer ganzen Künstlergeneration, aber auch wegen der faszinierenden Inszenierungen, in denen die Werke dieser Künstler und: zum ersten Mal auch einer namhaften Zahl von Künstlerinnen, im Museum Fridericianum und in der Neuen Galerie präsentiert werden, heute als visionärste documenta gilt. Und von deren Anregungen und Ideen ganze Generationen von Ausstellungsmachern noch heute zehren. Die Honigpumpe am Arbeitsplatz: Joseph Beuys und die FIU in der Rotunde der documenta 6 Auf die große Herausforderung durch die documenta 5 versucht der künstlerische Leiter der documenta 6, Manfred Schneckenburger, mit dem Konzept einer Mediendocumenta zu reagieren. Von diesem Konzept ausgehend entsteht nach vielen Auseinandersetzungen im documenta-Team aber eine letztlich neun höchst eigenständige Abteilungen umfassende Ausstellung. Sie hinterläßt einen sehr heterogenen Eindruck. Mit fast 500 Künstlern und vier Schauplätzen ist sie im übrigen die expansivste documenta. Ihr interessantester Teil liegt - im Wortsinn - nach Meinung vieler Fachleute in den horizontalen Außenskulpturen im Park Karlsaue und in den »Künstler- Räumen« im Fridericianum. Daneben sind es zwei große Einzelarbeiten, die die Diskussion über die documenta 6 bestimmen. Walter de Marias vertikaler Erdkilometer auf dem Friedrichsplatz ist die eine dieser beiden herausragenden Arbeiten. Die andere ist Joseph Beuys' Honigpumpe am Arbeitsplatz. Der Arbeitsplatz heißt hier: Rotunde des Museums Fridericianum. Im zugemauerten Erdgeschoß des Treppenauges - zugänglich durch eine quadratische Einstiegsluke mit feuerfester Tür - stehen zwei Elektropumpen. Die eine pumpt über ein in sich geschlossenes System von Plexiglasschläuchen Honig bis hinauf unters Oberlicht des Treppenhauses. Leben, Kreislauf, Energie, Wärme. Die Welle der anderen Pumpe dringt durch einen Haufen erstarrtes Fett. Kälte. Auf der Treppe führen die hinauf- und hinabgehenden Besucher heftige Diskussionen über diese Installation und deren Sinn. In den Honig-Kreislauf miteinbezogen ist das Erdgeschoß des äußeren Umgangs der Rotunde. Hier hat die Freie Internationale Hochschule für Kreativität und interdisziplinäre Forschung (FIU) ihr Büro eingerichtet. Und hier diskutiert auch Beuys 100 Tage lang, oftmals bis zur Erschöpfung, mit Besuchern und geladenen Gästen über seinen erweiterten Kunstbegriff und über die Idee der sozialen Plastik. Über dem FIU-Büro im Obergeschoß der Rotunde hat Hans-Peter Reuter seinen Raum aus blauen Majolika-Fliesen gebaut. Der die Rotundenform aufnehmende Raum ist gefliest und findet seinen Abschluß in einer gemalten Bildfläche, auf der die Illusion der perspektivischen Verlängerung des vorgegebenen Fliesen-Raumes dargestellt ist. Den Übergang bildet eine teils reale, teils gemalte Treppe. Auf der anderen Seite des Rotundenumgangs im Obergeschoß eine Bilderserie von Gerd Winner mit dem Titel »Emergency«. Siebdrucke, Fotografien und Gegenstände zum Thema Notfall. Im Zwischengeschoß schließlich Arbeiten aus der Abteilung Fotografie. Von Ed Restle in ebenso einfacher wie präziser Weise gehängt: als Doppelreihe außen, als zusätzliches einreihiges Fries auf der Innenseite der Treppenrundwand. Daß das Treppenhaus in der Rotunde auch bei der documenta 6 zusätzlichen Nimbus als auratischer Ort gewinnt, hat diesmal andere Gründe als bei der documenta 4 und bei der documenta 5. 