Sabine B. Vogel: Kabakovs Schießbude trotzt dem schwierigen Raum, Beuys' nasse Wäsche kapituliert FAZ online, 25. September 2001 Langsam belebt sich das Wiener Museumsquartier. Die erste große Eröffnung des Geländes wurde schon im Sommer gefeiert, aber die Museen hielten ihre Tore bislang verschlossen. Jetzt lädt das Museum Moderner Kunst in seinem Neubau zur großen Tour: Auf sechs Stockwerken ist eine Präsentation der Sammlung zu sehen. Das "Museumsquartier" bezeichnet ein 60 000 Quadratmeter großes Gelände mitten in Wien. Den historischen Teil erbaute 1723 der Architekt Fischer von Erlach. Den Auftrag für die Umwandlung der Anlage mit ihren zahlreichen Innenhöfen, der barocken Front und der pompösen Winterreithalle erhielt das Architektenduo Laurids und Manfred Ortner in Zusammenarbeit mit Manfred Wehdorn, der für die historische Substanz zuständig war. Außen änderte sich nichts, aber vor allem im zentralen Innenhof ist eine einzigartige Mischung von historischer und zeitgenössischer Architektur entstanden. Vergessen sind die vielen zermürbenden Streitereien während der Bauzeit, aber ein Detail bleibt weiterhin im Gespräch: der nie realisierte Leseturm, der über die Dächer der historischen Anlage hinaus ein Zeichen setzen sollte. Jetzt ist von außen nicht einmal zu erahnen, daß sich hinter diesen Mauern ein beeindruckend vielstimmiges Zentrum für zeitgenössische Kultur mit rund zwanzig unabhängigen Institutionen, mit Buch- und Museumsshops und Gastronomie verbirgt. Dabei stehen hier gleich drei bedeutende Ausstellungshäuser dicht nebeneinander: das Leopoldmuseum mit seiner Sammlung rund um Schiele, Klimt und Kokoschka (F.A.Z. vom 22. September); die Kunsthalle mit ihren zeitgenössischen Wechselausstellungen und das Museum Moderner Kunst mit der Sammlung Ludwig und der Sammlung Hahn. Über 5000 Kunstwerke umfaßt der Bestand des Museums, aber auf den 4800 Quadratmetern präsentiert Direktor Lorand Hegyi nur eine kleine Auswahl: 400 Werke, teils frühere Ankäufe, teils aus seiner elfjährigen Amtszeit. Das Museum wurde erst 1962 gegründet, anfangs von Werner Hofmann, Alfred Schmeller und dann Dieter Ronte geleitet. In den siebziger Jahren kamen die Stiftung Ludwig mit den Schwerpunkten Pop-art und Fotorealismus und die Sammlung Hahn mit den Schwerpunkten Fluxus und Nouveau Realisme hinzu, die jetzt jeweils eigene Räume erhalten. Hauptziel von Hegyis Sammlungstätigkeit war der Ausbau der bestehenden Sammlung, die mit Joseph Kosuth, Donald Judd oder Keith Sonnier, aber auch Jannis Kounellis oder Michelangelo Pistoletto erweitert wurde. Einen neuen Schwerpunkt setzte er mit "Kunst aus Mitteleuropa", einer Sammlung der klassischen Avantgarde mit Künstlern wie Lajos Kassak, Frantisek Kupak, László Moholy-Nagy, die bis in die Gegenwart reicht und dem Haus ein bemerkenswertes Profil hinzufügt. Das Museum, ein fensterloser Granitsarkophag, stellt die Besucher allerdings vor eine eigenwillige Herausforderung; denn der Eingang liegt auf Ebene vier, also mitten in der Tour, die unten im Keller auf Ebene eins beginnt. Hier sollte ursprünglich der Übergang zum Leseturm sein. Dann war der Raum mit seinen offenliegenden Versorgungsrohren als Depot geplant, bis er jetzt im Zuge von Platzmangel für Wechselausstellungen genutzt wird. Erfindungsreich als "Factory" tituliert, zeigt Hegyi hier "Diskursive Malerei" - Positionen rund um selbstreflexive, die eigenen Erscheinungsweisen thematisierende Gemälde, von Peter Halley, Jessica Stockholder bis zu Österreichern wie Herbert Brandl oder Jakob Gasteiger. Auf gleicher Ebene finden sich auch Teile der klassischen Sammlung von Expressionismus bis Wiener Aktionismus, was einen spannenden Perspektivenwechsel auf das Medium Malerei ergibt. Den Flur beherrscht übrigens Peter Weibels Rieseninstallation "Vertreibung der Vernunft. Der kulturelle Exodus aus Österreich": Über eine lange Monitorreihe laufen fast 4000 Namen und Kurzbiographien von Künstlern, Wissenschaftlern, Philosophen und vielen anderen. Der Beipackzettel erklärt das als "Chronik des Verfolgens und Vernichtens" während der Zwischenkriegszeit - ein Werk, das ohne Begleittext so nicht zu entschlüsseln wäre. Diese Kombination im Sinne einer Unterbrechung der ausgewiesenen Kategorien ist typisch für Hegyis Auswahl. Die Sammlung ist nicht chronologisch gehängt, und auch die