THEMA DOKUMENTA: 7 INTERVIEWS Fragen: Stephan Schmidt-Wulffen HARALD SZEEMANN Zeitinvesittion zu knapp SZEEMANN: Ich bin eigentlich ganz froh, daß ich diese documenta nicht gemacht habe. Wenn ich mir überlege, was ich nicht gemacht hätte: Twombly und Delacroix in diesem Jahr, Hugo, Jarry, Polke, Merz, Fautrier, Skulpturen und Monumente ihrer präzisen Reise. KUNSTFORUM: Heißt das im Klartext, daß man solche Großunternehmungen sinnvoll gar nicht mehr machen kann? Ist es reizvoller, sich etappenweise vorzuarbeiten? SZEEMANN: Beides! Wenn eine documenta gemacht wird, dann ist die Zeit dazwischen zu lang und zu kurz. Das ist immer das Dilemma. Wir haben damals irrsinnig lang gewartet. Ein Jahr vorher haben wir diese riesen Liste rausgegeben, wobei wir den Vorteil hatten, daß einfach die Hälfte das überhaupt noch nicht gekannt hat. Ausstellungen machen ist auch eine Art der langsamen Initiation, damit man am Schluß die richtigen Entscheidungen trifft, ob das nun ein Rot an der Wand ist oder wie die Abstände sind, wie das Bild atmet usw. Ich weiß, daß das bei der documenta schwieriger ist, die Pressionen sind auch so groß, der Druck da fertig zu werden usw. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, daß bei dieser documenta die Angst vor der Kunst größer war, und dann ist natürlich dann auch die Präsentation dementsprechend. Obwohl, das fand ich bei der siebten auch. Diese Konfrontationstour, die ist einem ja nach dem zweiten Stockwerk auch wieder zum Hals herausgekommen. Die investierte Zeit, die dann automatisch neue Überlegungen bringt und eine Neusicht, die schien mir hier auch wieder vernachlässigt. KUNSTFORUM: Sie waren ja damals selbst auch als documenta-Chef im Gespräch. Gab es damals schon von ihrer Seite Vorstellungen, was sie machen wollten? SZEEMANN: Unmittelbar nach der siebten documenta gab es einen Zeitgeist, den ich eine sehr gute Antwort fand, weil er den einzelnen wieder gelten ließ. Und nicht eben goldener Kounellis neben gelbem Baselitz und Richard Long, der mit Erde arbeitet, liegt bei Kiefer. Sondern daß man den einzelnen wieder wirklich ernst genommen hätte. Ich meine, das war die Ausgangssituation für die documenta 8 für mich. In dem Punkt waren de Wilde und ich uns wenigstens einig, daß man versuchen sollte, im Jahre 87 die Antwort zu geben, welches die Guten von heute sind, nicht? Ohne die Mätzchen der Konfrontation oder der Ausweitungen in zu viele andere Medien. - Das war eigentlich Ende 84 der Stand. KUNSTFORUM: Also eine Ausstellung von Persönlichkeiten, die in all ihrer Komplexität vorgestellt worden wären. SZEEMANN: Genau, und über die Stile hinweg. Gut, natürlich haben wir darüber diskutiert. De Wilde wollte anfangen mit Dubuffet, der damals noch lebte. Es sollten dann auch nur lebende Künstler sein. Wo ich dann wieder Mühe hatte. Aber sonst hat man sich einigermaßen in den wichtigen Positionen dann doch getroffen. Das war das Anfangsnetz. Nun ist es ja klar: Wenn man dann dran hockt und eben nur noch an das denkt, dann ergeben sich doch plötzlich andere Ausgänge. Ich war dann ganz froh, daß die documenta de Wilde gewissermaßen abserviert hat und ich es dann, ihm gegenüber, nicht mehr machen konnte. Obwohl ich es damals wirklich gern gemacht hätte. KUNSTFORUM: Immer wieder taucht das Schlagwort vom Ende der documenta auf. Wie stehen Sie dazu? SZEEMANN: Ich bin ja jetzt im Spanischen Kulturministerium für Ausstellungen beigezogen. Und ich sehe, daß gerade Spanien jetzt das Land ist, das eine dokumenta brauchte. Deutschland braucht wahrscheinlich mehr solche punktuellen Vertiefungen im Moment, weil dieser Nachholbedarf eigentlich gedeckt ist. Gut, die Marke läuft weiter, alle essen diese documenta- Schokolade und es ist auch gut so. Nur, bin ich eigentlich sehr froh, daß ich hier in Zürich so einen Ort habe, wo ich nun an einzelnen Künstlern eben vertiefen kann. KUNSTFORUM: Wie stehen Sie überhaupt zum Thema Interpretation in Ihrer Arbeit. Schneckenburger hat ja ein wenig wie Fuchs auch die Interpretation abgelehnt, statt auf interpretatorische