Falters Kultur für Genießer
Falters Kleine Schlaue
Startseite    faltershop - Buch Musik Film    Falter Abo Service    Falter Top-Stories    heureka Wissenschaftsmagazin    Tier der Woche    Werbung    Newsletter    
Event Programm    Kino Programm    Lokalführer Wien    Feste feiern    Best of Vienna    creation/production    Reparaturführer Wien    Weinführer    Impressum    

Die beste Stadtzeitung Europas.

„Ein ganz großer Lutscher“

Menschen schweben, Häuser atmen, Seelen hüpfen: Für Werner Reiterer steckt in seinen Werken auch „Punk, ein wenig Romantik und etwas Techno“. Eine Schau im Kunsthaus zeigt seine „Spinnereien“.
 
Falter 09/2007 vom 28.2.2007
Ressort Kultur > Kunst
Autor Christof Huemer


diesen Falter bestellen

Was hat der Mann bloß gegen Katzen? Werner Reiterer sieht gut aus, hat Stress, muss in ein paar Tagen nach Madrid, vorher aber noch ein Kunstwerk für seine Ausstellung im Kunsthaus Graz fertig stellen, eine Wolke aus Styropor, in der scheinbar eine eingeschlossene Fliege summt. „Diese Wolke samt Fliege stellt auch unseren Denkraum dar“, erklärt Werner Reiterer, in Graz geborener Künstler, wohnhaft in Wien, dann so schnell, dass man gar nicht folgen kann. Man sieht sich im Atelier um. Bis auf die Wolke sind alle Arbeiten verpackt, bereit für den Abtransport nach Graz. Immer noch denkt man an zerschnittene Katzen, an in Menschenhaut eingenähte Katzenleichen, allesamt kopfgeborene Scheußlichkeiten aus „Sigi“, einem neueren Werk dieses freundlichen Kunststars.


Falter: Herr Reiterer, was haben Sie bloß gegen Katzen?

Werner Reiterer: Ich bin Tierliebhaber. Das Werk „Anfänge der Raumfahrt“, wo eine mit Gas gefüllte Katze an der Decke schwebt, spielt gezielt auf die damaligen Tierversuche im Weltraum an. All diese Tiere haben ja die Versuche nicht überlebt. Und dann gibt es so etwas wie Universalien, Themen, die viele Menschen ansprechen. Da eignen sich Katzen genauso wie Hunde. Bei der anderen Arbeit, „Sigi“, einer Anspielung auf Freud, war die Vorgabe, einen Monolog zu schreiben, der so pervers und so abgründig und hart wie nur möglich ist. In der ersten Version ist der Text nett böse, aber man weiß: Das geht noch böser. Am Ende musste ich mich sehr zwingen. Letztendlich soll die Arbeit sagen: Alles ist machbar und niemand kann sagen: Ich könnte das nie. Alles, was der Mensch machen kann, wird gemacht.

Sie erhalten als erster Österreicher eine Einzelausstellung im Kunsthaus Graz. Was bedeutet Ihnen das?

Es hat bereits einmal einen Mix gegeben, Liz Larner (kalifornische Bildhauerin, Anm.) zusammen mit Maria Lassnig. Die Frage ist, ob man das gelten lässt. Auf jeden Fall ist das eine nette Kompagnonschaft. Mich hat die Einladung sehr gefreut, das Kunsthaus ist ein international agierendes Haus, das eine Marke hat. Wenn man in Paris im Palais de Tokyo im Bookshop ist, dann liegen dort meines Wissens sonst überhaupt keine Bücher oder Kataloge von österreichischen Institutionen auf. Die vom Kunsthaus Graz schon.

Die Ausstellung heißt „Auge lutscht Welt“. Wie schmeckt denn die Welt?

Das hängt davon ab, wo man lutscht. Die Welt ist ein ganz großer Lutscher. Ich sehe den Menschen als Durchlaufzentrale. Jeder Mensch saugt etwas an. Im besten Fall baut er für sich daraus ein Gericht, und unterm Strich kommt immer das gleiche Gericht raus. Bei ein paar ganz wenigen Köchen aber kommt eine ganz andere Speise raus. Der Titel bezieht sich natürlich darauf, dass wir eine visuell orientierte Gesellschaft sind, die Eyecatcher sucht; die ich auch teilweise produziert habe, aber eben nicht nur.

Sind Sie, nachdem Sie weltweit ausstellen, Teil des Kunstjetsets?

Ja, absolut. Es gibt ein sehr internationales, sehr dichtes Netz, das Gott sei Dank größer ist als jenes in Österreich. Aber es muss einem klar sein, dass man in diesem System nur ein kleiner Teil ist. Es gibt zwei Strategien. Es gibt den Künstlertypus, der sagt: Ich nutze das Netz aus und schaue, dass ich möglichst präsent bin. Oder man sagt: Ich mache mich möglichst rar, mit nur zwei, drei ausgewählten, aber aufwendigen Geschichten im Jahr.

Wo würden Sie sich da sehen?

Ich würde mich derzeit im Übergang sehen, relativ präsent im Ausland, aber beginnend, die Bremse anzuziehen. Es ist eine Charakterfrage und hat mit dem Arbeitsmodus zu tun. Ich bin jemand, der über Arbeiten gerne lange grübelt. Mittlerweile nehme ich viele Termine aus Zeitgründen nicht mehr wahr.

Spüren Sie trotzdem noch dieses Ich-bin-Kunststar-Hochgefühl?

