Timm Starl: Es geht um Schönheit in diesem Geschäft Die Wiener Kunsthalle folgt dem Trend und zeigt Fotos und Videos aus Westafrika FAZ 12. Oktober 2001 Afrikanische Fotografie hat seit gut einem Jahrzehnt Konjunktur in Europa und den Vereinigten Staaten. Zunächst wurde während der Auseinandersetzungen mit der Apartheid entdeckt, daß in Südafrika auch schwarze Fotografen tätig sind und gemeinsam mit farbigen Schriftstellern seit den fünfziger Jahren in der Zeitschrift "Drum" publizieren. Peter Magubane und Bob Gossani wurden zu geläufigen Vertretern des Fotojournalismus. Dann entdeckt man, daß schon im neunzehnten Jahrhundert ortsansässige Lichtbildner in afrikanischen Städten und Städtchen gearbeitet hatten. Schließlich interessierten sich mehr Ausstellungsmacher für die unbekannte Bildwelt, die das geläufige Spektrum der Arbeiten aus westlichen Industrieländern um neue Aspekte zu bereichern vermochte. Im Jahr 1996 gab das Guggenheim Museum mit "In/sight" einen Überblick zum afrikanischen Fotoschaffen ab 1940. Nach Ausstellungen und Veröffentlichungen in England und Frankreich fand am Ende der neunziger Jahre das Thema mit der Fotoschau "Snap me one!" in München Eingang in den deutschsprachigen Raum. Nun ist die Wiener Kunsthalle dem Trend gefolgt. Gemeinsam haben ihr Leiter Gerald Matt und der Kurator Thomas Mießgang eine Zusammenstellung von Fotografien und Videofilmen arrangiert. Mit dem Titel "Flash Afrique" wird angedeutet, daß Schlaglichter auf ein kontinentales Phänomen geworfen werden. Das bedeutet zum einen die Begrenzung auf den französisch sprechenden Teil, nämlich "Fotografie aus Westafrika", zum anderen auf Bilder von Menschen im Studio und auf der Straße. Beide Einschränkungen sind zu akzeptieren, wenn es darum geht, das "Andere" am Beispiel jener Sparten herauszustellen, die sich gegenüber der Fotografie hierzulande am stärksten unterscheiden. Allerdings werden in der Ausstellung allzusehr die motivischen Besonderheiten betont, ohne daß deutlich würde, weshalb es zu solch andersartigen Inszenierungen und Bildlösungen kommt und wie diese zu "lesen", also zu verstehen sind. Dies gilt vor allem für die Studiofotografie, die in Afrika noch heute einen hohen Rang einnimmt, weil es wesentlich weniger private Besitzer von Kameras gibt als in unseren Gegenden. Zudem lassen sich die Menschen aber auch in einem Atelier fotografieren, weil nur dort die entsprechenden Requisiten vorhanden sind, die zur Selbstdarstellung benötigt werden. Denn im Unterschied zur früheren Atelierfotografie in den Industrieländern geht es den Kunden nicht darum, sich als erfolgreiche Geschäftsleute, ordentliche Bürger und anständige Familienmitglieder zu präsentieren, also zu zeigen, was man ist und was man besitzt. Vielmehr wollen die farbigen Afrikaner in den Bildern kundtun, wovon sie träumen. Entsprechend sind die Ateliers mit Kulissen ausgestattet: eine Wohnung mit Fenster und Computer, eine Küche mit Kühlschrank und allem technischen Komfort, Flughäfen, von denen aus man überall hin reisen kann, Orte, die man besuchen möchte. Diese Kulissen sind oft nach fotografischen Vorlagen gemalt, und so begegnen sich in den Porträts das Reale und das Imaginäre auf mehrfache Weise. Aber noch etwas anderes, für europäische Augen nicht Erkennbares, spielt sich in den Bildern ab - oder besser: tritt aus ihnen hervor. Es sind Zeichen und Botschaften, die für den Betrachter bestimmt sind und in Kleidung wie in Gesten Ausdruck finden. So existieren eigene "Gedenkstoffe", die für besondere Ereignisse, etwa Totenfeiern, hergestellt werden und als eine Art textile Devise von der Teilnahme künden. Freunde bezeugen ihre Verbundenheit, indem sie dieselben