Lucas Horvath: Stephen Mathewson: Image Cannibal Eröffnungsrede Galerie PRO ARTE - Hallein September - Oktober 2000-10-29 Stephen Mathewson arbeitet in Serien. Diese Werkgruppen sind thematisch stark verschränkt und sie werden nie ganz abgeschlossen (es kann sein, daß Jahre später ein neues Bild einer älteren Gruppe zugeordnet wird). In der Besprechung des gesamten bisherigen Werks kommt man nicht umhin, näher auf die erste zusammenhängende Serie einzugehen mit der Mathewson sich dem Publikum hier vorgestellt hat, die CHUCK-SERIE. Diese kleinen Bilder sind so prägnant und sie tauchen über die Jahre an so vielen Orten auf, daß sie einer breiten Öffentlichkeit präsent sind. Als Freund und Kollege kann ich nicht leugnen, gewisse Bedenken gehabt zu haben, wie Mathewson von diesem offensichtlichen Glücksfall loskommt, mit welchen Strategien er weiter arbeitet und ob es in den neuen Arbeiten der letzten Jahre inhaltliche Kontinuitäten gibt. Im folgenden wird jetzt die Ansicht vertreten, daß Mathewsons Bilder eine differenzierte Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse beinhalten, eine Analyse, die sehr unaufgeregt formuliert und gerade deshalb so effizient ist. Angesprochen ist der Komplex Arbeit/Arbeitsbedingungen, Arbeitslosigkeit und Arbeitspausen/Freizeit, Zurück zu den Chucks: DIE TRAURIGEN HELDEN DER ARBEIT In Zusammenstellung, Ansammlung und Präsentation gleichen sie einer Art Ahnengalerie, allerdings einer für Lastwagenfahrer. Es vermittelt sich hier eine gewisse Nähe zur Agitpropkunst, wenn auch mit einem stark melancholischen Beigeschmack: den vorherrschenden wirtschaftlichen Bedingungen in der westlichen Welt entsprechend sehen wir diese Helden der Arbeit nicht im produzierenden Gewerbe in Gesten des Aufbaus, sondern als unspektakuläre Dienstleister, die Waren, welche irgendwo, von irgendwem angefertigt wurden, nur ausliefern. Grundlegende Strategie hinter diesen Darstellungen ist ein subtiles Spiel zwischen Einförmigkeit und individueller Differenzierung. Es sind beinahe identische Bilder von Menschen in goldgefärbter Jacke und Baseballmütze. Auf der Jacke ein Schild mit immer demselben Namen: CHUCK. Dem Konsumenten der niederen Dienstleistungen, die diese Figuren anbieten, gibt die Namensplakette hypothetisch die Möglichkeit, sie jovial mit dem Vornamen anzusprechen. Der Haken an der Sache: Der Name ist immer derselbe. Das heißt: in Ausübung ihres Berufes wird der Name als Identitätsrelikt per Firmendekret scheinbar preisgegeben; in Wahrheit ist diese Identität aber ausgelöscht. Im Gegenzug haben die Figuren die Möglichkeit, ihre persönlichen Vorlieben auf den Frontseiten ihrer Baseballkappen kundzutun, jenem Bekleidungsstück aus dem Freizeitbereich, das Eingang in den amerikanischen Dresscode für unterprivilegierte Arbeitnehmer gefunden hat. Hier ist der Raum für den Ausdruck der Person via Vorlieben. Die Neigungen des Privatmenschen verkommen dort zu Slogans, die den Menschen definieren, zu einem Gestammel wie Sprechblasen. Ein Ersatz für Kommunikation, um Gleichgesinnte in der Arbeitswelt auszumachen, oder auch nur ein bescheidener Hinweis darauf, daß man eben auch ein Privatleben hat. Immer wieder tauchen Namen aus der Unterhaltungs- und Musikbranche auf, die Chucks sind auch unentgeltliche Werbeträger für die diesbezügliche Industrie. Die Bilder wurden einmal recht zutreffend als "Ikonen der 90er Jahre" bezeichnet (Falter. Die Stadtzeitung 1999). Wenn sie im Block vom Fußboden bis zur Decke gehängt sind, werden die Wände zu Ikonostasen umgebildet. Das Zusammenspiel von Schrift und Bild in einer stark formalisierten