Ich glaube, das ist sogar eine ziemliche Droge. Ein ganz eigener Kick, weil man im Mittelpunkt steht und die meisten Leute ja gar nicht verstehen, worum es geht. Aber es hat schon einen skurrilen Touch. Vor kurzem bin ich für zweieinhalb Stunden nach Hannover geflogen und gleich wieder zurück. Da fragt man sich dann schon: Was läuft denn da?

Es heißt: Den steirischen Künstler zeichnet aus, dass er in Wien lebt. Stimmt?

Leider. Wenn man auf einem internationalen Niveau Gegenwartskunst betreibt und noch keinen abgesicherten Status hat, ist es relativ schwierig, in Graz eine Infrastruktur und ein Netzwerk aufzubauen, die so gut tragen, dass man davon leben kann. Ich mache siebzig Prozent meines Umsatzes im Ausland. Leute wie Günter Brus, der für sich selbst gewählt hat, in Graz zu leben, müssen sich da weniger Sorgen machen, denn der ist ja im positiven Sinne auch Kunstgeschichte. Man muss aber auch sagen, dass die Infrastruktur schon mal schlechter war in Graz.

Viele Ihrer Werke weisen eine kindliche Geheimagentenmentalität auf. Dinge werden unsichtbar gemacht, unsichtbare Gase infiltrieren Räume.

Das kommt wahrscheinlich aus der Kindheit. Vorrangig interessiert mich aber, was ich einmal als „substanzlose Bildhauerei“ bezeichnet habe, weil das so schön doppelbödig ist. Oft nehme ich alles weg und es bleiben nur Symptome übrig. Aber diese Symptome weisen darauf hin, wie wir Welt wahrnehmen. Wenn ich im Kunsthaus Graz zwei Matratzen aufeinanderlege und das „Jumping Soul“ nenne, und auf diesen Matratzen gibt es gewisse Stellen, die sich tatsächlich so verhalten, als ob da ein Ball darauf herumspringt, und es auch den Sound dazu gibt, dann erzeugt das Gehirn einen Gegenstand, der gar nicht da ist. Letztendlich ist in der Kunst nie interessant, was das Artefakt ist, sondern nur, was es auslöst.

Oft spielen Sie auch mit dem Erfahrungshorizont des Betrachters.

Es gibt Arbeiten, die die Wahrnehmung von Realität in großem Ausmaß manipulieren. Manipulation ist eines der wichtigsten Themen unserer Zeit. Man kann mit einem gewissen Aufwand in der Realität einen Sachverhalt implantieren, der als real angenommen wird. Und dann kommt jeder für sich in ein Verifizierungsdilemma. Ein gutes Beispiel ist der „Eingang zum Mittelpunkt der Welt”, den ich in Bremen realisiert habe und der mit relativ viel Aufwand eine Baustelle simuliert. Man steht davor und denkt: „Das ist unmöglich.“ Andererseits denkt man aber auch: „Welcher Vollidiot macht so einen Aufwand, da muss etwas dran sein.“ So haben wir in Bremen skurrile Feedbacks bekommen. Das ist so weit gegangen, dass ein Langzeitarbeitsloser gefragt hat, ob er nicht einen Job haben kann.

Steckt darin nicht auch ein Rest an kindlichen Allmachtsfantasien? Wenn Sie etwa Häuser atmen lassen?

Stella Rollig, die Leiterin des Lentos in Linz, hat einmal bei einem Atelierbesuch gesagt, sie komme sich vor wie Alice im Wunderland. Es passieren ständig Sachen, die man nur aus Märchen kennt. Auf alle Fälle geht dieser Effekt wieder auf die Universalien zurück. Wenn man Hits produzieren möchte, dann kommt man um diese Universalien nicht heerum. Die Frage ist, ob man das will.

Ab 2000 ging es mit Ihrer Karriere steil bergauf. Was ist da passiert?

Meine Ausstellungsbiografie ist ähnlich wie bei anderen Künstlern. Man braucht Durchhaltevermögen, sicher zehn Jahre, in denen das dahinkrebst. Aber sobald diese Kurve ansteigt, steigt sie schnell. Was schön ist, weil man mit höherem Einsatz spielen kann. Ich sage immer: Der ganze Kunstmarkt hat nur die Aufgabe, die Spinnereien der Künstler möglichst gut zu finanzieren. Und je mehr Potenzial da ist, desto mehr kann man spinnen.

In Ihren Ausstellungen hört man oft aus irgendeinem Eck: Ist schon ähnlich wie die Werke von Erwin Wurm.

Damit gehe ich unaufgeregt um. Ich weiß, dass der Stil meines Denkens sich von Erwins Denken unterscheidet. Da gibt es Differenzen, die bei manchen Arbeiten sehr, sehr stark sind, bei anderen weniger. Diese Wahrnehmung hat vor allem damit zu tun, dass Kunstgeschichtler immer Analogien entwickeln, was auch wichtig ist, weil die Annahme, dass es eine künstlerische Position ohne Vorfahren oder Einflüsse gibt, ein Unding ist. Eine Alarmglocke müsste nur dann läuten, wenn einen solche Konstellationen selbst beunruhigen. Dann wäre etwas faul. Aber nachdem ich da relaxt bin, sehe ich keine Gefahr.


Werner Reiterer: „Auge lutscht Welt“, Kunsthaus Graz, Lendkai 1, 8020 Graz, 2.3., 19 Uhr (Vernissage), Ausstellung 3.3.–13.5.

2007 © Falter Verlagsgesellschaft mbH
E-Mail: Webmaster
Impressum
Aktueller Falter
Startseite