Auszug aus: Feuilleton F A Z, 16.03.2001, S. 46, Timm Starl: Dreiunddreißig heißt Sioseh: Die kleinste Fotozeitschrift der Welt Es ist mehr als ungewöhnlich, daß ein Periodikum zur Fotografie den Weg in eine größere Öffentlichkeit findet, indem die zweite Nummer nicht als eigenständige Publikation, sondern als Beitrag in einer anderen Fotozeitschrift erscheint. Eine solch eigenwillige Plazierung paßt gleichwohl zu "Sioseh", deren jeweils jüngste Ausgabe von der Herausgeberin Sissi Farassat an immer anderen Plätzen vorgestellt wird: in Cafés, Buchhandlungen, Modegeschäften. Doch mit der Präsenz eines Magazins in einem anderen ist ein Spezifikum verlorengegangen, nämlich das Bild eines Mediums - da paßt es, daß "Sioseh" zuallererst durch sein Format auffällt: Die Hefte im Umfang von 36 bis 48 Seiten entsprechen der Größe einer Postkarte - aufgeschlagen, wohlgemerkt. (...) Der Käufer hält etwas in Händen, das nicht jedermann zugänglich ist und das nur wenige kennen. Er gleicht daher mehr einem Sammler, der die Schönheiten im Kleinen sucht und sich aus seinen Fundstücken einen eigenen Kosmos schafft. Eine Kundschaft dieserart ähnelt aber in gewisser Hinsicht der Herausgeberin, die ihre Themen und Autoren vornehmlich im Freundes- und Bekanntenkreis findet und diese um sich versammelt. Wiederum wählt sie einen Rahmen, der geläufig erscheint: Jedes Heft beherbergt eine Strecke mit Mode-, Reise- und Schwarzweißaufnahmen und wird eingeleitet von kommentierten Porträts, die Sissi Farassat selbst beisteuert. Doch verlieren sich die Konturen der Vorgabe fast immer, entpuppen sich die Modebilder gelegentlich als Mordgeschichte, erfolgen Reisen ebenso nach Korea wie entlang der Absperrgitter rund um das Parlament in Wien. Zudem kommen häufig andere Genres hinzu: Piktogramme, Filmstile, Comics. Man könnte sagen, die Herausgeberin formuliert gerne Grenzen, um deren Durchlässigkeit als wesentliches Merkmal bloßzulegen. Dennoch führt ihr Weg nicht zur Beliebigkeit, dazu gibt es zu viele Brüche. Sissi Farassat stellt den Mainstream in Frage, indem sie ihn leichtfüßig betritt, wie ein exotisches Universum betrachtet, neugierig registriert, was uns umgibt, und sich den gängigen Regeln des Geschmacks nicht unterwirft. (...) Die Zeitschrift "Sioseh" ist recht eigentlich keine Zeitschrift, sondern ein Kunstwerk. Jede Nummer stellt ein kleines Ereignis dar und bedeutet eine Begegnung mit der Herausgeberin, die sich fürchtet, daß es bei der Nummer 17 eine Krise geben könnte. Man wünscht ihr, diese zu meistern, hegt aber keine Zweifel, daß es ihr gelingen wird. Im Jahr 2007 wird das Projekt beendet und nicht nur Österreich um eine ebenso aufregende wie anmutige publizistische Besonderheit ärmer sein.