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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
26. Oktober 2005
19:04 MESZ
Thomas Trenkler aus London 
Schwitzen im Dampf der Kunst
Die Frieze Art Fair war wieder ein Spektakel, die österreichischen Galerien machten gute Geschäfte

Und die Boygroup Gelitin, die früher Gelatin hieß, hatte viel Spaß in der Gagosian Gallery.


Nein, kein Druckfehler: Die Wiener Boygroup, die im Sommer 2003 mit ihrer Plastilin-Skulptur eines riesigen, eine Brücke schlagenden und sich dabei in den Mund pinkelnden Mannes bei den Salzburger Festspielen für Aufregung sorgte, hat sich tatsächlich in Gelitin umbenannt. Weil man es leid war, die oft gestellte Frage zu beantworten, warum man eigentlich Gelatin heißt.

Auch bei der ersten vom Kunstmagazin Frieze organisierten Messe vor zwei Jahren vermochten die vier jungen Männer zu schockieren: Im Rahmen einer Performance führten sie die anatomische Machbarkeit vor Augen.

Heuer setzten sie noch eins drauf: Von Gagosian unter Vertrag genommen, verwandelte Gelitin einen über 100 Quadratmeter großen Galerieraum in eine Wellnessoase der besonderen Art. Denn zwischen Bergen alter Möbel stellte die Gruppe nicht nur ihre Saunen aus Müllcontainerplastik, die Selbstbespiegelungstoilette und den Arc de Triumphe aus, der die Salzburger Einhausung sichtlich unbeschadet überstanden hat: Der Raum wurde knöcheltief unter Wasser gesetzt.

Das Chaos und die recht schwüle Stimmung - Gelitin nannte die Ausstellung Sweatwat, was im Schottischen "feuchte Vagina" bedeutet - trieb den Verantwortlichen den Schweiß auf die Stirn: Einlass fand bloß, wer schriftlich erklärte, für alle Folgen selbst verantwortlich zu sein.

Sweatwat war lediglich am Abend zu durchwaten und zu erklettern: Damit man sich nach dem Besuch der Frieze regeneriere. Auf der Kunstmesse, die von 21. bis 14. Oktober wieder im Regent's Park stattfand, bot Meyer Kainer natürlich neue Gelitin-Plastilinporträts an: Sie gingen weg wie die warmen Semmeln.

Rauchender Reiterer

Bereits am ersten Tag hatte Ursula Krinzinger ein großes Gemälde von Jonathan Meese um 36.000 Euro an den Mann gebracht. Und die neue Skulptur von Werner Reiterer, ein schwitzendes Alter Ego, dem der Dampf beim Ohr herausströmt, wurde sogleich vom Evening Standard abgebildet. Ein Hingucker war auch die Erwin-Wurm-Skulptur einer abgewinkelten Tate-modern-Miniatur; mit den Schüttbildern von Hermann Nitsch, der kürzlich in der Saatchi Gallery ausgestellt war, hatte Krinzinger aber weniger Glück.

Den größten Umsatz machte zwar wieder Thaddaeus Ropac: Skulpturen von Tony Cragg und Antony Cromley gingen um 100.000 bzw. 230.000 Euro weg, ein großer Baselitz brachte 225.000 Euro, für drei schimmernde Monster- Schwammerln von Sylvie Fleury wurden 190.000 Euro bezahlt. Aber auch die anderen österreichischen Galeristen - Krobath Wimmer präsentierten Arbeiten von Esther Stocker, Florian Pumhösl und Dorit Magreiter, Martin Janda verkaufte unter anderem Romans Signers Staubsauger-betriebene Rakete um 36.000 Euro - waren hoch zufrieden:

Georg Kargl machte gutes Geschäft mit Collagen von Gabi Trinkaus und Digitaldruckbildern von Gerwald Rockenschaub, er musste sogar auf ältere Elke-Krystufek-Selbstporträts zurückgreifen, um das Interesse zu befriedigen. Am meisten aber strahlte Gabriele Senn: Ihr Stand mit einer Installation von Michael S. Riedel im Mittelpunkt war praktisch "sold out". Hans Weigands Collage Garten der Lüste hätte sie, meinte Senn, gleich viermal verkaufen können.

Insgesamt wurden 47.000 Besucher gezählt, bloß um 5000 mehr als letztes Jahr. Der Hype um die deutschen Fotografen scheint definitiv vorbei zu sein, es dominierte die gegenständliche, sehr oft die rein dekorative Kunst: Julian Opie hatte mit seinen simplen Porträts und minimalistischen Landschaften wieder die Nase vorn. Er war mit zwei bunten Autos auch im Skulpturengarten vertreten. Krinzingers Beitrag hingegen musste aus dem Royal Garden entfernt werden: Das Laokoon-Leiber-Gewirr, eine Skulptur des Ateliers van Lieshout, erinnerte die Parkwächter zu sehr an eine Orgie. Es wurde daher hinter dem Frieze-Zelt aufgestellt: Einen Blick darauf konnte man nur vom Fenster der Sushibar (neben der Recycling-Station) erhaschen ... (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.10.2005)


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