Theo Steiner: stephen mathewson, the art of the poser Eröffnungsrede Projektraum Viktor Bucher, Praterstraße 13, 1020 Wien, 30. Mai 2000, 19:00 bekannt geworden ist stephen mathewson hierzulande vor allem mit seiner serie "chucks", portraits von lastwagenfahrern: bis dahin hatte weitgehend kris kristofferson unser bild vom lastwagenfahrer geprägt. rubber duck, wie kristofferson ihn in dem film "convoi" verkörperte, war der prototyp des heroischen einzelkämpfers. die hunderten porträts von lastwagenfahrern von sm zeigten dagegen alles andere als helden. und die von ihm dargestellten personen wirkten auch nicht unbedingt als individuen. sie trugen die immer gleiche baseballkappe und in der massenhaften hängung sahen die hunderten chucks aus wie ein und derselbe, im grunde wenig spektakuläre lastwagenfahrer. was wir heute hier in der aktuellen ausstellung neuerer arbeiten zu sehen bekommen, ist der nächste schritt in mathewsons erkundung unserer gegenwart. die chucks selbst tauchen persönlich nur noch in einem einzigen bild auf: wie in einem gruppenbild zum abschied hat der künstler sie in dem großen tableau hier rechts vom eingang noch einmal versammelt; oder wie in dem gemälde einer berufsgilde des großen holländischen malers frans hals. deren schwarze schwere hat mathewson allerdings mit skizzenhaft offener, heller leichtigkeit kontrastiert. diese arbeit trägt den titel "the hard driving eleven", wobei für uns unklar bleibt, ob die chucks nun eine fußballmannschaft gegründet haben, eine band oder womöglich sogar eine art gewerkschaft. vielleicht waren sie mit ihrer bisherigen existenz als vereinzelte und doch stereotype figuren nicht mehr zufrieden und haben sich nun einer neuen beschäftigung zugewandt. wie auch immer, in dem ersten bild der neuen serie "snack bar" werden die chucks angesprochen und in einen größeren gesellschaftlichen zusammenhang eingebettet: im bildvordergrund sehen wir einen männerkopf und in seiner sprechblase lesen wir in etwa folgendes: die natürlichen grundlagen der erde versorgen uns menschen mit zahlreichen möglichkeiten, wobei sie uns die gelegenheit geben, unsere persönlichen lebensstile zu entwerfen. schließlich, wenn wir wissen, welche materialien wir benötigen, um unsere vision zu vollenden, bringen uns die lastwagenfahrer diese materialien. die lastwagenfahrer sind nicht nur die klassischen konsumenten der fast food industrie, sondern sie sind auch eine zentrale gruppe unserer dienstleistungsgesellschaft. service is our success - dieser werbeslogan bringt die idee der dienstleistungsgesellschaft auf den punkt: wir sind für sie da - damit stellen sich uns natürlich sofort neue fragen, wie zum beispiel die folgende: wie kann ich dann die vielen und gleichartigen dienstleister voneinander unterscheiden? und damit kommen wir zur definitiven lebensweisheit der dienstleistungsgesellschaft: der vergleich macht sie sicher! die chucks und die diversen verkehrsmittel, die mathewson dargestellt hat, sind allesamt elemente einer amerikanischen, doch im grunde globalen folklore: der straßenverkehr und damit der kampf, den alle verkehrsteilnehmer täglich gegeneinander ausfechten, bietet uns ein anschauliches modell dafür, worauf es in der gesellschaft ankommt: nämlich darauf, dass man sich voneinander unterscheidet und eben nicht nur im wörtlichen, sondern auch im übertragen sinn abstand zueinander hält. indem wir die lage einer anderen person mit unserer eigenen vergleichen, erhalten wir die möglichkeit, unsere position in relation zu bestimmen - das gilt für den straßenverkehr genauso wie für den bereich der sozialen mobilität. die gesellschaft ist aber offenbar nicht nur darauf eingerichtet, differenzen herzustellen, sondern es gibt auch vereinheitlichende tendenzen: die chucks haben alle die gleiche baseballkappe; die jeweiligen namen von stars auf diesen kappen machen aus den fahrern genauso wenig individuelle figuren wie ihre eigenen durchschnittsgesichter. ähnliches gilt für die snack bar serie: die architektur der snack bars ist durchgängig standardisiert; mehr noch, die würstelstände befinden sich genauso wie die figuren in mathewsons bildern in einem ansonsten weitgehend unspezifischen raum - in der leere der nahezu unbearbeiteten malflächen werden sie in der schwebe gehalten. diese schwebe ist dabei nicht ausdruck eines quasi-kosmischen glücksgefühls, es geht hier nicht um ein entrücktsein wie bei david bowies major tom, der selig in die weiten des weltalls segelt -, sondern die chucks, die snack bars, die vehikel etc. schweben abgehoben und unverbunden eher wie abziehbilder, die zufällig irgendwo gelandet sind - an einem nichtort. auch wenn die abgebildeten figuren etwas von klischees oder schablonen haben, so vermitteln die bilder letztlich doch etwas lebendiges. zum einen resultiert das daraus, dass der künstler mit gefundenen fotos arbeitet oder auch eigene schnappschüsse als vorlagen einsetzt, so dass seine malerei etwas von dem tatsächlichen augenblick wieder holt, was sowohl in der fotografie als auch im wirklichen leben schnell verloren geht: die zufälligkeiten und unwägbarkeiten. und zweitens sind seine bilder nicht einfach repräsentationskultur von unten, heroische momentaufnahmen des alltags oder des augenblicks, sondern diese bilder sind