1968 und 1972 werden in der Rotunde Arbeiten und Installationen präsentiert, die Schlüsselcharakter für die Konzeption der ganzen Ausstellung besitzen. Visueller Auftakt und Einführung zugleich in einen Schwerpunkt der documenta 4 und 5: Pop-art und Individuelle Mythologie. Auf der sechsten documenta ist es dagegen eher die Botschaft eines großen Einzelnen, der über die eigentliche Philosophie der Ausstellung hinausweist. Die Treppen-Rotunde als Raum, an dem sich am Arbeitsplatz Honigpumpe dieser Anspruch zeigt und zugleich vom Künstler erläutert wird. Beuys: »Die Organisatoren machen eine Kunstausstellung mehr oder weniger traditionellen Stils. Was man moderne Kunst nennt. Was innerhalb der Innovation des modernen Kulturbetriebs für interessant gehalten wird. Ich habe gar kein Interesse, irgend etwas zu kritisieren. Ich will nur das machen, was in irgendeiner Weise als erweiternde Aktivität sich mit dem modernen Kulturbetrieb auseinandersetzt und ihn verändern will. In die Richtung, die anthropologisch ist und sich nicht mehr bezieht auf Künstler, Kunstbetrieb, sondern auf Menschen und alle Fragen, die wir vor uns haben, die in allen Bereichen der Gesellschaft gelöst werden müssen - das ist der erweiterte Kunstbegriff, den stellen wir hier ja vor, so gut wir das können.« Die Treppe also als Ort der Diskussion über ein neues Verständnis von Kunst. Eine Diskussion, in der sie selber zum Beispiel für den Begriff der sozialen Plastik wird. Ein Höhepunkt in der Geschichte der documenta-Ausstellungen. Ein Schlußpunkt in der Geschichte des Treppenhauses? Bücher, Blätter, Broodthaers und ein Hase in der Rotunde der siebten documenta Zwischen der documenta 6 und der documenta 7 wird umgebaut. Das Museum Fridericianum wird zu-gerichtet auf eine Nutzung als (halbes) Technikmuseum. Die lichte Höhe des Obergeschosses wird durch Einzug einer Zwischendecke halbiert. Wo bisher nur im Seitenflügel und als Balkon zum Hauptsaal ein Zwischengeschoß war, entsteht ein durchgängiges zweites Obergeschoß. An die Stelle des zentralen Treppenaufgangs in der Rotunde tritt ein großes leeres Halbrund mit drei riesigen halbkreisförmigen Balustraden. Zwar ist die Kritik am Umbau von Rudi Fuchs, dem künstlerischen Leiter der documenta 7 deutlich vernehmbar. Die aus alter niederländischer Tradition mitgebrachte Lust am Ausstellungsinszenieren will er sich dadurch aber nicht verderben lassen. Im Katalogvorwort schreibt Rudi Fuchs: »Wir üben dieses wunderbare Handwerk aus: wir bauen eine Ausstellung auf, nachdem wir zuerst die Räume für diese Ausstellung gemacht haben. Die Künstler versuchen in der Zwischenzeit ihr Bestes, wie das sein muß. Ausstellungen müssen gemacht werden, irgendwie und irgendwo (auch in Kassel), weil die Kunstwerke dort in ihrer konkreten Gestalt erscheinen. Die Ausstellung ist eine Realität. Es ist wichtig, das immer wieder zu betonen, weil unsere Kultur unter einer Illusion der Medien leidet (wir sehen mehr Reproduktionen als Bilder). Das Gefühl für das Eigentliche geht verloren. Das spürt man auch in den häßlichen Details des Alltags. Es mangelt sehr an Sorgfalt.« Der Typograf Walter Nikkels, den Rudi Fuchs als Ausstellungsarchitekten und Gestalter von Katalog und Plakat für die documenta 7 gewinnt, zieht ein klar gegliedertes einfaches System großer weißer Wände in das Gebäude. Kein Schönheitschirurgie, sondern sorgfältige Strukturierung und Proportionierung. Vorbereitung einer Ausstellung, die in erster Linie den großformatigen Bildern gewidmet ist, die zu Beginn der achtziger Jahre die Diskussion um die Kunst bestimmen. Und denen zuliebe Rudi Fuchs die Besucher der documenta 7 zur »Rückkehr ins Museum« einlädt. So sorgfältig und gleichzeitig behutsam kommentierend wie Nikkels mit dem ganzen Gebäude umgeht, behandelt er auch die entkernte Rotunde. Ein Rundbau mit drei umlaufenden Balustraden - mehr nicht, aber auch nicht weniger. Im Kellergeschoß stellt er mitten in das bis zum Oberlicht durchgehende innere »Auge« der Rotunde einen aus Bronze gegossenen Hasen von Barry Flanagan. Außen im Halbrund eine eindringliche, 398 Teile umfassende Serie aus Collagen, Fotos, Zeichnungen von Hanne Darboven. Im Erdgeschoß die Buchhandlung Walther König - Information