Nicht jeder Augenschmaus ist magenfreundlich
ERNST P. STROBL Wien (SN). In den meisten Fällen bewegt sich das Motiv nicht und hält still. Deshalb schreibt man Stillleben mit drei „l“. Andererseits bewegt sich in der Ausstellung im Kunstforum Bank Austria auch etwas und ist trotzdem ein „Stillleben“. Dazu braucht man aber neue Medien wie Videos. Wenn da ein aufgehängter Feldhase mit Zeitraffer bei seiner Verwesung beobachtet wird, bis nur mehr ein undefinierbarer Haufen aus Sehnen und Haaren übrig bleibt, kann einen durchaus ekeln. Merkwürdig: In diesem Video der Vergänglichkeit von Sam Taylor-Wood mit dem Titel „A Little Death“ bleibt ein Apfel frisch und unverdorben, während sich das Häslein auflöst. Wenn auch die Ausstellung im Kunstforum Bank Austria „Augenschmaus“ heißt, ist nicht alles appetitlich. Es gibt auch noch andere Videos, ein Clou im Saal ist eine gedeckte Tafel, der Teller ist zwar leer, aber auf der Fläche läuft ein Video mit dem Titel „Deep Throat“, die Künstlerin Mona Hatoum wendet sich damit an die Freunde der Gastroskopie.
Bei der Presseführung am Dienstag kam Kunstforum-Direktorin Ingried Brugger auch auf ein „Nebenthema“ zu sprechen, denn bekanntlich will sich die Bank Austria vom Gebäude an der Freyung trennen, einen Investor gibt es bereits, die Zukunft des Kunstforums ist offen. Die Bank will ihr Engagement in Sachen Kultur fortsetzen, betonte Brugger, was die vom Verein Kunstforum gemieteten Räumlichkeiten betrifft, sei aber alles offen und Sache von anstehenden Verhandlungen. Bis 30. Mai gehört das Haus jedenfalls dem Stillleben, in allen möglichen Ausformungen, mit Werken aus mehreren Jahrhunderten.
Aus religiösen Bilderzählungen entwickelte sich das Stillleben im 16. Jahrhundert zu einer autonomen Bildgattung, im 17. Jahrhundert eroberte das Genre ganz Europa. Der niederländische Terminus „stilleven“ taucht erstmals 1650 auf und bezeichnet ein stillgestelltes Objektmodell (leven heißt Modell). Besonders die „alten“ Niederländer entwickelten eine superrealistische Detailfreude, welche von gedeckten Tafeln über Früchte- und Blumenarrangements bis hin zu den Obst- oder Fleischmärkten alles umfasste. Sujets wie ein „Schlachterladen“ inspirierten Joachim Beuckelaer 1568 ebenso wie 1897 noch Lovis Corinth. Auch ein „Gemüsemarkt“ von Jan Baptist Saive (1590) ist von beeindruckender atmosphärischer Dichte.
Rund 75 Künstler sahen in dampfenden Suppenschüsseln, importierten Früchten, Meeresgetier oder Äpfeln und Birnen lohnende Motive, warum auch nicht? „Der Tag wird kommen, da eine einzige selbstständig gemalte Karotte eine gewaltige Revolution verursachen wird“, sagt der Maler Lantier in Emile Zolas Künstlerroman „L’Oeuvre“. Revolutionen gibt es zwar keine in der Geschichte des Stilllebens, allerdings haben Frauen die Gelegenheit zur „porträtierenden“ Kunstausübung genützt, als ihnen noch der Zugang zu Akademien und vor allem Aktstudien verwehrt war. Namen wie Fede Galizia, Clara Peeters, Berthe Morisot, Paula Modersohn-Becker und auch Maria Lassnig finden sich in der Schau. Die Fotografin Zoe Leonard wiederum hat Bananen- und Orangenschalen mit Kleber und Faden beim Vergammeln quasi fixiert.
Aus Utrecht kommen zwei Stillleben von van Gogh, schöne Beispiele liefern Klassiker der Moderne wie Pablo Picasso, Fernand Léger, Georges Braque oder Pierre Bonnard, ein Stillleben mit Fisch (1948) stammt vom Künstler mit dem klingenden Namen Bernard Buffet. „Wenn alle Künste untergeh’n / die edle Kochkunst bleibt bestehen“, reimte Daniel Spoerri, der unter anderem mit einer Küchenmaschine für Verwirrung sorgt. Im Ausstellungskatalog gibt es von Küchenpromis wie Eckart Witzigmann oder Johanna Maier Rezepte. www.bankaustria-kunstforum.at