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Flying Circus Chinakunst
Henrike Schulte

4. November 2005 

In dem zur Veranstaltungshalle eines großen österreichischen Getränkeherstellers umgebauten Hangar-7 am Salzburger Flughafen wird in Zusammenarbeit mit dem Kunstdokumentationszentrum basis wien seit dem 21. Oktober die Ausstellung YCCA – Young Chinese Contemporary Art gezeigt. Die vom chinesischen Kurator Chang Tsong-zung, seines Zeichens unter anderem Galerist in Hongkong und Berater für Asiatische Kunst im Guggenheim Museum New York, zusammengestellte Auswahl hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Werke einer Generation zu präsentieren, die sich vor allem den politischen und wirtschaftlichen Veränderungen Chinas widmet. Die meisten der 15 Künstler, angefangen bei Jahrgang 1958 bis hin zu den häufiger vertretenen 70er und 80er Jahrgängen, darunter drei Frauen, wurden bisher nicht in Europa gezeigt.

Überraschend war vor allem die amüsante Gestaltung der Vernissage der Ausstellung, die Vorfreude auf die olympische Eröffnungszeremonie 2008 in Peking weckte. Dabei hatte man gar keine Chinesen dafür verpflichtet! Das für die Bespielung des Hangar-7 zuständige Marketingteam wartete auch so mit einem Spektakel zugestandener Perfektion auf, das wie eine Mischung aus Animationsprogramm und Exotikmesse daherkam. Erst verknödelte eine angebliche österreichische Schauspiellegende in einer salbungsvoll vorgetragenen Rede in der zähen Länge der Großen Mauer die chinesischen Namen bis zur Schmerzgrenze, dann bewarf man das nichts ahnende Publikum nach ältester chinesischer Tradition von einer Empore aus mit Blütenblättern, während im Hintergrund auf einer riesigen Leinwand die Projektion der gigantischen roten Flagge in der Abendsonne wohl „Roter-Platz-Stimmung“ verbreiten sollte.

Später kamen dann auch die Kunstwerke selber zu ihrem Auftritt und wurden am Rande der großen Halle unter den sie bis dahin verdeckenden Vorhängen hervor hinuntergelassen. Dass ausgerechnet die Senkvorrichtung einer Abbildung von Mao versagte, so dass das Gemälde in gefährliche Schieflage geriet, war leider nicht als gelungene ironische Anspielung gedacht, sondern ein Zufall, der sich auch in China hätte abspielen können. Das bemerkenswert gebräunte Publikum, sonst vielleicht eher Flug- und Autoshows gewöhnt, erfreute sich zu diesem Zeitpunkt bereits an den die Häppchen herein tragenden Flugbegleiterinnen. Mozart meets Mao.

Erlebnisse erfreulicherer Art bot dann doch die Presseveranstaltung im Vorfeld. Dem aufschlussreichen Gespräch zwischen Lioba Reddeker von basis wien, dem Kurator der Ausstellung Chang Tsong-zung und dem in Shanghai ansässigen Künstler und Kunsttheoretiker Zhang Lansheng hätte man jedenfalls noch länger zuhören mögen. Insbesondere die Ausführungen Zhang Lanshengs zur Situation des chinesischen Kunstmarktes und der des einzelnen Künstlers im Speziellen boten interessante Erkenntnisse. So diskutierte man den ehemals hohen Status des intellektuellen Akademiekünstlers in der chinesischen Gesellschaft, der zusehends einem zuweilen recht geschäftstüchtigen Prototypen des Künstlers gewichen ist. Heute kommen neben der Entscheidung zur Kunstproduktion aus Prestigegründen und den Kuss durch die Muse auch ganz praktische Gedanken hinzu, die eine ehrgeizige junge Generation dazu bewegen, sich gleich zu Tausenden auf die spärlichen Plätze an den Hochschulen zu bewerben.