und Kommunikation. Darüber das »Dekor, eine Eroberung«, eine vielteilige Installation von Marcel Broodthears. Im zweiten Obergeschoß schließlich eine Fotodokumentation von Hamish Fulton und unter dem Oberlicht Lothar Baumgartens Monument für die indianischen Nationen Südamerikas - eine Reihe von Namen, die mit roter Mineralfarbe als Fries zugleich ein Stück Architektur sichtbar macht. Eine Präsentation, die dem Betrachter Ruhe und Verweilen ermöglicht. Eine Auswahl, in der sich Werke von Künstlern versammeln, die das Bild einer »documenta der Neuen Wilden Malerei«, als die sie oft bezeichnet wird, wenn auch nicht korrigiert, so doch ergänzt. Und eine Inszenierung, die der Herausforderung der Rotunde standhält und sich ihr gegenüber behaupten kann. Aus der Wartestellung heraus erneut an die Spitze der documenta Die Leitung der documenta 8 wird Manfred Schneckenburger, der bereits die sechste documenta verantwortet hat, übertragen. Ein Novum in der Geschichte der Wahl von documenta-Leitern. Der Entscheidung voraus geht der über ein Jahr währende, schließlich aber erfolglose Versuch von Harald Szeemann und Edy de Wilde, ein gemeinsames Konzept für die achte documenta zu entwickeln. Szeemann und de Wilde gehen zunächst siegreich aus einem Verhandlungskarussell hervor, welches der documenta-Aufsichtsrat Mitte 1983 in Gang setzt, um den neuen documenta-Leiter zu bestimmen. Der Empfehlung einer von ihm einberufenen Expertenrunde aus mehr als 30 Museumsleuten, Kritikern und Ausstellungsmachern folgend, beauftragt der Aufsichtsrat Edy de Wilde zunächst, mit Harald Szeemann, Kaspar König, Wulf Herzogenrath und Germano Celant über die gemeinsame Leitung der achten documenta zu verhandeln. Nach dem Auseinanderbrechen des schweizerisch-niederländischen Tandems hofft Edy de Wilde, die Alleinverantwortung übertragen zu bekommen. Seine Hoffnung trügt. Der Aufsichtsrat der documenta beruft unter Hinzuziehung eines kleinen Expertenkreises Manfred Schneckenburger zum neuen Chef - nicht zuletzt auch wegen seiner sofortigen Verfügbarkeit und, wie gemunkelt wird, aus handfesten Interessen einiger Mitglieder des Auswahlgremiums. Weltuntergangsstimmung: ein Grundtenor der achten documenta Die Chance seiner späten Ernennung nutzt Schneckenburger konsequent. Er stellt sich sein Team, das in vielen Positionen personenidentisch ist mit dem der documenta 6, allein zusammen. Die Entwicklung der Konzeption vollzieht sich im stillen. Erst wenige Wochen vor der Eröffnung der Ausstellung werden Schlaglichter dessen sichtbar, was die documenta 8 aufblenden wird. Einen eigenen Ort zwischen Kunstmarkt und Museum beansprucht die documenta 8. Sie will, laut Schneckenburger, ohne stilistische, theoretische und mediale Festlegungen ihr Augenmerk auf die »neue historische und soziale Dimension der Kunst« legen und zugleich ihre Doppelbödigkeit zwischen Autonomie und Funktion aufzeigen. Unter diesem gedanklichen Dach sollen Einlassungen der Kunst auf Gebrauch, Verwertungswelt und Alltag gezeigt werden. Auch soll Reaktionen der Kunst auf Mythos, Geschichte, Sozialpsychologie und Politik nachgespürt werden. Von Öffnung und Wechselspiel zwischen Skulptur, Architektur und Design ist die Rede. Als Ereignisorte sind die Ausstellungshäuser Fridericianum und Orangerie, der Park in der Karlsaue sowie - erstmalig - Teile der Innenstadt vorgesehen. Damit nicht genug: Performances, Theaterereignisse, ideale Museen von Architekten, Video- und Audiotheken, ein dreibändiger Katalog und ein Kurzführer sollen das (Unterhaltungs-)Programm der documenta ergänzen und bereichern. Disparate Exponate und Zitate - Die Rotunde der documenta 8 In der Rotunde des Museums Fridericianum spiegelt sich die konzeptionelle Beliebigkeit der gesamten documenta 8 wider. Im Halbrund des