Ikonografie verweist auf die orthodoxe Sakralkunst, sowie auch das wesentliche Merkmal: das goldgefärbte Jackett. DIE HEILIGE ARBEIT Die Goldfärbung der Arbeitskleidung überhöht den Wert der Arbeit in einem quasi religiösen Sinn. Um den Wert der Arbeit und ihren Lohn geht es auch in den neuen Serien Mathewsons, die um das Motiv des Würstelstandes kreisen. Wieder sind es anonyme Figuren, die um die Imbißstuben herumstehen, diesmal aber ohne die Sicherheiten, die ein goldenes Firmenjackett bietet. Ein beunruhigender Beigeschmack von Beschäftigungslosigkeit liegt jedenfalls in der Luft. Vielleicht sind sie auf Mittagspause, nach der Arbeit oder arbeitslos dem Impuls gefolgt, sich mit Hot Dogs oder Leberkäse zu stärken. Ob aus verzweifeltem Hunger, Langeweile oder zu Zwecken einer geregelten Nahrungsaufnahme ist nicht zu erkennen - es wäre auch vermessen, darüber zu urteilen, wie jeder aus eigener Erfahrung weiß. Jedenfalls erhält die Wurst und ihr Umschlagplatz in dem Bedeutungsspektrum, das bisher skizziert wurde, eine beinahe mythische Qualität. Diese Bilder sind der Schauplatz der Jagd nach dem Glück, metaphorisch oder ganz wörtlich aufgefaßt. Die gefüllte Haut wird zum magischen Füllhorn; auch wenn es ein Hamburger ist, in den der Mann auf dem Bild "Selfportrait (as Cannibal)" beißt; die isolierte Darstellung des Motivs, die ausschließliche Zielgerichtetheit der abgebildeten Handlung zeigt an: wir haben es hier mit einem Urbild zu tun (hier wieder der Verweis auf die Ikonentradition). Einem Urbild des Menschen im Zustand der Gier bzw. kurz vor Erfüllung der Lust. Der Würstelstand ist das Sinnbild eines fragilen Paradieses. Die Holzpaneele, die als Designstudien der "Professional and well thought out Snack Bar" (so die Inschrift auf einem Schild) ausgeführt sind, lassen in ihrer obsessiven schrittweisen Perfektionierung keinen Zweifel: es sind Baupläne eines glückverheißenden Ortes. Der Snackverkäufer ist die Figur des mythischen Verwalters. In der Serie "Behind the Scene: The Spin Doctor" beobachten wir den einzigen Angestellten eines Schnitzelhauses - einen Dealer der Verheißung - bei seinen berufsmäßigen Verrichtungen: Panieren, Herausbacken, Ware Ausfolgen und Kassieren und schließlich Reinigen des Arbeitsplatzes. In der Perspektive von Mathewsons Werk sind dies rituelle Handlungen: der Mann ist ein Hohepriester dieser Zeremonie. Die Strategien, die Mathewson anwendet, um den Betrachter eine derart umfassende Metaphorik näherzubringen sind souverän gewählt: Hier ist zuallererst die lakonische Bildwelt anzuführen, der unbedingt zeitgenössische Zusammenhang, der die Szenen nachvollziehenswert und annehmbar macht. Es ist ein subtiles Changieren zwischen alltäglicher Banalität und schamloser Übertreibung, in dem immer wieder gezielte und unmißverständliche Hinweise auf den universellen Anspruch der Darstellungen lanciert werden. Wie könnte das Bild aus der Serie "American Folklore" anders interpretiert werden, auf dem ein älterer Herr einen Barbecue Grill betätigt? Auf seinem Sweatshirt steht groß "LOVE" geschrieben; der Hintergrund, über den der Rauch der Grillware weht, ist viergeteilt und trägt als Inschriften die vier Jahreszeiten. Oder jene Ankündigung auf JACK'S ICECREAM STAND, die wörtlich lautet: "HERE YOU CAN GET EVERYTHING YOU WANT (OR COULD POSSIBLY DESIRE)". Und für diejenigen Besucher, die nach dem Image Cannibal suchen: er verspeist Sie seit geraumer Zeit mit Blicken durch den Sucher seiner Pocketkamera. Er verbirgt sich auf dem orangen Bild hinter den großen Lettern einer dreimaligen Affirmation, die lautet: LUNCH LUNCH LUNCH.