Der alte Mann, die Welt und der Forscherdrang
Weltbilder. Im Grazer Kunsthaus wird deutlich, wie Künstler ihre Umwelt ordnen, abbilden, ironisieren und befragen.
MARTIN BEHR GrAZ (SN). Bei Wolfgang Bauer landete der Globus nach zwischenmenschlichen Tumulten im Klo. Im Dramaknaller „Magic Afternoon“ sollte sie hinuntergespült werden, die „Scheißwelt“. In Manfred Willmanns Foto aus der Serie „Das Land“ wird sie hingegen genau erkundet, die mit Luft gefüllte Minierdkugel. Von einem Bauern südsteirischer Provenienz, mit Händen, die von einem mit harter Arbeit erfüllten Leben Zeugnis geben. Willmanns Bilddokument ist eine uninszenierte und doch poetische Realitätssuche im bäuerlichen Milieu, ein Mosaikstein im Versuch, die ihn umgebende Welt fassbar zu machen.
Das Kuratorenduo Katrin Bucher Trantow und Peter Pakesch hat die steirische Alltagsmetapher bewusst an den Beginn seiner Ausstellung gehängt, die den populären Titel „Vermessung der Welt“ und den sperrigen Untertitel „Heterotopien und Wissensräume in der Kunst“ trägt. 42 Positionen, in denen es um menschliche Ordnungsversuche, den Drang nach Kategorisierung, um künstlerische Strategien der Welterforschung geht. Große Namen und Nachwuchskünstler sind ebenso vereint wie zeitgenössische Kunst und historische Publikationen, etwa die Schedel’sche Weltchronik aus dem Jahr 1493.
Wie gefräßige Ameisen auf einem Teller mit kartografisch angeordnetem Carpaccio eine Kontinentalverschiebung bewirken können, zeigt das faszinierende Video „Pangaea’s Diaries“ der Brasilianerin Rivane Neuenschwander. Thomas Struth visualisiert in zwei großformatigen Stillleben die Ästhetik menschlicher Forscherlust und zeigt sich selbst beim Betrachten eines Dürer-Selbstporträts als Christus: Das Publikum blickt auf zwei revolutionäre, aber höchst unterschiedliche Bildkonstrukteure.
Peter Kogler präsentiert computergezeichnete Gehirne. Um einiges spannender ist da aber die aus dem Künstleratelier in die Ausstellung transferierte Pinnwand, die höchst subjektive Sammel- und Denkstrukturen sichtbar macht. Auch von dem Amerikaner Terry Winters sind spontane, improvisierte Bildcollagen („Local Group“ und „Notebook“) zu sehen, die Vernetzungen diverser optischer Reize verdeutlichen.
Landkarten sind ein durchgängiges Thema der Schau. Der Chinese Ai Weiwei präsentiert seine Heimat als Holzskulptur, wobei das Ausgangsmaterial aus buddhistischen Tempeln stammt, die modernistischer Architektur weichen mussten. Spurensuche in der eigenen Biografie betreibt hingegen der Deutsche Stephan Huber mit der Arbeit „Myspace: Mentalstammbaummap“.
Eine Vielzahl stimmiger Werke (Marcel Broodthaers, Zoe Leonard, Matt Mullican, Hiroshi Sugimoto oder Christopher Williams) machen „Vermessung der Welt“ zu einem illustren, qualitativ hochwertigen Parcours der Entdeckungen: Nach viel Zwist und Hader endlich wieder eine gute Nachricht aus dem Universalmuseum Joanneum. (Bis 4. 9.)