Erdgeschosses ist die monumentale Installation von Hans Haacke plaziert, die das finanzielle Engagement der Deutschen Bank mit dem Apartheid-Regime in Südafrika und die Kapitalverflechtung mit dem Autounternehmen Daimler-Benz thematisiert. Das in die dritte Dimension gebrachte Signet der Deutschen Bank umrahmt ein Foto, auf dem ein Trauerzug aus Schwarzen, die einen von Polizisten erschossenen Jungen zu Grabe tragen, abgelichtet ist. Auf dem Kubus-Signet (das Anfang der 70er Jahre Anton Stankowski bereits auf einer Messe vorstellte) dreht sich der Mercedes-Stern, um ihn herum sind Text- und Dokumentationstafeln plaziert. Im ersten Stock der Rotunde installiert Richard Serra eine gebogene, das menschliche Maß weit überragende Cortenstahlplatte. Versetzt zur Außenwand der Apsisform markiert sie eine sich verengende Sackgasse. Eine physisch bedrohende Situation, die keinen Ausweg, nur den Rückzug zuläßt. Im Treppenumgang des zweiten Stocks verwandelt Serge Spitzer den Museumsraum durch sparsame Eingriffe in eine desorientierende, das Gefühl von Sicherheit störende Situation. Das Rotunden-Geländer ist von der Vorderkante abgerückt und erscheint so labil aufgestellt, daß ein Herantreten nicht geboten erscheint. Ein nachgebauter Aufzugskasten ist über den Rand geschoben und droht in die dreigeschossige Rotundenöffnung herabzustürzen. Ein anderer, gleichfalls geschlossener, leicht gekippter Aufzugskasten verstärkt das Gefühl der Bedrohung und Labilität in diesem räumlichen Ambiente. An die der Rotunde gegenüberliegenden Wände des ersten und zweiten Geschosses hängt Barbara Kruger zwei etwa 3 x 3,50 m große Fotoarbeiten. Mit ihren Wort- Bild-Parolen will sie im übertragenden Sinne den Betrachter in Bewegung halten, ihn mündig machen gegen politische, aber auch kulturelle Verdummung. Den Besucher kulturell und visuell mündig machen? Der Ort, an dem Barbara Kruger dies plakativ verkündet, ist geradezu ein Beleg dafür, wie sehr der Besucher sich allein zurechtfinden muß zwischen untereinander unvergleichbaren Arbeiten und ihrer ebenso unübersichtlichen wie auch überfrachteten Präsentation. Die Rotunde - ein Bild der Philosophie und visuellen Erscheinung der documenta Von Anfang an ist die documenta als Chance verstanden worden, ein bestimmtes Bild von der Geschichte der Kunst und ihrer Vermittlung aufzuzeigen. In diesem Sinne ist die documenta nie nur eine Kunstausstellung, die sich mit neutralem Dokumentieren und Aufblättern von künstlerischen Stilrichtungen, Entwicklungslinien, Manifestationen und programmatischen Setzungen begnügt. Sie zeigt immer auch angreifbare Positionen und mögliche Perspektiven auf, stellt Bezüge zueinander her und reagiert auf Entwicklungen des Ausstellungs- und Kunstbetriebes. Die documenta ist immer auch ein Ort, an dem Ausstellung und Kunst in der von den verantwortlichen Machern formulierten Vorstellung zueinander geführt werden. Dieser Einfluß ist so augenfällig, daß er sich in der Erscheinung und in der visuellen Struktur der Ausstellung deutlich niederschlägt. Bereits in der Rotunde wird dabei ein Bild der Ausstellungsphilosophie der documenta und ihrer visuellen Erscheinung gegeben. Die documenta l nutzt beispielsweise die Rotunde, um in das Thema einzuführen: Europäische Künstler aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Und bei den documenta- Ausstellungen 4 bis 6 werden für die Rotunde Arbeiten ausgewählt, die Schlüsselfunktionen haben und zugleich durch ihre Präsentation erheblich zum Mythos der documenta mit ihren inszenatorischen Improvisationen beitragen. Mit dem Verlust des offenen, großzügigen und kommunikativen Treppenraumes ist dem zentralen Domizil der documenta, dem Museum Fridericianum, eine gravierende architektonische Verletzung zugefügt worden. Und die Tauglichkeit des