Mumok Wien

Das Elend fehlender Endlichkeit

24. Juni 2010, 17:56
  • Artikelbild: Sich unter Regeln windende Sätze ("Il messaggio cifrato" , 2009) und
 "Die unendliche Falte"  (2007):Arbeiten von Brigitte Kowanz in der 
Ausstellung "Now I see" . - Foto: Mumok
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    Sich unter Regeln windende Sätze ("Il messaggio cifrato" , 2009) und "Die unendliche Falte" (2007):Arbeiten von Brigitte Kowanz in der Ausstellung "Now I see" .

Retrospektive der österreichischen Künstlerin Brigitte Kowanz - Im Zentrum steht die räumliche und zeitliche Ausdehnung des von ihr bevorzugten Materials: Licht

Wien - Kurz-lang-kurz-kurz. Kurz- kurz-lang. Lang-kurz-kurz-lang. Wie Mikrofone stehen die drei Lampen im Raum, stumme Botschafter, die ihre Nachricht in Form von Morsezeichen an die Wand werfen: Lux. Die Beschäftigung mit Licht als elementarster Voraussetzung alles Sichtbaren, ist es, was das Werk der österreichischen Künstlerin Brigitte Kowanz von Anfang an auszeichnet.

Die Retrospektive im Mumok setzt mit ihrer bis ins Heute reichenden Auswahl 1989 an. Die gemeinsam mit Franz Graf bestrittenen Anfänge (1979-1984) sind in der Schau also ausgespart.

Ihre künstlerische Symbiose scheiterte: "Wir zogen einander die Haut von der Seele" , beschrieb es Kowanz. Und so bleibt die Lücke nachvollziehbar, obgleich Blicke auf die Experimente mit transparenten, selbstleuchtenden Farben und das Ringen mit dem Erbe des Informel interessant gewesen wären.

Es ist keine schwere - soweit das bei Lichtarbeiten überhaupt möglich wäre -, weil dicht und umfangreiche Ausstellung. Vielmehr ist es eine konzentrierte und chronologisch bunt arrangierte Auswahl von 30 Arbeiten (ergänzt durch zwei Installation im öffentlichen Raum), die variantenreich vorführt, welche Überlegungen die 53-jährige Künstlerin zu dem sich in Raum und Zeit ausdehnendem Medium Licht anstellt. In der frühesten Arbeit verdichet Kowanz etwa in Leuchtstoffformeln mit 15 Nachkommastellen die Zeit, die verstreicht, um eine Distanz von vier Metern zurückzulegen: Sekunden pro Meter. Eine Formel, die versucht, eine nicht vorstellbare Zeiteinheit zu fassen, ihrer habhaft zu werden, und die darüber hinaus die gängige Rechenoperation von Metern pro Sekunde durchkreuzt.

Im Dialog mit diesem schwindlig schnellen Zifferngedicht ist ihre unendliche Neonröhre: Deren Hülse ist von einem Morse-Muster überzogen. Ein von einem Kurz-Lang-Stakkato gezeichnetes Elend fehlender Endlichkeit. Im großen, bis auf eine eingestellte Wand sehr offen gestalteten Saal gesellen sich Morsetafeln dazu, auf denen poetische Sprachfragmente leuchten. Unweit davon winden sich Neonsätze, einem Regelwerk unterworfen, einmal nach rechts, einmal nach links. Buchstaben codieren sich zu Ziffern, Wörter zum ornamentalen Kringel - oder verschwinden gänzlich: Wie die quietschbunten, gelben, roten, blauen Sprechblasen - Kowanz' jüngste Objekte.

Licht braust auf

Ihr war wichtig, dass sich die Arbeiten zu einer Installation zusammenschließen. Das sich vom Objekt entfernende Licht, sein expansiver Charakter, stelle diese Verbindung her. Im gleißend hellen Zusammenschluss der Objekte stellt sich auch ein anderer Effekt ein: Das, was für sich allein leise und nachdenklich wirkt - in einigen Nischen funktioniert das - braust plötzlich auf, scheint laut zu werden, zu blenden und sich zu dekorativen Mustern zu arrangieren. Licht aus! Ein Flehen an die Deckenlichter, die wie aus Kowanz' Morsealphabet entflohene Lichtlaute über allem schweben. Sanftes Dunkel hingegen in einem anderen Saal, wo neben Lux zwei weitere Arbeiten der 1990er-Jahre versammelt sind. Hier manifestiert sich das Licht, das Kowanz später zu einem fassbaren Objekt komprimiert, noch als indirekte Licht-und-Schatten-Zeichnung an der Wand. Das dualistische Prinzip von Hell und Dunkel, von "an" und "aus" ist so ephemer gestaltet, dass es verschwindet, sobald das Licht erlischt.

Now I see heißt die Ausstellung: Jetzt sehe, jetzt verstehe ich. "Ich glaube nicht, dass ich nun alles verstehe" , sagt Kowanz. "Der Titel ist mit gewisser Ironie verbunden." Vielleicht ist auch die Unendlichkeit des Spiegelsaals, den Kowanz im Mumok eingerichtet hat, ironisch zu verstehen?

Seltsamerweise wirkt dieser sich optisch zwar trickreich vergrößernde Raum atmosphärisch eher wie ein Gefängnis. Er wirft den Betrachter zurück auf sich selbst, auf die in ihm wohnenden Gedanken. Erkenntnisse, die dort ähnlich wie die in Kowanz' Spiegelquadern eingeschlossenen Gedanken schlummern. Der Spiegel verbinde sich für Kowanz nicht nur mit Erkenntnis, sondern stark mit der eigenen Identität. (kafe, DER STANDARD/Printausgabe, 25.06.2010)

druckenweitersagen:
johann potakowskyj  
24.06.2010 18:09
ist doch viel besser

als Keramik

Léonor de Guzman
25.06.2010 14:38
jedoch nicht

bei stromausfall

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