Der Maler Neo Rauch wird 50 – in Leipzig und München wird er mit einer Retrospektive gefeiert
Malen als Fortsetzung des Traumes
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Neo Rauchs "Fluchtversuch" (2008, Öl auf Leinwand) erscheint als Spiel
mit der Geschichte. Foto: Sammlung Ulla und Heiner Pietzsch, Berlin
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Von Joachim Lange
Vertreter der "Neuen Leipziger Schule", Neo Rauch, feiert seinen 50er.
Doppelschau mit bisher nicht gezeigten Bildern.
Berlin.
Seit den 1990er Jahren gehört er weltweit zu den erfolgreichsten
deutschen Malern. Äußerlich hat Neo Rauch zwar immer noch nichts vom
Gehabe eines Malerfürsten, doch sein 50. Geburtstag wird heuer dennoch
geradezu fürstlich begangen: Mit einer Retrospektive, die es in sich
hat.
Der große deutsche Maler Neo Rauch im Gespräch
Zeitgleich zeigen nämlich das Museum der bildenden Künste in Leipzig
und die Pinakothek der Moderne in München insgesamt 120 seiner Werke.
Ein Teil davon ist gerade erst fertig geworden. Ein Drittel aus
privater Hand und noch nie öffentlich zu sehen gewesen. Es ist ein
Großereignis!
In den USA hatte Neo Rauch nicht nur ziemlich früh seine ersten
zahlungskräftigen Fans und Sammler. Dort wurde ihm 2007 auch die für
lebende Maler seltene Ehre einer Ausstellung im Metropolitan Museum of
Art zuteil. In Deutschland hatte nicht seine Heimatstadt Leipzig,
sondern das Kunstmuseum in Wolfsburg mit einer großen Ausstellung 2006
die Nase vorn.
Meist schon verkauft, bevor die Bilder vollendet sind
In Wien hatte die Albertina den Maler schon 2004 mit einer
exquisiten Auswahl großformatiger Arbeiten auf Papier bekannt gemacht.
Und so wie sich Gerhard Richter im Kölner Dom mit seinen
Kirchenfenstern verewigen konnte, so ließ man Neo Rauch die Fenster der
Elisabeth-Kapelle im Naumburger Dom mit Szenen aus dem Leben dieser
Thüringer Heiligen neu gestalten. Es heißt, dass die Bilder, die in
Rauchs Leipziger Atelier entstehen, meist schon verkauft sind, noch
bevor er sie vollendet hat. Dennoch beschränkt er sich auf ungefähr
zehn pro Jahr. Die erzielen hohe, bei Auktionen oft sechsstellige
Preise. Den genauen Marktwert kennt wohl nur sein symbiotisch mit ihm
gewachsener, findiger Galerist Gerd Harry Lybke, der von Anfang an den
richtigen Riecher für Rauchs durchschlagenden Erfolg hatte.
In Leipzig hat Neo Rauch nicht nur ab 1981 an der renommierten
Hochschule für Grafik und Buchkunst bei Bernhard Heisig und Arno Rink
studiert, sondern er war dort bis vor kurzem auch einige Jahre
Professor für Malerei. Dass er nach seinem vorzeitigen Ausscheiden aus
dem Lehramt eine seltsam anmutende öffentliche Debatte um seinen
Nachfolger Herbert C. Ottersbach und den rechten Weg der Malerei
lostrat, das gehört wohl eher zu einer spezifisch deutschen Gemengelage
beim Umgang mit der Kunst.
Die sogenannte Neue Leipziger Schule kommt zwar aus dem Osten
Deutschlands und verleugnet keineswegs ihre Wurzeln. Doch hat sich
diese zwischen figürlich und surrealistisch changierende Malweise
längst davon emanzipiert. Ihren manchmal fast schon überhitzten
Siegeszug verdankt sie allerdings mehr einer Melange aus Zeitgeist,
Kunstmarkt und in Jahrzehnten gewachsener und gepflegter handwerklicher
Qualität als dem Ort der Entstehung, der dieser Marke den Namen gibt.
Dass sich Leipzig und München nun die Geburtstags-Retrospektive
teilen, ist nach den in Deutschland verbissen geführten Debatten über
Ost- und Westkunst in seiner selbstverständlichen Normalität dennoch
fast schon ein Politikum.
Mit unterschiedlicher inhaltlicher Akzentuierung zeigen die beiden
Ausstellungsorte jetzt den polarisierenden Einzelgänger, dessen
Bildlandschaften so eigenartig zwischen den Zeiten liegen und immer
etwas Alptraumhaftes, Gefährdetes haben. Manch einer feiert die
Wiederkehr des Figürlichen, andere bekämpfen das vermeintlich
Neokonservative der Bilder. Der immer wieder festgestellte Kontext zur
Propaganda-Malerei im Osten oder der Werbeästhetik im Westen sind eher
stilistischer als inhaltlicher Art.
Bei ihm sei Malen die Fortsetzung des Traums mit anderen Mitteln,
meint Neo Rauch im üppigen Doppelkatalog. Seine Figuren und Metaphern,
die man im Einzelnen ja noch zuzuordnen vermag, beharren in der
Kombination stets auf ihrer Bedeutungsautonomie.
Schweben zwischen den Zeiten, Räumen und Genres
Dein Problem, wenn du das jetzt nicht verstehst, scheint sein
eigenartig unzeitgemäßes Bild-Personal zu sagen. Wir verstehen uns.
Dass sich Autoren wie Botho Strauss oder der Dresdner "Turm"-Autor Uwe
Tellkamp, der in Leipzig auch die Laudatio hält, sich in diesen
Landschaften ganz gut und mit Lust zurechtfinden, verwundert freilich
nicht.
Neo Rauchs Bildwelten faszinieren durch ihr Schweben zwischen den
Zeiten, Räumen und Genres. Ein plakativer Fortschrittsgestus ist den
Bildern jedenfalls fremd. Sie sind ihr eigenes Traum- und
Erinnerungs-Universum. Wo sonst sollen auch die Quellen für jene Kunst
liegen, die verunsichert und fasziniert, uns also etwas angeht?
Museum der bildenden Künste Leipzig: 18. April bis 15. August
2010; Pinakothek der Moderne München: 20. April bis 15. August 2010.
Der Katalog erscheint bei Hatje Cantz, mit Beiträgen von Uwe Tellkamp,
Luc Tuymans und Jonathan Meese, 224 Seiten, 49,80 Euro
Printausgabe vom Dienstag, 20. April 2010
Online seit: Montag, 19. April 2010 18:22:00
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