Ausstellungen 
   
   
    Die verletzte Diva - Hysterie, Körper ,Technik in der Kunst des 20. Jahrhunderts
Galerie im Taxispalais, Innsbruck Lenbachhaus,
München/Kunstverein, München/ Rotunde Siemens Kulturprogramm, München
3. März bis 7. Mai
Christine Lemke
 
   
   


Das großangelegte Ausstellungsprojekt »Die verletzte Diva - Hysterie, Körper, Technik in der Kunst des 20. Jahrhunderts« unter der kuratorischen Leitung von Silvia Eiblmayr folgt rückblickend einer Fraktur. Über vier Ausstellungsor- te erstreckt sich der Versuch, der Rede der Hysterie oder vielmehr einer Phänomenologie der hysterischen Struktur nachzugehen und dieses in ihrer Komplexität als eine mögliche zentrale Figur des 20. Jahrhunderts zu installieren. Das Lenbachhaus in München besetzt mit seinem weit gespannten kunstgeschichtlichen Bogen von klassischer Moderne über Pop- und Body-Art bis hin zu neueren Arbeiten (unter anderem von Maria Lassnig, Louise Bourgeois und Douglas Gordon) den repräsentativsten Teil des gesamten Projektes. Hier wird der historische Ausgangspunkt des klinischen Phänomens der Hysterie geklärt, um ihn als diskursiven Hintergrund für die gezeigten künstlerischen Arbeiten bereitzustellen. Eine Vorgehensweise, die die widersprüchliche Figur einer versuchten Rede von der Hysterie freilegt. Zum einen wird klar, wie die Erfindung der klinischen Hysterie auch als »Entdeckung des Unbewussten« perfekt mit einer männlichen Projektion des weiblichen Körpers als »perforativer Stelle« zusammenfällt und in ein zirkuläres Verhältnis tritt. Zum anderen wird die Annahme einer geschlechterübergreifenden hysterischen Struktur des »modernen Subjekts« als ausufernder Topos wirksam, der erst einmal den unterschiedlichsten Produktionsweisen, männlichen wie weiblichen, unterlegt wird. »Hysterie« als begriffliches Emblem steht hier auf einem doppelten Boden.

Über einen abgrenzenden fotografischen Blick entwerfen die stark vertretenen surrealistischen Arbeiten diesen zwischen Subjekt und Objekt changierenden, sich in Auflösung be-findenden »weiblichen Körper« und zelebrieren ihn als poetisierte Chiffre für eine umfassende Erosion der Zeichen. Hier scheint die Fraktur an den Horizont des Bildes verlagert. Die Versuche, die eigene Person als Objekt einer Instabilität ins Zentrum zu rücken, treten in diesem Zusammenhang ganz augenfällig hervor: zum Beispiel im »Selbstporträt« (1932) von Herbert Bayer oder bei Marcel Duchamp, von Man Ray als »Rrose Sélavy« (1929) abgelichtet. In den collagierten Foto-Selbstinszenierungen von Claude Cahun (1929) kündigt sich eine Praktik an, die unter anderem in den Bildern Cindy Shermans wieder auftaucht. Dieser Verschiebung folgt der Ausstellungs- teil mit seinem Fokus auf die Performance- und Aktionskunst der sechziger und siebziger Jahre. Der Körper selbst wird als Medium herangezogen und einem Prozess der Auflösung ausgesetzt, um die Vorstellung zu durchbrechen, dass das Bild immer schon ein »Double des Realen« sei. Obwohl so etwas wie eine übergreifende »hysterische Struktur« an dieser Stelle am eindrücklichsten aufscheint, bleiben die einander ähnlichen Ansätze in ihren Implikationen doch sehr unterschiedlich. Zwischen dem aktivistischen »Tapp und Tastkino« (1968) von VALIE EXPORT etwa und der Körperperformance »Zerreißprobe« (1971) von Günther Brus liegen Welten. Im Kunstverein München wird das brüchige Verhältnis zwischen Körper und Repräsentation, von den siebziger Jahren ausgehend, weiter aktualisiert. In den medial-forma- lisierten Körpern der Videoperformances von Vito Acconci oder Bruce Nauman verschwinden Zuschreibungen und Bezüge. Sie agieren als »entblößte« Zeichen des Mediums. Demgegenüber stehen unter anderem Arbeiten von Hannah Wilke, Martha Rosler und Cindy Sherman, die sich genau an der medialen Verdoppelung und deren Applikationen von »Weiblichkeit« abarbeiten. Eine mögliche strukturelle Klammer lässt sich an den transgressiven Feminisierungen von Urs Lüthi oder Jürgen Klauke, der Maskerade von Adrian Piper oder der Vermännlichung von Zoe Leonard festmachen.

Der vielleicht dichteste und konzentrierteste Ausstellungsteil im Innsbrucker Taxispalais vollzieht noch einmal einen Bogen von den siebziger Jahren aufwärts bis in die Gegenwart. Hier sind vor allem dezidiert feministische Positionen aus den frühen Siebzigern zu sehen, in denen sich die Künstlerinnen selbst als Fraktur markieren und diese am eigenen Körper über physische De-formation (Ana Mendieta, Annette Messager, VALIE EXPORT) theatralische Übersteigerung (Renate Bertl-mann, Faith Wilding) und exzessive Versuchsanordnungen (Gina Pane, Marina Abramovic) ausagieren. Es scheint, als ob der Versuch einer Selbstaneignung an Selbstausbeutung gekoppelt bleibt und aus dieser Schlaufe nicht herauskommt. Die wenigen angeschlossenen aktuellen Arbeiten, etwa von Orlan oder Twin Gabriel, rücken diesen Zusammenhang in eine ästhetisch-mediatisierte Dimension. Allein in Pipilotti Rists Video »Pipilottis Fehler« (1989, Kunstverein München) vollzieht sich eine Transformation dieser zwanghaften Verschränkung. Pipilotti Rist beherrscht und affirmiert die mediale Oberfläche, inszeniert sich aber gleichzeitig als deren »hysterisier- te« Bildstörung. Darin eröffnet sie einen Zwischenmoment - sie ist spielerische Imitatorin ihrer Anfälligkeit und ermöglicht somit eine Distanz. Das Ausstellungsprojekt »Die verletzte Diva« wird genau an ihrem blinden Fleck virulent: Die gegenwärtige Situation bleibt als offene Frage stehen.

 
     

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