Den Einen bietet das Kunststudium, dass sich meist noch auf das Erlernen tradierter Techniken konzentriert, die Möglichkeit, nach dem Studium in Bereichen wie Werbung, Design oder Öffentlichkeitsarbeit eine Anstellung zu finden. Andere lockt vielleicht die hinter der Beendigung des anspruchsvollen Studiums verheißungsvoll glühende Freiheit des Ausdrucks. Denn während Chinas Regierung das Wort fürchtet und aus der Reihe schlagende Literaten noch immer auf Unbestimmt in finstre Kerker sperrt, genießt die zeitgenössische Kunst eine relative Freizügigkeit. Nicht wenige der blutjungen Aspiranten reizt zudem die hohe Gewinnspanne, die sich in den vergangenen Jahren auf dem Gebiet der zeitgenössischen chinesischen Kunst herauskristallisiert hat. Eine Entwicklung, an der ausländische Sammler und Investoren eine gewisse Mitschuld tragen.

Zunehmend entdecken auch chinesische Großverdiener ihr Verlangen nach westlich orientierter Kunst. Die Annahme jedoch, das Gütesiegel China per se garantiere hohe Qualität, ist naiv und gilt bekanntermaßen auch in anderen Bereichen nicht immer. Vor allem aber die Anpassungsfähigkeit einer oftmals eher am Hauptgewinn als am künstlerischen Ausdruck interessierten neuen Generation von Künstlern macht den Theoretikern Sorge. Die Forderung nach einer differenzierten Ausbildung von Künstlern, Kritikern und Händlern ist da nur die konsequente Schlussfolgerung, die Zhang Lan Sheng im Interview mit Lioba Reddeker aus dem Katalog zur Salzburger Ausstellung ausdrückt.

Die großen Namen aus bisherigen Ausstellungen chinesischer Kunst in Europa wird man in den Hallen des Hangar-7 nicht finden. Das allein wäre ja sogar reizvoll, doch vieles von dem, was es zu sehen gibt, wirkt bisweilen wie die Inkarnation der zuvor geäußerten Sorgen Zhang Lanshengs und ausgesprochen kraftlos. Zudem kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es der kunsttheoretischen Glaubhaftigkeit der Ausstellung gut getan hätte, ein paar weniger Künstler aus dem Hongkonger Galerieprogramm des Kurators zu zeigen. Der „science-fiktionale“ Kinderwagen von Shi Jinsong (geboren 1969) aus der Sammlung des ehemaligen Schweizer Botschafters in China Uli Sigg sticht unter den Arbeiten ebenso hervor wie die Ölgemälde Chen Liangjies (geboren 1971), die tradierter monochromer Wassermalerei gleichen. Ameisengleiche und doch aus Menschen bestehende Gruppen unterschiedlichster Konstellation begegnen sich bei ihm zwischen den grauen Schwaden traumhafter oder auch smoghafter Natur.

Ma Yanhongs (geboren 1977) Darstellungen ihrer Freundinnen porträtieren eine Generation junger Frauen, die zwischen dem Ende der großen Prüderie einerseits und der gleichzeitigen Existenz arrangierter Ehen andererseits mädchenhaft verdreht dem Erwachsenwerden entgehen möchten. Die wandfüllende Abendmahlsdarstellung in Fotocollagetechnik von Cow Chun-fai (geboren 1980) schließlich verlangt unter dem Gesichtspunkt der chinesischen Rezeption europäischer Kunstgeschichte nähere Beachtung.

Zu loben ist dringend das hinter der Durchführung der Ausstellung stehende private Kulturengagement. Denn – so affektiert das Eröffnungsbrimborium im Stil des „Roten Bullen“ auch gewesen sein mag – der Förderung durch den Getränkemogul, der nur selten auf den eigenen Veranstaltungen gesichtet wird, ist es zu verdanken, dass das ambitionierte Projekt basis wien noch existiert. Oder um es für die asiatisch-alpenländische Völkerverständigung auf den Punkt zu bringen: cha bu duo – passt scho’!

Noch bis zum 18. Dezember 2005 im Hangar-7 der Red Bull Hangar-7 GmbH & CoKG, Salzburg Airport, Wilhelm-Spazier-Str. 7a, 5020 Salzburg.

Mehr im Dossier Kunst in China



 














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