MARKUS BRÜDERLIN "De sculptura" Messepalast Wien, 15. Mai - 20. Juli 1986 Die Einladungskarte mit der Künstlerliste ließ schon erahnen, was einen in der Halle U des Wiener Messepalastes erwarten würde: Neben Klassikern der Minimal-art und Arte Povera wie C. Andre, J. Dibbets, D. Judd, D. Flavin, R. Long, M. Merz, B. Nauman, U. Rückriem, R. Serra und auch J. Beuys, standen da Namen von jüngeren z.T. noch wenig bekannten Künstlern: R. Adrian X, T. Cragg, W. Kopf, W. Laib, R. Mucha, J. Opie, Th. Virnich, L. Weinberger, F. West und H. Zobernig. (Die letzten drei sowie Kopf und Adrian stammen aus Österreich). Dazwischen sind eingestreut Marisa Merz, Cy Twombly, Royden Rabinowitch und Karl Prantl, der diesjährige Biennalevertreter im Österreichpavillion in Venedig, zu lesen. Nach dieser nominellen Übersicht also war zum einen eine Gegenüberstellung oder Durchmischung von älteren bereits klassischen Positionen aus den 60er und 7()er Jahren mit Werken von Jungplastikern zu erwarten und zum ändern die Demonstration einer bestimmten Auffassung von Skulptur, die, entgegen den bunten Malerplastiken der letzten Jahre, sich an den elementaren und abstrakten Werten von Raum, Zeit, Volumen, Gewicht und Material orientierten. Sicherlich ging es dem Inszenator Harald Szeemann aber weder um das buchhalterische Belegen von Kunstkategorien mit entsprechenden Exponenten, noch um das Abstecken eines neuen Stilbegriffes, sondern mehr um eine bestimmte Grundstimmung, die er auch in der Vorläuferausstellung mit dem geheimnisvollen Titel " Spuren, Skulpturen, Monumente ihrer präzisen Reise"im Winter im Zürcher Kunsthaus (vgl. Kunstforum Bd. 82) vorsondiert hatte und nun in Wien mit weniger Begriffszauber verhüllt zwischen den Wänden des Messepalastes erneut zum Schwingen brachte. "De sculptura"hieß sie und wurde von dem verführerischen Untertitel "Tu felix sculptura - nube spatium" begleitêt. Geheiratet wurde die alles andere als jungfräuliche, 2270 qm große Halle U der ehemaligen k.u.k. Hofstallungen, dem jetzigen Messepalast, gegen den Szeemann vor drei Jahren wegen fehlender "Patina" und den nicht für die Kunst ..geweihten" Wänden, noch Bedenken anmeldete. Doch mit minimalen Eingriffen schuf er eine spannungsvolle Gestimmtheit zwischen musealer Würde und experimenteller Atmosphäre, womit auch den erwähnten Klassikern etwas von ihrem damaligen Pioniergeist der 6(0er Jahre zurückgegeben wurde. Daußen im Hof trifft man zunächst auf die irritierende Kartenhauskonstruktion aus tonnenschweren Stahlplatten von Richard Serra (konzipiert zur Münster-Ausstellung 1977), die in ihrer Purheit einen Gegenakzent zu den historistischen Ornamentfassaden bildete. Drinnen erschien der große Zentralraum zunächst wie eine Lagerhalle, auf deren Boden vereinzelt Objekte, "Bestandteile" oder "Instrumente" verstreut lagen: Ein Steinquader, ein drei Meter großes Metallparkett, ein langer Teppich aus Aststücken, ein Kreisring - alles flach am Boden. Eindrücklich war dann, wie nach diesem anfänglich naiven Lagerhauseindruck mit beziehungslos verstreuten "Waren", die in ihrer Dimensionierung der Halle manchmal auch den Charakter eines Spielzimmers verliehen, jedes der Kunstwerke durch seine inneren formalen Spannungen den Raum zu behaupten begann. Dies geschah oft so stark, daß von Andres Platten zu Merz' Iglu oder zu Longs Steinkreis mehr Platz nötig gewesen wäre. Szeemann hat in dieser zentralen Halle quasi ein Panorama von Pionierstücken aus der Minimal-art und Arte Povcra versammelt: Andres "Meditation über das Jahr 1960". Naumans legendärer "Spiegel mit Loch" von 1968, oder Merz' "Che fare" von 1969. Dazu gesellten sich Beuys' Objektinstallation "Grond" 1981 und Rückriems eigentlich für den Michaelerplatz bestimmte Granitsteine