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22.05.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung
Ausstellung: Abgewandter Blick, meditierendes Ich
VON GABRIELE HENKEL
"Caspar David Friedrich, die Erfindung der Romantik" im Folkwang Museum in Essen.

In Berlin ist soeben die Ausstellung "Melancholie. Genie und Wahnsinn in der Kunst" zu Ende gegangen, wie zu vor in Paris, ein fulminanter Publikumserfolg. Melancholie, ein beständiges Lebensgefühl Europas? Philosophen, Schriftsteller, Maler haben diese typische Erkrankung des Gemüts des Abendlandes durchlebt, beschrieben und gestaltet. Auch die deutsche Kunst bewegt es: dieses existenzielle Fragen nach dem Großen und Ganzen, auf das es keine Antwort gibt, und das keine Erklärung hat, unerlöst bleibt.

In Friedrichs OEuvre hat eine überwältigende Tristesse Niederschlag gefunden. Aber kann man pauschal von europäischer Gemüts-Eintrübung sprechen, wenn auf unserem Kontinent die Ecclesia triumphans herrschte, Komödien, erotische Meisterwerke in Malerei und Literatur, insbesondere im Siècle de lumière, entstanden, und sakrale und höfische Architektur sich jubelnd ihrer gestalterischen Möglichkeiten hingab?

Friedrich dokumentiert die andere Seite: verschattete Trauer, Melancholie bis zur Depression, Empfindsamkeit, Tiefsinn. Das Museum Folkwang hat eine grandiose Leistung vollbracht. Mit wenigen Ausnahmen - aus konservatorischen Gründen nicht ausgeliehene Arbeiten - hat der Kurator und jetzige Chef der Hamburger Kunsthalle, Hubertus Gaßner, mit etwa 70 Gemälden und über 120 Zeichnungen, Sepien, Aquarellen eine Werkschau erstellt, die an Sensibilität, Genauigkeit jede Erwartung erfüllt. Die Verehrer des Malers finden Glanzstücke wie "Die gescheiterte Hoffnung" 1823/24, mit Eisschollen wie auf Marmorblöcke geschichtet, "Der Wanderer über dem Nebelmeer", 1818, die "Kreidefelsen auf Rügen", 1818, Gemälde, die zum Fundus ihres imaginären Museums gehören.

Dazu eine weitere Inkunabel der Deutschen: "Lebensstufen" von 1835. Fünf Schiffe mit hohen Segeln streben einem Hafen entgegen, den es vermutlich nicht gibt. Am Ufer erwarten sie die typischen Gestalten der Friedrich-Ikonografie: dem Zuschauer abgewandte Menschen in gezierten Posen, lediglich ein Herr im Zylinder mustert den Betrachter. Trübsinnige Farben, nordischer Himmel. Inszenierung mit schwermütiger Grundierung. Landschaften mit kleinen Figuren, die wohl in den weiten Horizonten Erkenntnis suchen. Kirchtürme gleichsam Wegweiser zu Berggipfeln, alles malerisch raffiniert, überschaubare Sujets, lassen den Besucher ratlos. Bei aller Beschaulichkeit bleiben die Gemälde verschlüsselt. Eine seltsame Zeitlosigkeit, Abend, oft Herbst. Die Bäume kahl, Ruinen, Fragmente, Friedhöfe, Landschaften meist menschenleer.

Auch diese Ausstellung vom "Erfinder der Romantik", so der Titel in Essen, kann das Geheimnis des Meisters, geboren 1774 in Greifswald, gestorben 1840 in Dresden, nicht lüften. Man sollte es gar nicht erst versuchen. Verkrüppelte Bäume, Hünengrab, düstere Himmel, Sturzäcker, ferne Hügel führen zu erweiterten Wahrnehmungen. Lichtstrahlen, gebündelt, im glühenden Himmel über dem Kruzifix des "Tetschener Altars", 1807/08, Dresden, Sinnbild für die göttliche Dreifaltigkeit, werden in keinem Gemälde Routine, sondern wie Versatzstücke auf einer Bühne immer neu komponiert. Der Stil des Malers versagt sich sinnenfrohen Imagerien des Lebens.

Keine Odalisken, keine Blumenstilleben, keine Ornamente, keine Genrebilder, keine Bewegung, nur strenge Formen, unermüdlich variiert. Friedrich schafft mit freimütig versetzten Felsen im Nebel von Berg und Tal und dem meditierenden Ich im Gehrock eine ausdrucksmächtige, reduzierte Bildwelt, von der Frank Stella, der Intellektuelle unter den amerikanischen Künstlern, sagt, sie erinnere ihn an den Meister der minimalistischen Farbfeldmalerei Barnett Newman.

Friedrich entwickelte eine Form der malerischen Fantasie, wie sie im 20. Jahrhundert insbesondere von den Surrealisten aufgegriffen wurde. Die Unwirklichkeit ihrer Bilder fand Metaphern wie der "Kirchhof mit einem verfallenen Tor", dass unsere Welt von der einer nur Erdachten abriegelt. Des Belgiers Magritte Bildräume sind hier vorweggenommen. Giorgio de Chirico, vor allem Max Ernst haben Friedrich bewundert.

Man erinnert sich auch an Hoppers gefrorene Szenen, und von Ferne an Becketts "Warten auf Godot". So hat dieser so deutsche Maler überraschend vielfältige Spuren in dem internationalen Kunstschaffen hinterlassen. Er war jedoch so xenophob, dass er seinem Bruder verbot, ihm aus Lyon Post zu senden, weil "es nicht recht ist, dass du als Teutscher in Frankreich bist." Vermutlich mochte er sich in seinem Universum von Natur und Einsamkeit nicht von illustrierten Banalitäten wie bunten fremden Briefmarken irritieren lassen.

"Bei sich bleiben" ist das Credo vieler Künstler, die wie Sisyphos den Felsblock täglich auf den Berg wälzen. Zu diesem Mythos gibt es eine wesensverwandte Zeichnung in Essen, wie überhaupt das Konvolut der Zeichnungen in nie da gewesener Fülle zu bewundern ist und ermöglicht, dem Maler bei der Arbeit zuzusehen, die Einblicke in Technik und Handschrift gewährt.

Die "Kreidefelsen auf Rügen" gehören bizarrer Weise als "deutsches Kulturgut" zum Fragebogen der deutschen Einbürgerungsadministration. Dabei ist die Vorlage des wohl bekanntesten Gemäldes von Caspar David Friedrich seit kurzem zum Teil weg gebrochen. Aus einer Gruppe von Besuchern in Essen klang die Frage: "Und Eichendorff"? Nun, dieser katholische Dichter aus Schlesien feiert eine ganz andere Welt: Den Süden, eine heitere Nonchalance "aus dem Lebens eines Taugenichts" und die Melodie der Lerche am Juni-Himmel.

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