brauchbare und gebrauchte objekte aus einem lebenszusammenhang: sie weisen gebrauchsspuren aus der werkstatt des künstlers auf und schon das material, das mathewson als maluntergründe benützt, hat nichts von den unberührten und erhabenen flächen klassischer repräsentationskultur. zahlreiche bilder sind auf sperrholzplatten ausgeführt worden, die ganz offensichtlich nicht nach einheitlichen vorgaben angefertigt worden sind. einige weisen sehr ungewöhnliche umrisse auf. in ihrer besprechung von stephen mathewsons beitrag zur serie TransAct, der letzten samstag in der zeitung DER STANDARD veröffentlicht wurde, bezeichnete brigitte huck das material kurz und bündig als "abfälle von kunstbaustellen". das trägermaterial seiner gemälde auf holz sind überbleibsel von stellwänden, sockeln und dergleichen, von objekten also, die anderer leute kunst exponieren. der künstler sammelt aber auch die sujets: aus gefundenen und eigenen fotos wählt er einzelne ausschnitte aus und bringt diese bildausschnitte mit den bereits ausgeschnittenen sperrholzplatten in zusammenhang. sich selbst macht der maler damit zu einer drehpunktperson, die unterschiedliche zufällige und nicht von vornherein zusammenhängende dinge miteinander in beziehung setzt. am anfang habe ich von den dienstleistungen im allgemeinen und von den services der lastwagenfahrer gesprochen. das ist nun also die dienstleistung des künstlers mathewson: verbindungen herzustellen. und wie könnte sein werbeslogan lauten? "service is our success", dieser werbespruch eines heimischen flugreiseunternehmers ist, wie gesagt, der paradigmatische slogan der gesamten dienstleistungsgesellschaft. wenn wir probehalber diesen slogan umkehren - "success is our service" -, dann können wir ihn zumindest auf einen teil der kunstwelt übertragen. für viele menschen besteht nämlich die leistung von künstlerinnen und künstlern nur darin, erfolg zu haben, sprich: in den medien rezipiert und von sammlern und museen gekauft zu werden. diese in ihrer reduktionistischen variante eher zynische interpretation von künstlerischer arbeit wird übrigens auch von manchen künstlerinnen und künstlern selbst vertreten. doch damit ist mathewsons programm nicht zu charakterisieren (was natürlich nicht heißt, dass ihm der erfolg nichts bedeutet): seine aufgabe als drehpunktperson ist es aber, wie gesagt, verbindungen herzustellen, bilder miteinander zu konfrontieren und dadurch eine analyse von aspekten der gegenwärtigen lebenswelt zu leisten. diese aufgabe läßt sich vielleicht eher mit dem motto "posing is our service" umschreiben. damit greife ich den titel der ausstellung auf, "the art of the poser". mit posing meine ich in diesem zusammenhang nicht den ehemaligen modetanz, bei dem posen von models aus modemagazinen nachgemacht wurden. falls mathewson sich selbst als "poser" bezeichnet, meint er nicht jemanden, der eine bestimmte stellung oder eine gekünstelte haltung einnimmt; und der künstler versteht sich auch nicht als angeber und wichtigtuer, was das englische wort "poser" nämlich auch bedeutet; aber als poser bezeichnet man im englischen darüber hinaus noch die sprichwörtliche harte nuss. und mathewson praktiziert das posing jedenfalls als "posing questions" und als "proposing", fragen aufwerfen und vorschläge machen. der künstler hat seine analyse der gegenwart fortgesetzt und auf die spitze getrieben, denn er bringt seine analyse hier im medium der ausstellung zu einem punkt der selbstreflexion: für eine spezielle gruppe von bildern verwendet er nämlich schnappschüsse von ausstellungsvernissagen als vorlagen. das ist diese serie von figuren und figurengrüppchen, die wiederum in einem leeren bildgrund schweben. nur die räumliche anordnung der stark abstrahierten körper zueinander läßt erahnen, um was für eine art von zusammenkunft es sich dabei eigentlich handelt. nur in einem einzigen fall kommt ein künstlerbild als hinweis in unser blickfeld, ein segelschiffbild wird mit aufgenommen in das neue bild: dieses trägt den titel "2 visitors at the Caspar David Friedrich exhibition". auch bei dieser serie verbindet sich mathewsons spinnennetz der querbezüge also wiederum mit der kunstwelt. dieses mal ist die kunstwelt nicht bloß unfreiwilliger lieferant von holzplatten, sondern sie stellt auch die sujets zu verfügung. das bedeutet natürlich auch, dass wir, die wir diese bilder betrachten, uns zugleich als potentielle sujets der malerei erfahren. bei der serie der chucks konnten wir uns mit lastwagenfahrern vergleichen, die ebenfalls mit problemen der individualität und der gesellschaftlichen rolle beschäftigt waren. mit der serie der snack bars hatte der künstler diese thematik auf die gesamte moderne lebenswelt bezogen und uns alle als urbane raumbenutzerinnen und -benutzer angesprochen, sozusagen als "opfer" von gesichtslosen würstelständen und verkehrsmitteln. was ist jetzt aber die rolle des kunstpublikums? fällt uns nur die aufgabe zu, claqueure zu spielen und beifall zu spenden? oder sollen wir uns der hoffnung hingeben, demnächst auch in ein bild hineingemalt zu werden? wir können aber auch das motto ausgeben "business as usual" - ein achtel wein trinken und uns unterhalten. wofür auch immer sie sich jetzt entscheiden sollten, ich wünsche ihnen dabei viel spaß und viel erfolg!