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Utopia-Projekt II: Arabisches Eis für den Eissalon

13.05.2008 | 18:20 | PATRICIA KÄFER (Die Presse)

Im Rahmen der Essl-Schau „overlapping voices“ schreibt eine israelisch-palästinensische Künstlergruppe um den Augarten ein „Gehsteigwörterbuch“.

Hallaa heißt die Angst auf Arabisch,Charadah im Hebräischen. Bei anderen Beispielen ist das Übersetzen einfacher: „Schnitzel? Schnitzel, Schnitzel“, grinst Osnat Bar Or. Die israelische Künstlerin sitzt mit ihren drei Kollegen Tomer Gardi, Ofer Kahana (beide Israelis) und dem Palästinenser Ayyub Aamar Dienstagvormittag im Schatten des Essl-Museums in Klosterneuburg. Noch. Ab Dienstagnachmittag begann ihre Gruppe „Parrhesia“ (=Freimütigkeit im Reden), mit dem Projekt „Through Language“ das Wiener Augarten-Grätzel zu durchqueren.

Ein „Gehsteiglexikon“ wird dort geschrieben, ein Bankomat hat etwa mit Geld, Privileg oder Cocktail zu rechnen. Als Graffiti werden Wörter-Trios (arabisch mit deutscher und hebräischer Übersetzung) im öffentlichen Raum aufgesprayt. „Unser Projekt ist eine Reaktion auf das Verschwinden“, sagt Bar Or – das Verschwinden der arabischen Sprache in Israel. „Die Palästinenser sprechen hebräisch, aber die Juden nicht arabisch“, so Kahana. „Die Situation ist ungut.“ Obwohl Amtssprache, gilt Arabisch als „Sprache des Feindes“.

Vom Kärntner Ortstafelstreit wissen die Künstler nichts – wo die slowenischsprachige Minderheit mehr als 25Prozent der Bevölkerung ausmacht, müssten Ortstafeln eigentlich zweisprachig ausgezeichnet werden. Bar Or vergleicht die Situationen mit scharfer Ironie: „Es ist ganz einfach: Wir halten unsere Minderheiten klein.“ 20Prozent der israelischen Bevölkerung sind Palästinenser, sie gelten als „Bürger zweiter oder dritter Klasse“. Viele Verkehrsschilder seien etwa bloß in Hebräisch und Englisch beschriftet.


Das Werkzeug zum Spielen

Und während arabische Sprache und Geschichte in den Schulen kaum vorkommen, „wird das Hebräische als Werkzeug benutzt, um jüdischen Nationalismus zu schüren“, erzählen die Künstler aus ihrer Heimat. Manchmal fänden sie es deshalb fast naiv, mit Parrhesia so spielerisch ans Thema heranzugehen. „Wir sind uns der Schwächen von Sprache und Kunst bewusst. Die wirklichen Mächte benutzen andere Werkzeuge.“

In Jerusalem und Tel Aviv-Jaffa hat man das nun für Wien geplante Projekt bereits realisiert – große arabische Wörter wurden mit hebräischen Übersetzungen versehen und per Schablone auf Schaltkästen, Gehsteige, Wände gesprayt. Warum nun Wien? „Wien hat uns ausgesucht“, grinst Gardi – die Aktion findet im Rahmen von „overlapping voices“ des Essl-Museums statt. In der „Beschriftung“ des 20.Bezirks (gemeinsam mit Künstlerin Ursula Hofbauer) sieht Parrhesia allerdings keine einseitige Aktion: „Es lädt zum Dialog ein. In Jaffa haben wir gemerkt: Unser Arbeitsprozess ist auch Verhandeln – welches ist das richtige Wort für diesen Platz?“, erzählt Kahana. „Diese Kunst ist nicht exklusiv, jeder hat Zugang“, sagt Bar Or. „Andererseits ist sie auch aggressiv – wie Werbung, die man im öffentlichen Raum einfach wahrnehmen muss“, ergänzt Gardi.

Rechnen die Künstler mit Widerstand? „Widerstand kam bereits vom Amt“, sagt Gardi. Die Graffiti mussten genehmigt werden, man befürchtete, Parrhesia würde das Stadtbild verschmutzen oder könne – aufgrund ihrer ethnischen Zusammensetzung – gar nicht friedlich zusammenarbeiten, erzählen die Künstler. Die Schriftzüge müssen nach zwei Wochen wieder entfernt sein.


Happy Birthday – und Goodbye, Israel?

Und, die Anrainer sollen ein Wörtchen mitzureden haben: Parrhesia hat schon mit Geschäftsinhabern am Augarten gesprochen, ein Eissalon wünscht sich etwa das Wort „Eis“ in seiner Nähe. Entspricht das aber noch der Intention der Künstler? Sie müssen nicht unbedingt provozieren, finden sie, lieber kooperieren, Fragen stellen, Vergessenes oder Verdrängtes thematisieren. Auch in ihrer Heimat: „Israel will zwar das palästinensische Territorium, aber nicht die Menschen, die dort leben“, so Kahana. „Es ist an der Zeit, der Idee Israel Goodbye zu sagen“, findet Gardi. Die Idee feiert gerade 60. Geburtstag, Parrhesia sieht sie gescheitert. „Alle reden von friedlicher Ko-Existenz zwischen Mittelmeer und Jordan“, beschwert sich Bar Or. „Wir ziehen es vor, von Existenz zu sprechen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2008)


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