Das Mumok zeigt "The Moderns. Revolutions in Art
and Science 1890 –1935"
Mit Einstein relativ sehen
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Ausschnitt aus Fernand Légers Ölbild "Dorflandschaft/Landscape"
(1911/1912). Foto: Mumok/VBK Wien, 2010
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Von Brigitte
Borchhardt-Birbaumer
Nicht erst in
hochtechnologischen Installationen liebäugelt die Kunst mit der
Wissenschaft: Was heute als klassische Moderne gilt, das hat sich in
seiner Radikalität durchaus den Überlegungen der zeitgenössischen
Naturwissenschaften angenähert. So nahe jedoch wie in der neuen
Sammlungs-Ausstellung des Mumok hat man diese beiden Geistesdisziplinen
noch nicht gesehen. Als eine "Philosophie der Physik" preist sich die
Schau "The Moderns. Revolutions in Art and Science 1890–1935".
Mit dem engen Dialog hat sich schon 1991 die legendäre
Festwochen-Ausstellung "Bildlicht" im derzeit wiedererstehenden Museum
des 20. Jahrhunderts befasst, vielleicht stärker noch auf
Wahrnehmungsfragen bezogen. Gewiss: Wissenschaftliche Protagonisten wie
Ernst Mach, Ludwig Boltzmann, Max Planck und Albert Einstein wirkten auf
Künstler befruchtend; atomare Strukturen, die Vorstellungen eines
gekrümmten Raumes und einer vierten Dimension wirkten stimulierend auf
Futurismus, Dada, Kinetismus und den Film.
Männliche Dominanz in der klassischen Moderne
Es bleibt allerdings eine kulturtheoretische Behauptung, dass die
künstlerische Hinwendung zur Gegenstandslosigkeit allein dem Einfluss
der Wissenschaft zuzuschreiben ist. Die motivische Auflösung auf der
Leinwand lässt sich auch, rein künstlerisch, als Folgeerscheinung von
Impressionismus und Symbolismus auffassen; ebenso dürften die
unfassbaren Mysterien des Okkultismus den Trend in der Malerei befördert
haben. Die Mumok-Schau bezeichnet sich aber auch nur als Essay – eine
Abhandlung in knapper, anspruchsvoller Form.
Viele Kräfte, viele Individuen und mehrere Wissensgebiete haben ihren
Beitrag geleistet. Vielleicht ist die männliche Dominanz in der
klassischen Moderne – in der Schau finden sich nur die Künstlerinnen
Erika Giovanna Klien und Sophie Teauber-Arp – ein Hinweis auf die
Technikdominanz. Okkultisten wie František Kupka haben Vorlesungen in
Physik und Biologie besucht, vor allem Marcel Duchamps Interesse an der
zeitgleichen Wissenschaft und ihren Methoden ist nachweisbar. Die alles
bestimmenden Waffengeräte im Ersten Weltkrieg, fehlgeleitete menschliche
Vernunft und das Element des Zufalls förderten paradoxe künstlerische
Impulse: Die Bewegung, das Nichtsichtbare wurden zu Kunstthemen gemacht.
Dazu kamen die Röntgenfotografie, Elektrizität und elektromagnetische
Radiowellen eines Nikola Tesla – gespiegelt in den fotografischen
Experimenten eines Man Ray oder Lázló Moholy-Nagy.
Problematisch bleibt der Vergleich zwischen Wissenschaft und Kunst
dennoch: Wie bereits Stanis³aw Lem kritisierte, lasse sich aus dem –
wissenschaftlich präzisen – Relativismus Albert Einstein mitnichten ein
Freibrief für einen enthemmten Subjektivismus ableiten. Umgekehrt kann
auch die Wissenschaft der Kunst einen Bärendienst leisten. Was Albrecht
Dürer als "göttliche Eingießungen" bezeichnete, wird von Gehirnforschern
heute auf elektrische Impulse im Gehirn verkürzt. Künstlerische
Denkströme und maschinell erzeugter Wechselstrom stimmen aber noch lange
nicht überein.
Legitim sind solche Kontraste freilich, wenn man sie im
widerspruchsfreudigen Rahmen der Postmoderne betrachtet. Subjektive
Reaktion auf objektive Fakten – dazu passen auch ein paar
zeitgenössische Ideologien aus Künstlermanifesten. Das Irrationale und
das Zerstörerische können aus diesen Energieströmen zu neuen Realitäten
geformt werden. Die Moderne bleibt ein labyrinthisches Rätsel, gut
beschrieben mit der Schneckenform in der Ausstellungsarchitektur von
Martin Guttmann.
Ausstellung
The Moderns. Revolutions in Art and Science 1890– 1935
Cathrin Pichler, Martin Guttmann, Susanne Neuburger (Kuratoren)
Mumok
bis 23. Jänner 2011
Printausgabe vom Samstag, 31. Juli 2010
Online
seit: Freitag, 30. Juli 2010 18:31:00
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