begrifflich und thematisch getroffenen Zuordnungen werden nicht strikt eingehalten, sondern lassen unerwartete Kombinationen zu. Kabakovs gammelige Wohnungstür, die zu seiner "Schießbude" führt, in der mit "Munition" auf Bilder geworfen werden kann, sticht eklatant heraus aus der neutralen Schlichtheit der Räume - zumal diese Gleichförmigkeit immer wieder unterbrochen wird von Tapetentüren. Diese keineswegs versteckten Wandöffnungen für Fluchtwege, Feuerlöscher oder Haustechnik stören die Räume höchst unangenehm, und nicht alle Werke vermögen sich dieser Einmischung mit der Leichtigkeit von Kabakov oder auch von Lawrence Weiners Wandbeschriftung zu entziehen. Die Benennung der vielen Räume entspricht ebenfalls Hegyis Versuch, dem Haus eine Ordnung zu geben, die sich nicht als Interpretationshilfe über die Werke legt, sondern eine kleine Orientierungshilfe durch die acht Etagen bietet. So sind die Ankäufe der neunziger Jahre einfach mit "Zeitgenössische Kunst" tituliert, wie auf der Eingangsebene. Hier fällt der Blick sofort auf großformatige Fotografien von Gilbert & George. In den anschließenden Räumen sind vor allem österreichische Positionen zu sehen: Erwin Wurm, Elke Krystufek, Christine und Irene Hohenbüchler oder auch die beeindruckend dichte Sammlung verschiedener Werke von Lois Weinberger im schmalen Seitenraum. Dieser Ort gehört architektonisch zu den Problemzonen. Auf jeder Etage verlängern diese liebevoll "Kabinett" genannten Betonhöhlen die Räume. Nur wenige Werke vermögen die kalte Isolation mit sehr punktueller Beleuchtung zu bewältigen. Weinberger zählt deutlich dazu. Joseph Beuys' "Nasse Wäsche", 1979 für das ehemalige Domizil des Museums im Palais Liechtenstein mit seinen Deckengemälden, Parkettböden und Holzvertäfelungen geschaffen, bewältigt diesen Seiltanz nicht. Die Anordnung der Regenrinnen, Stühle und der tiefgehängten Glühbirne versinkt im düster-mystischen Dunkel - eine Atmosphäre, die leider durch das entsetzliche Treppenhaus, das die vielen Etagen verbindet, verstärkt wird. Die engen Treppen sind mit Gußeisen verkleidet und führen zu Brücken, an denen zwei hintereinander liegende Aufzugsreihen prunken. Es ist offenbar der Raum der Architekten; denn die wenigen Fenster der Ausstellungsräume geben den Blick auf diesen Schacht frei. Ein Fenster mit Tageslicht gibt es nur im Kuppelsaal, der bestückt ist mit langen, gebogenen und daher handangefertigten Neonröhren. Die Aussicht gibt einen wunderbaren Fernblick über die Dächer der Kunst- und Naturhistorischen Museen frei. Aber Hegyi hat diese Konkurrenz geschickt ausgeschaltet, indem genau hier Claes Oldenbourgs "Mouse Museum" steht, das nach zehn Jahren erstmals wieder aufgestellt worden ist. Gemeinsam mit den großformatigen Werken von Jasper Johns, Robert Rauschenberg und anderen wird so dem eigenartigen Raum - trotz seiner eingezogenen Halbetage, genutzt als "VIP Lounge" mit absurd niedriger Decke - ein starkes Profil gegeben. Zwischen den Kunstpräsentationen ist übrigens auf Ebene fünf auch ein Café-Restaurant eingebaut, mit poppigen Sitzbezügen, entworfen von Peter Kogler. Es wäre das einzige Restaurant im Museumsquartier ohne Terrasse, würde jetzt nicht im nachhinein noch ein kleiner Anbau hinzugefügt, der Ende Oktober fertiggestellt werden soll. Es gab in Wien nicht nur viel Kritik über die Museumsarchitektur, sondern auch über Hegyis Sammlungsentscheidungen. In dem jetzt eröffneten Museum erweist sich einiges als berechtigt, anderes als überzogener Blick aus einer recht engen Perspektive. Insgesamt gehört das "Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien" trotz der architektonischen Widrigkeiten sicherlich zu den bemerkenswerten Sammlungen westlicher Kunstinstitutionen - und dies nicht zuletzt durch Hegyis Mitteleuropa-Schwerpunkt. Ungelöst bleibt aber das Problem, wie mit Wechselausstellungen umgegangen werden soll, die während der letzten elf Jahre eine maßgebliche Aktivität des Museums waren und hoffentlich nicht auf den kleinen Kellerraum beschränkt werden. Diese Frage bleibt aber noch unbeantwortet; denn die Neueröffnung des Museums ist zugleich Hegyis Abschiedsausstellung. Noch in diesem Jahr wird der neue Direktor, Edelbert Köb, die Leitung des Hauses übernehmen - und zuallererst das sperrige, gerade neu eingeführte Namenskürzel "Mumok" wieder abschaffen.