Stoffmuster für Kleid, Anzug oder Kopfbedeckung verwenden. Auch ein Repertoire an Gesten soll zeigen, woran der Studiokunde denkt. "Habt ihr gesehen?" bedeutet es, wenn der ausgestreckte Zeigefinger an die Wange gelegt ist. Wenn daher in der Wiener Veranstaltung sechs gemalte Hintergründe und zehn Abzüge aus dem Atelier von Philip Kwame Apagya in Shama, Ghana, vorgeführt werden, so sieht der Besucher zuvorderst die Buntheit einer Dekoration, die ihm fremd ist und zugleich popartig erscheint. Und in manchen der vierzehn Porträts von Seydou Keïta, der seit den fünfziger Jahren in Bamako, Mali, lebt und arbeitet, fällt prompt auf, daß zwei Frauen in gleichen Gewändern und Hüten vor einem ähnlich stark gemusterten Tuch posieren oder ein Mann eine einzelne Blume in der Hand hält und die Studiowand ebenfalls mit einem Blumenmotiv dekoriert ist. Doch was wollen diese Modelle damit sagen? Der Katalog spricht im Zusammenhang solcher Darstellungen von "Bildfindungen, die häufig intuitiv ans Surreale streifen und Körpergrenzen in einem flirrenden Chiaroscuro aus Textilwebmustern und den gewellten Linien von Studienprospekten auflösen". Insofern offenbart sich der grundsätzliche Mangel dieser Ausstellung und des Begleitbandes: daß auf die Mitarbeit von Ethnologen verzichtet wurde und historische Gesichtspunkte außer acht gelassen wurden. Statt in kulturgeschichtlichen Rückblicken und völkerkundlichen Analysen Klärungen anzubieten, versuchen die Autoren vielfach, mit kunsthistorischen Kriterien und ästhetischen Zuweisungen den Werken beizukommen. Die farbenfrohen Atelierwände von Apagya werden dann "zwischen Hyperrealismus und Surrealismus" geortet, die Aufnahmen von jugendlichen Gruppen durch Malick Sidibé aus Bamako zu "Tableaux vivants" stilisiert. Neben den etwa hundert Fotoarbeiten von sechs Autoren - drei von ihnen wurden bereits in New York und München vorgestellt - sind drei Videofilme zu sehen. Erwähnenswert sind die fünfzehn Minuten, in denen Bouna Madoune Seywe aus Dakar, von dem auch Straßenaufnahmen gezeigt werden, die Kamera auf das Trottoir richtet und den vorbeieilenden Passanten, den rastenden, wartenden und sich waschenden Männern und Frauen auf die Füße schaut; diese Blicke auf das Tempo einer Stadt und das Verhalten ihrer Bewohner werden mit den verlangsamten Geräuschen von Schritten untermalt. Der sechsundzwanzig Minuten dauernde Film von Dorris Haron Kasco wiederum erzählt von dem Fotografen Cornéliius A. Augustt in Korhogo an der Elfenbeinküste und seinem "Studio du Nord": ein ärmliches Atelier mit einfachsten Utensilien, in dem der Fotograf seine Kunden vor der Aufnahme noch pudert, um glänzende Stellen im Bild zu vermeiden. Diese stille Aufmerksamkeit, der gemächliche Ablauf, mag sich auch auf die Kunden übertragen, die ruhig und gelöst ins Objektiv blicken, als wüßten sie von der Prämisse eines anderen Studiofotografen: "In unserem Geschäft . . . geht es um Schönheit!" Daß das Aufkommen der Farbfotografie mit ihren industrialisierten Verfahren der Entwicklung und Ausarbeitung für die meisten Ateliers das Ende bedeutet hat, wird in der Ausstellung gar nicht, im Katalog nur nebenbei erwähnt. Und so entsteht der Eindruck, Arbeitsweise und Ausrüstung von Augustt wären typisch für die Verhältnisse in Afrika, und der alte Mann sei zwar liebenswert, aber als hoffnungslos rückständiger Vertreter seines Faches zu identifizieren. Damit wirft die Ausstellung - trotz der in jener Hinsicht bemerkenswerten Arbeiten westafrikanischer Fotografen und Filmer - den Besucher auf jenen eurozentristischen Blick zurück, der alles immer nur in Differenz zum eigenen Standpunkt wertet und das Fremde als exotisch anzusehen vermag.