von 1985, die ebenfalls durch die strenge Unmittelbarkeit des Materials, der Form und des Volumens wirkten. Szeemann bemühte sich, diese Werke nicht bloß als Zitate einer bereits in die Kunstgeschichte eingereihten Stilrichtung aufzulisten, sondern sie in ihrer eigentlichen, physischen Kraft zur Entfaltung zu bringen, um, wie er sagt: "...die Künstler, die noch geblieben sind, wieder in ein Konzert der (neuen jungen?) Skulpturen einzubinden." Die Neutöner in diesem Konzert ließ der Harmoniker Szeemann vorwiegend in den Seitenkapellen spielen. Hier war der Grundtenor gegenüber dem einheitlichen braun-in-braun-Ton in der Mitte eher eine spielerische Melodik mit variantenreichen Untertönen. Ursprünglich sollten ja auch die figürlichen Plastiken junger Maler gezeigt werden, was natürlich "die Grundstimmung" zu stark gestört hätte. Szeemann hat sich aber dann bei den Jungen auf"diese Art der neuen Plastik konzentriert", die in ihrem Erscheinungsgestus "Ähnliches" wie die alten vorstellt. Das"Ähnliche", was nun in den dem zentralen "Pantheon" angegliederten Räumen zu sehen war, beschränkte sich aber bloß auf das Äußere - auf die Reduktion der plastischen Mittel. Arbeiten wie Craggs abstrakte Quasiarchitektur, oder im spannungsvollen Gegenüber Muchas, auf den reinen Namen "Bonn" reduzierten, geographischen Topos, der ein weites Feld von sprachlichen Assoziationen eröffnet, dann Wests verkrustete Quasiobjekte, die mit dem Funktionalen necken, oder Kopfs Ironisierung des Stereometrischen sowie Zobernigs lapidare Kartonskulpturen, die mit ihrer coloristischen Magie der schwarzen Oberfläche Tiefe suggerieren - sie alle machen bewußt, daß im Zeitalter der Enträumlichung des Raumes und der Versprachlichung der körperlichen Objektwelt die Plastik sich nicht mehr in der Eigentlichkeit ihres physischen Daseins behaupten kann, sondern nunmehr als vielschichtiges Aggregat von malerischen, poetischen, materialen, plastischen und zeichenhaften Elementen, die sich durchdringen, verstärken oder auch gegenseitig neutralisieren. Folgerichtig werden rhetorische Momente wie die Ironie oder die Metonymie und das Spiel mit Randkategorien der Skulptur (Objekt, Modell, Monument oder Architektur) wichtig. Entscheidend ist nun, daß die Komplexität und der Beziehungsreichtum dieses Bündels von Phänomenen nicht einfach in einer expressiven Überfülle an Wahrnehmungsdaten vermantscht, sondern mit der Elementarsprache abstrakt- plastischer Grundelemente "auf den Punkt gebracht werden". Elementarität und Komplexität - das Banale und das Sublime - letzteres vereint Cy Twombly als Vorläufer der Bricolage der 80er Jahre in seinen durch die weiße Bemalung geadelten Atelierobjekten schon seit 1955. Die aber erst seit kurzem als autonome Skulpturen wahrgenommenen Arbeiten waren ja auch das auslösende Moment für die Zürcher Ausstellung und wurden in Wien in einem eigenen Raum solo gezeigt. "De sculptura"gab eine Ahnung von den neuen Qualitäten, die durch die Konfrontation mit gestandenen Positionen der minimalen und poweren Plastik der 60er und 70er Jahre noch verdeutlicht wurde. Sie dürfte in Zusammenhang mit dem allgemeinen Stimmungswandel und im Vorfeld der documenta mehr als nur ein Hinweis gewesen sein. Vergessen werden darf bei dieser, von subjektiven Zufällen und Hintergedanken sicherlich nicht ganz freien Schau, der Pionier- und Demonstrationscharakter für die aktuelle Kunstsituation des traditionsbelasteten Wien: Im Zusammenhang mit der Entfernung der Serraplastik im Hof des Messepalastes fragte sich eine hiesige Boulevardzeitung: "Nun ja. Was war es eigentlich? Das dürfte der Künstler selbst nicht gewußt haben". (Von hier, dem westlichen Rand des Balkans, soll die Ausstellung auch weiter nach Madrid reisen.)