Linien hat er auf Fragmentierung gesetzt. SZEEMANN: Ich habe immer mehr das Gefühl gehabt, man sollte spüren, daß da einer eine Sicht hat, die irgendwie 'ganz' ist. Die Ausstellung sollte dann möglichst eine Annäherung sein an die erste Vision. Das kann man alles, wenn auch nicht völlig, über die investierte Zeit vorbereiten. Wenn ich eine Ausstellung mache, dann will ich erst einmal - wenn der Künstler lebt - sie mit ihm zusammen machen. Ich finde immer wichtig, diese Dimension, die wir in großen Häusern geben können, daß die Aussage der Kunst finanziell eben nicht meßbar ist, die Botschaft, die nicht meßbar ist, das Objekt kann man ja besitzen. Das sollte halt möglichst rauskommen. Und das kann man natürlich nur mit dem Künstler zusammen. KUNSTFORUM: Wie sieht es denn überhaupt mit dem Aspekt 'Voraussicht' aus. Wie stoßen Sie denn auf die Schlüsselfiguren der Gegenwartskunst. Der Anspruch, den ja auch die d 8 stellt, ist ja auch zu sagen, was könnte denn nun kommen. Wie gehen Sie denn mit einem solchen Anspruch um? SZEEMANN: Je länger man sich mit Kunst beschäftigt, desto mehr ist man erstaunt, was der Bürgersinn in das Künstlersein hineininterpretiert hat. Und wenn man dann sieht, z. B. bei einem Twombly, wie da ein Leben draufgeht, um zu nuancieren und gar nicht die Mittel, die Medien zu wechseln, sondern immer am Ball zu bleiben, dann stößt man die eine Sache, die Konstante in der Kunst. Dann gibt es eine andere Konstante, das ist die konzeptuelle. Duchamp hat es ja vorgelebt, daß er jahrelang nichts getan hat als Schachspielen, bis es wieder kam. Ich meine, da finde ich dann, daß etwas, was als Leben simpel aussieht, nach außen, daß diese Anreicherung anders passiert und nicht so augenfällig. Das ist natürlich immer die Perspektive der Kunst, und da ist sie ja eben auch politisch, weil da ist sie am fragilsten. KUNSTFORUM: Hat Ihnen dieser Aspekt in Kassel gefehlt? SZEEMANN: Was mir gefehlt hat in Kassel, ist eben ein Statement: Was ist jetzt für uns noch geblieben von dieser Malerei? Das, finde ich, hätte jetzt wirklich gemacht werden müssen. Gut, ist Kiefer da, aber wie stellt man sich zu Baselitz oder wie stellt man sich zu Leuten wie Graubner, die nun auch immer mehr aufs Raffinieren hingehen. Beschränkt sich das jetzt alles auf eine abstrakte Äußerung von Richter oder nicht ... Wieso dann Artschwager mit neueren Bildern, wieso gerade nur Golub ... Wieso dann Morris, und nicht Judd? Ich finde gegenwärtig beide gleich schlecht, aber wenn es schon um Positionen geht. KUNSTFORUM: Noch mal zurück zur Utopie. Kann man denn aus der Kenntnis der Prozesse, wie Kunst sich entwickelt, Möglichkeiten in der Zukunft aufzeigen? SZEEMANN: Das sind halt immer so Schlagworte ... Für mich wird es erst interessant, wenn da irgendwo eine mysteriöse Ecke drin ist, die sich dem entzieht. Von daher bedauere ich eigentlich, daß der Mucha nicht dabei war, denn der ist formal irrsinnig gut und gleichzeitig ist er doppelt und dreifach bödig. Was ich mir immer vorgestellt habe, daß es einmal kommen müßte, ist ein Marcel Duchamp der Malerei. Denn alles Wegweisende in der Moderne ist immer mit dem Objekt entwickelt worden. Teilweise auch in der Malerei, aber wo zuviel Geheimnis war, wurde die Malerei nicht so gut. Ein Beispiel ist für mich Max Ernst. Diese Dimension hatte die neue Malerei nicht. Deshalb auch versuchen es die Jungen wieder über die drei Dimensionen, als Reaktion. Dort ist für mich eine Dimension, die mir jetzt zu übergangen ist. Gut, der Laib ist da, und ich finde das auch wirklich einen tollen Raum. Da sehe ich im Moment eigentlich am meisten, muß ich sagen. Harald Szeemann, freier Ausstellungsmacher mit festen Bindungen an die Kunsthalle Zürich, bewies schon anno 1969 Riecher für die grundlegenden Kunsttendenzen. 1972 leitete er die documenta 5 und läutete unter der Überschrift 'Individuelle Mythologien' das Ende der Konzeptkunst ein. Szeemann eröffnete gerade eine große Delacroix-Ausstellung im Kunst haus Zürich. [aus: Kunstforum International, Band 90, 1987, S. 320]