MALEREI, IMPETUS DES GEISTIGEN Chang Yen-yüan, Autor und Kunstkritiker der Tang-Zeit, dem wir ein unschätzbares Dokument über Leben und Werke der großen Meister der Chinesischen Malerei verdanken, hat uns den um 845 verfaßten Grundsatz überliefert: 'Wer seinen Geist wirken läßt und den Pinsel bewegt, ohne sich des Malens bewußt zu werden, rührt an das Geheimnis der Malkunst.' Und weiters gibt er uns mit einer Anekdote, wo der Maler nach dem Geheimnis seiner Kunst befragt wird, mit der Antwort zu wissen: '... meine Gemälde sind nichts als Pinselstriche und Kleckse.' Wie so oft wird ein Rückblick in die Weite der Vergangenheit und in eine andere Kultur zur Metapher einer Gegenwärtigung, und im besonderen gleichnishaft zutreffend auf die Kunst von Joanna Gleich. Es ist die Geste des Malens, die von der Malerei selbst erzählt. Joanna Gleich’s Malerei ist somit eine Art Handschrift, und wer diese 'Bilderschrift' zu lesen verstehen lernt, wird in der Harmonie der Komposition das Werden und die Auflösung, das Erscheinen und Verschwinden begreifen und wird nachvollziehen können, wie sich diese Textur des sichtbar Gewordenen in die Gestaltlosigkeit des Substantiellen zurücknimmt. In ihren Bildern ist keine vordergründige Abbildung der Welt sichtbar, sondern eine Realwerdung derselben spürbar. Sie bebildet so die Grenze zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem. Das Bild ist sozusagen der Ort, an dem das Dargestellte nicht abgebildet, sondern enthüllt werden kann. Die Ästhetik dieser Anwesenheit verlangt nach Standhaftigkeit und so haben die Werke von Joanna Gleich auch eine eindeutige Grundlage, eine Bodenständigkeit, auf der sich die Epiphanie sinnlich ausbreiten kann. Der Pinsel wird zum Instrument einer geistigen Befreiung. Es ist das Phänomen der Ungegenständlichkeit, das in uns Gestalt annehmen soll. Ihre Linien sind Kontur und Volumen zugleich. Diese Verbindung von Masse und Leere wirkt mit melodiöser Durchsichtigkeit auf das Wesentliche der Formen ein, ist Musik, die das Auge hört. Vergleiche mit musikalischen Motiven hinken freilich, aber der Puls von Farbklängen ist in ihren Werken spürbar. Joanna Gleich kann jenseits von Abbildern die ganze Ursprünglichkeit und Dynamik der Natur ausdrücken und mit dem rein Bildnerischen die beste Wiedergabe dessen erreichen, was nicht sichtbar ist. Sie verkörpert die Malerei schlichtweg, ist ausschließlich Malerin mit wacher Sensibilität und großem Können, in sich selbst gefestigt, sodaß sie ihrem Gestus freien Lauf geben kann. Joanna Gleich ist unbefangen genug, um auch das Poetische und das Räumliche in ihr abstraktes Prinzip einfließen zu lassen, um so die Lebendigkeit aller Dinge als Bewegung sichtbar zu machen. Es ist jedoch ein Raum, der nicht räumlich gesehen wird. Der dekorative Wert ihrer Bilder verweilt nicht im Schönen, sondern wird Mitteilung einer inneren Vision, mit der sie Vorstellungen beim Betrachter erweckt. Sie erfindet keine neue Kunst, ist nicht krampfhaft bemüht, etwas Sensationelles zu schaffen, sie verbindet und integriert künstlerische Strömungen zu einem unverwechselbaren, der Geschlossenheit verpflichteten Werk. Daher ist es auch müßig, Vergleiche mit Einflüssen aus dem Abstrakten Expressionismus oder der Informelkunst aus Österreich anzustellen. Ihre Wurzeln liegen in Polen, ihre künstlerische Heimat ist hier. Daraus ergibt sich eine Konfluenz, die frei waltend, Spuren des Un-nachahmlichen und Unverwechselbaren großer Kunst hinterläßt. ©Heinz Placek 2000, mit freundlicher Genehmigung des Autors