Realisationen Seit mindestens hundert Jahren gibt es massiven Streit in der Kunst. Streit um die Repräsentation. Nicht als Wirkung nach außen – im politischen Sinn etwa –, sondern vielmehr nach innen: Funktioniert die alte Vorstellung von der Kunst als Abbild der Wirklichkeit noch? Symbolisiert sie als Referenzbild vielleicht eine höhere Wirklichkeit? Erfrischend mischt sich Alfredo Barsuglia in den Streit ein. Bereits Paul Cézanne hatte als großer Ahnherr der klassischen Moderne mit dem Begriff der „réalisation“ die Richtung vorgegeben. Der Maler schafft für ihn mit der Natur, aber in einer Erweiterungswelt, die Realisation ist ein „Sich-Öffnen-im-Zutun“. Und das Zutun kommt nicht nur aus dem eigenen künstlerischen Vermögen, sondern auch von Vorgängern der Zunft. So provozieren die Arbeiten von Alfredo Barsuglia auch Assoziationen, die von den niederländischen Meistern des 15. und 16. Jahrhunderts bis zum „sozialistischen Realismus“ aus dem ehemaligen Ostblock reichen. Und Barsuglia bleibt ein figurativer Maler, der Natur „realisierend“ verpflichtet, ohne in Schablonenmalerei zu verfallen, wie dies bei vielen „realistisch“ agierenden Kollegen der Fall ist. Kristallisationspunkt aller Arbeiten von Barsuglia ist der Mensch, wobei es nicht um Erzählungen geht, sondern um die Fixierung eines Zustandes. Er wählt dabei ungewohnte Blickpunkte und Ausschnitte, Verzerrungen überwinden den fotografischen Charakter. Die dargestellte Kommunikation zwischen den Mensch ist bloß eine gestellte; Mimik und Gestik, die Körperhaltungen insgesamt greifen eine pathetische Form auf, die nicht nur an die mexikanischen Muralisten wie Orozco, Rivera oder Siqueiros erinnert, sondern vor allem glaubwürdig bleibt. Der Beobachter Barsuglia berichtet von seinen inneren Botschaften, die ihm die Welt aufdrängt; sein ironisch-melancholischer Blick bleibt nie in einer Nabelschau stecken und reduziert sich auch nie auf die gewohnten gesellschaftspolitischen Bildmuster: er „realisiert“ für uns ein Stück Welt. Hartwig Bischof (Die Furche; Nr. 21/2004)