Globales Dorf mit Flecken Diesjähriges Festival reflektiert die Möglichkeit des "Aussteckens" und das Thema Informationszugang - Eröffnung am Samstag Bei der Frage danach, wer nun wirklich mittel-oder unmittelbar am Netz hängt, und wer nicht, landet man geografisch gesehen sofort in Afrika. Die diesjährige Ars Electronica reflektiert die Möglichkeit des "Aussteckens" und die verschiedensten Interessenslagen und Konflikte um den Zugang zur Information. Nach Einblicken in den "Info-War", in dem bestens gebriefte Krieger weder Gedanken noch Zeit an Sex verschwenden müssen, weil das Entsatzheer den Wünschen anonymer Generäle (Aufsichtsräte) gemäß im Reagenzglas heranwächst, haben Gerfried Stocker und Christine Schöpf, die künstlerischen Leiter der Linzer Ars Electronica das Motto des diesjährigen Festivals jenseits der "elektrischen" Norm angesetzt. Als selbstverständlich gilt gemeinhin der Zustand online. Mit der globalen Realität hat das wenig zu tun: "Unplugged geht von der Faktizität einer global vernetzten Welt aus, der sich auch fern der dominanten Kapitaltriade USA-Europa-Japan niemand entziehen kann (unabhängig davon, wie weit man von der nächsten Steckdose entfernt sein mag). Unplugged widmet sich den blinden Flecken der Globalisierung, jenen Barrieren mentaler wie geografischer Art, an denen der Anschluss und die Teilnahme an dieser globalen Vernetzung (,dem Netz') und den darüber transportierten Kultur- und Gesellschaftsmodellen nicht möglich, nicht erlaubt oder auch gar nicht gewollt werden." Über all dem wird dennoch die Kunst nicht vergessen. Kunst ist Teil des globalen Systems. Sie nutzt nicht nur die Medien, sie greift auch ein - in und über die Medien, in den Zentren der Industrienationen und erst recht an den Peripherien, etwa in Afrika. Wer aber setzt die Standards? Was entscheidet über Ausgrenzung oder Einschließung? Wer ist tatsächlich unplugged? Wer und was gehören dazu? Und: Bei allem guten Willen, die Weltkarten zu ändern: wie könnte der "bessere Ort" aussehen, der noch "nirgendwo" ist? Wird er sich realisieren lassen, oder sich bloß als virtuelle Simulation, als Ort computergenerierter Geborgenheit, als Zuflucht, großer Beliebtheit erfreuen? Zwischen der Absicht "Change the Map" und zum Beispiel der Möglichkeit für jedermann, computergestütztes Action-Painting in coolem 3-D zu betreiben, liegt ein weites Land. Wenn auch die Kunst ein Schauplatz globaler Konflikte ist, wer selektiert die nur unterhaltsamen von den kritischen Äußerungen? Oliviero Toscani, 2001 Gast der Ars Electronica, sprach der Medienkunst jegliche Nachhaltigkeit einfach ab. Man bräuchte doch nur den Stecker rausziehen, und schon wären all die Infos hinfällig. Als Fotograf bleibt er seinem klassischen Medium treu - und damit der Unverrückbarkeit der jeweiligen Aussagen seiner Bilder. Er stellt Behauptungen auf. Widerrufbar sind die nur mit neuen Werken. Johannes Deutsch setzt sich mit seiner Installation im "Cave" ganz andere Ziele. Er will "emotionale Antworten auf ein Kunstwerk künftig in diesem simultan als Gestaltungsmodulation implementieren können". Wie auch immer das genau abläuft, heißt das: es reagiert, ist anpassungsfähig. Des Betrachters Zustimmung oder Missfallen, seine Betroffenheit übt gestaltende Kraft aus. Eine eindeutige Absage an die letzten Genies unter den Gestaltern wie Toscani eines ist? Oder ein Verweigern vor der eindeutigen Aussage? Interaktionsangebote als Sinnbilder einer immer ungreifbareren Welt? Spielerrei am jeweiligen Höhepunkt des Machbaren? Die diesjährige Ars Electronica wirft Fragen auf, wie sie schon die Documenta 11 in weltweiten Plattformen gestellt hat. Beiden Veranstaltungen gleich eigen ist die beklemmende Tatsache, dass sich am Zustand Afrikas bis zum nächsten September kaum etwas verändert haben wird, bis zur nächsten Documenta 2007 vermutlich auch nicht viel. Der Markt verlangt aber dann von beiden Foren frische neue Themen. (mm/DER STANDARD, Printausgabe, SPEZIAL, 5.9.2002)