Zirka 15 Minuten sind vergangen, und keiner hat auf das Schild gesehen. Nicht dass der riesige weiße Affe, der breitbeinig vor der Kunsthalle am Karlsplatz hockt, nicht auffiele. Im Gegenteil. Viele bleiben stehen, schauen, zücken das Smartphone für ein Foto. Aber nähere Erklärungen, was der österreichische Grafikdesigner Stefan Sagmeister mit seiner aufblasbaren Skulptur „Everybody thinks they are right“ gemeint haben könnte, interessieren nicht. Christoph Thun-Hohenstein, Sagmeister-Fan und -Freund – und seit vergangener Woche designierter MAK-Direktor–, nimmt es gelassen: „Schätzungsweise 95 Prozent der Leute sind nicht über Kunst im öffentlichen Raum informiert“, sagt er. Es gehe aber nicht darum, dass Menschen Begleittexte auf Schildern lesen, sondern darum, „dass es bei den Leuten klickt“. Oder auf der Handykamera.
Gelegenheit zum „Klick“ gibt es, wie ein Stadtrundgang mit
Thun-Hohenstein zeigt, viele. Denn im Frühsommer geht die Kunst auf die
Straße, vor allem seit der Trend weg von permanenten Installationen hin
zu temporären Projekten weist. Am Graben etwa entwickeln sich die
„Großen Geister“, das Figuren-Quartett von Thomas Schütte, zu
Touristenlieblingen. Und auf dem Vorplatz vorm Museumsquartier ist zwar
derzeit Pause, aber schon Ende Juni kehren die luftigen „art to
innovate“-Skulpturen wieder. Ebenfalls in der Warteschleife, aber
hinterm Baustellenzaun schon sichtbar, windet sich „The Morning Line“:
Der ornamentale, tintenschwarze Pavillon des britischen Künstlers
Matthew Ritchie, der schon in Istanbul gastierte, fungiert von 7. bis
11. Juni als Plattform für ein Musikfestival auf dem Schwarzenbergplatz.
Große Fußstapfen.
Gute Projekte allesamt, findet Thun-Hohenstein. Er wird sich künftig
intensiver mit Kunst im öffentlichen Raum beschäftigen. Nicht nur, weil
ihn das Thema, wie er sagt, schon lange „brennend“ interessiert,
sondern auch, weil er als MAK-Direktor in große Fußstapfen tritt.
Immerhin war sein unrühmlich verabschiedeter Vorgänger Peter Noever ein
Förderer der „Straßenkunst“, mit der sich das MAK in die Stadt
erweiterte. Das beginnt mit der permanenten Lichtinstallation von James
Turrell auf der MAK-Außenfassade und setzt sich fort in Geschenken und
Leihgaben – wie etwa der Skulptur von Donald Judd im Stadtpark oder
Franz Wests Lemurenköpfen auf der Stubenbrücke. Noever beschenkte die
Stadt aber nicht nur, er stritt auch gern mit ihr zum Thema – mal ging
es um die gescheiterte Finanzierung großer Projekte („Urban Light“),
mal um Kritik an der Straßenbeleuchtung oder darum, dass die Stadt
seine Gaben verkommen lasse. Kunst im öffentlichen Raum, meinte er, sei
im Idealfall „schmerzhaft“ und Wien in dieser Beziehung leider eine
Provinzstadt.
Töne wie diese wird man vom verbindlichen Christoph Thun-Hohenstein
(„Ich bin ein ganz anderer Typ“) nicht hören, zu Wort melden werde sich
„das MAK“ dazu aber weiterhin. Viel Potenzial für Stadtinterventionen
sieht er etwa bei den Visualisten, die er aus seiner Zeit als Chef der
Wiener Kreativwirtschaftsförderagentur „departure“ gut kennt. Böse
Zungen meinen freilich, das liege auch daran, dass Lichtprojektionen
kaum Konfliktpotenzial bergen.
Der Klick. Was
aber ist für den neuen MAK-Chef überhaupt „gute Kunst“ im öffentlichen
Raum? Eher permanente oder temporäre? Eine, die Menschen aktiv
einbezieht, oder nur für sich steht? Und soll sie besser im
Stadtzentrum stattfinden oder in den Außenbezirken? Thun-Hohenstein
will sich nicht festlegen, nicht einmal auf eine Definition schlechter
Kunst. („Okay, es gibt einige Brunnen, die mir nicht gefallen.“) Klar
sei aber: „Gute Kunst im öffentlichen Raum muss – abgesehen davon, dass
sie gute Kunst ist – vor allem bemerkt werden.“ Das bedeute, dass sie
erstens „an Plätzen ist, wo viele Leute sind“, und zweitens, dass sie
funktioniere, dass es eben „Klick macht“. Verspielte Werke wie der
Sagmeister-Affe, gibt er zu, hätten es leichter.
Wichtig sei auch, dass das Werk von seiner Dimension her nicht in
der Umgebung verschwinde. Tatsächlich gibt es in Wien mehr unsichtbare
Kunstwerke als solche, die man – ob positiv oder negativ – kennt. Und
nicht immer liegt es an der Ignoranz der eiligen Passanten. Selbst
tollen Künstlern wie Olafur Eliasson, sagt Thun-Hohenstein, könne es
passieren, dass sie untergehen. So seien dessen Wasserfälle im New
Yorker East River trotz bombastischen Aufwandes letztlich zu dezent
gewesen. Apropos New York: Für Thun-Hohenstein, der von 1999 bis 2007
das dortige Österreichische Kulturforum leitete, ist die Stadt ewiges
Vorbild – auch in Sachen Kunst im öffentlichen Raum. Wobei er Wien –
immerhin – große Fortschritte zugesteht.
Budgetnöte.
Am Fortschritt beteiligt ist die „Kunst im öffentlichen Raum-GmbH“, die
Wiener Projekte berät und basierend auf der Entscheidung einer
internationalen Jury fördert. Jury-Präsidentin ist seit Herbst 2010
Kuratorin Lilli Hollein. Ihre Erfahrungen sind gemischt: „Es ist nicht
so, dass alle Türen offenstehen“, sagt sie – auch wenn sich bei der
Schütte-Installation die strenge City-Bezirksvorsteherin diesmal
kooperativ gezeigt habe. Auch leide man unter der Budgetunsicherheit.
800.000 Euro sind veranschlagt (deutlich weniger als etwa in
Niederösterreich), großteils aus dem Wohnbauressort, dessen Ressourcen
drastisch gekürzt wurden. Heuer halte das Budget, sagt Hollein, aber es
sei schwer, für die Zukunft ein permanentes, renommiertes Projekt zu
planen, wenn man nicht wisse, wie viel Geld man haben werde. Und
Finanzierung über Public Private Partnership? Auch schwer zu finden.
Nicht einfach sei auch die Lage beim neuen Hauptbahnhof: Kunst werde im Stadtbau zu spät mitgedacht. „Man sollte früher ansetzen und Künstler und Architekten zusammenspannen“, sagt Hollein. Dann werde auch die Kunst besser. Und davon profitierten, glaubt Thun-Hohenstein, wiederum die Museen. Schlechte oder schlecht vermittelte Kunst an der frischen Luft sei nämlich gefährlich für jene in geschlossenen Räumen, denn: „Sie kann Vorurteile gegenüber zeitgenössischer Kunst insgesamt verstärken.“