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Der Tod schafft einen Heiligen

Von Edwin Baumgartner

Wie war Christoph Schlingensief umkämpft! Man hat ihn geliebt und gehasst, und zwar keineswegs nur in Österreich, als er sich mit seiner Ausländer-Container-Aktion bei der Wiener Staatsoper die rasende Wut zahlreicher Passanten und eines Boulevard-Blatts einhandelte. Schlingensief war einer der letzten umkämpften Künstler. Und das war sehr gut so. Denn Kunst lebt nur solange, solange sie auch Sprengkraft besitzt und Nachdenklichkeit bewirkt. Wenn Kunst nicht mehr aufregen kann und nur noch dem Genuss dient, ist sie überflüssig.

Schlingensief heute: ein verehrter Kunst-Heiliger. Sakrosankt. Sein Name kommt nur noch in devotem Tonfall über die Lippen auch derer, die ihn vor wenigen Jahren noch am liebsten tot gesehen hätten. Und genau das ist Schlingensief: Er hat sein Sterben öffentlich gemacht, wahrscheinlich gehofft, mit dem großen Tabu unserer Gesellschaft nochmals Aufregung und Nachdenklichkeit zu provozieren.

Dieses eine Mal jedoch hat sich der brillante Provokateur geirrt. Er hat mit seinem Tod keine Nachdenklichkeit bewirkt, sondern kritiklose Verehrung eines Kunst-Märtyrers. Doch das liegt nicht an Schlingensief. Es liegt an der Ehrlichkeit der Betrachter. Bei allzu vielen war für den Weg vom Schlingensief-Saulus zum Schlingensief-Paulus nur noch der letzte Atemzug Christoph Schlingensiefs notwendig.

Siehe auch:

Aufzählung Installation wird zum Mythos



Printausgabe vom Donnerstag, 18. November 2010
Online seit: Mittwoch, 17. November 2010 17:53:00

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