Hauses für die Präsentationen aktueller Weltkunst ist, auch durch die übrigen Umbaumaßnahmen, erheblich beeinträchtigt worden. Die Gefahr des Identitätsverlusts ist aber nicht allein in den Restaurierungsarbeiten und Umbaumaßnahmen im Museum Fridericianum zu sehen. Eine zumindest gleichgroße Gefahr liegt in der Ausstellungskonzeption der documenta selber. Beinhalteten die Beuysschen Arbeiten der documenta 6 und 7 (»Honigpumpe am Arbeitsplatz« und »7000 Eichen«) in der Tat eine »neue soziale Dimension der Kunst«, so entpuppt sich diese Ankündigung Manfred Schneckenburgers im Hinblick auf die Kunst der documenta 8 zu weiten Teilen als Etikettenschwindel. Und der soll bekannterweise manchmal auffliegen. documenta 1 Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts Internationale Ausstellung, Kassel 15. Juli bis 18. September 1955 Museum Fridericianum Leitung der Ausstellung: Professor Arnold Bode Exponate: 570 Werke von 148 Künstlern aus sechs Ländern Katalog: Bildband im Prestel-Verlag, München Zahl der Besucher: 130 000 Entstandene Kosten: 379 000 DM documenta 2 Kunst nach 1945, Malerei - Skulptur - Druckgraphik Internationale Ausstellung, Kassel 11. Juli bis 11. Oktober 1959 Museum Fridericianum - Orangerie - Schloß Bellevue Leitung der Ausstellung: Professor Arnold Bode Exponate: 1770 Werke von 326 Künstlern aus 23 Ländern Katalog: Textheft und drei Bildbände im Verlag DuMont Schauberg, Köln Zahl der Besucher: 134 000 Entstandene Kosten: 991 000 DM documenta 3 Internationale Ausstellung, Kassel 27. Juni bis 5. Oktober 1964 Museum Fridericianum - Orangerie -Galerie an der Schönen Aussicht Leitung der Ausstellung: Professor Arnold Bode Exponate: 1450 Werke von 280 Künstlern aus 21 Ländern Katalog: Zwei Bildbände im Verlag DuMont Schauberg, Köln Zahl der Besucher: 200 000 Entstandene Kosten: 2 437 000 DM documenta 4 Internationale Ausstellung, Kassel 27. Juni bis 8. Oktober 1968 Museum Fridericianum - Orangerie - Galerie an der Schönen Aussicht Leitung der Ausstellung: Professor Arnold Bode Lt.d.Ausschusses Malerei: Dipl.-lng. Jean Leering, Eindhoven Exponate: Über 1000 Werke von 152 Künstlern aus 17 Ländern Katalog: Zwei Bildbände bei Druck & Vertag, Kassel Zahl der Besucher: 207 000 Entstandene Kosten: 2 146 000 DM documenta 5 Befragung der Realität - Bildwelten heute Internationale Ausstellung, Kassel 30. Juni bis 8. Oktober 1972 Museum Fridericianum - Neue Galerie Generalsekretär: Harald Szeemann Exponate: Etwa 180 Künstler beteiligten sich mit Werken bzw. Aktionen, zusätzl. umfängl. Kabinette m. Alltagskultur Katalog: 1 Aktenordner bei documenta GmbH/Berteismann GmbH Zahl der Besucher: 220 000 Entstandene Kosten: 3 480 000 DM documenta 6 Internationale Ausstellung, Kassel 26. Juni bis 2. Oktober 1977 Museum Fridericianum - Orangerie - Neue Galerie - Auepark Künstlerischer Leiter: Manfred Schneckenburger Exponate: 1400 Werke und Werkreihen von 492 Künstlern Katalog: Drei Bände im Schuber, Verlag D+V, Paul Dierichs, Kassel Zahl der Besucher: 355 000 Entstandene Kosten: 6 048 000 DM documenta 7 Internationale Ausstellung, Kassel 19. Juni bis 28. September 1982 Museum Fridericianum - Orangerie - Neue Galerie - Auepark Künstlerischer Leiter: Rudi Fuchs Exponate: Rund 1000 Werke von 182 Künstlern Katalog: Zwei Bildbände im Verlag D+V, Paul Dierichs, Kassel Zahl der Besucher: 380 000 Entstandene Kosten: 8 294 300 DM documenta 8 Internationale Ausstellung, Kassel 12. Juni bis 20. September 1987 Museum Fridericianum - Orangerie - Auepark - Innenstadt Künstlerischer Leiter: Manfred Schneckenburger Exponate/Künstler: 150 Künstler, Designer und Architekten (außer Performer) Katalog: Drei Bildbände im Schuber, Verlag Weber & Weidemeyer, Kassel Zahl der Besucher: ca. 450 000 werden erhofft Entstandene Kosten: ca. 10 000 000 DM