Quer durch Galerien Von Claudia Aigner
Kakteen wollen umarmt werden
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Das Gesicht dieser Maid ist übersiedelt. Aus der Kunst in die Mode.
Dorothee Golz hat es mit chirurgischer Präzision abgelöst und
transplantiert. Ihr OP: der Computer. Galerie Hohenlohe & Kalb
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Ein intimer Kenner der Keramik, also einer, der mit Kaffeehäferln
Umgang pflegt, dem ist das sicher nicht entgangen, wie die Kaffeekanne
und das Häferl beim Frühstück scharf rangehen. Und nachher kann er
wieder schauen , wie er die hart-näckigen Kaffeeflecken mit Gallseife
wieder rauskriegt aus dem weißen Lein-, pardon: Tischtüchl. Und die ach
so kühlen Engländer ziehen sich sowieso jeden Tag zu ihren
Fünf-Uhr-Ausschweifungen zurück, voll schamloser und unverhüllter
Erotik, ergötzen sich am Liebesspiel ihres Trinkgeschirrs.
Das Einschenken ist ja schließlich der Vollzug der Ehe zwischen der
Kanne, dem männlichen Prinzip, das unschwer am angeberisch
geschwungenen Verströmungsorgan, dem Ausguss, zu erkennen ist, und der
Tasse, die pflichtbewusst den Kaffee empfängt. Und dann vergnügen sich
womöglich auch noch ein Schuss Milch und ein Zuckerwürfel da drin und
haben keinen Genierer.
Noch eindeutiger ist’s, wenn im Schalerl ein Teebeutel (oder gar ein
Tee-Ei) wartet. Den muss man dann freilich nicht neun Monate lang
ziehen lassen, vier Minuten reichen dem Tee in der Regel bis zum
Geburts-, äh: Trinktermin. Und wenn die Teesackerln in der Kanne
hängen? Na ja, die ist in dem Fall halt ein Hermaphrodit, der als
Leihmutter einen fremden Aufgussbeutel austrägt. Oder . . . ach, was
weiß denn ich.
Galerie Hohenlohe & Kalb: Auch Kaffee kann erfrieren
Tatsache ist: Bei der gemeinsamen sonntäglichen Jause, die so
harmlos und jugendfrei aussieht, weil eh niemand seinen Sitzplatz
verlässt, spielen sich geradezu orgiastische Szenen ab (zugegeben:
ritualisierte, die einer strengen Choreografie gehorchen, die man
Tischmanieren nennt). Und wenn wir mit den Gebrauchsgegenständen der
Tischkultur hantieren und pudelnacktes Porzellan und Besteck aus
rostfreiem Stahl in soziale Interaktionen verwickeln (eingießen,
umrühren, im Kuchen herumstochern), führen wir ein zeremonielles
Bacchanal auf.
Muss ich noch erwähnen, dass ein Kaffeeservice kein Matriarchat ist?
Die Kaffeekanne und ihr Harem. Wo der Keramikpascha bis zu sechs
Haremstassen abfüllt. Und sogar genug Fassungsvermögen (Kaffeepotenz)
hat, um bei Bedarf der einen oder andern ein zweites Mal nachzuschenken.
Meret Oppenheim hat ja schon vor langem den anspielungsreichen
Körperbau des Trinkgeräts voll zur Geltung gebracht. Ihre legendäre
Pelztasse, eine kuschelige Schmusetasse (eine Tasse wie ein
Schoßhündchen, nämlich niedlich und mit Fell überzogen), hat so etwas
wie Schambehaarung. Gschamige Eltern, die ihren Nachwuchs über die
Körperbehaarung nicht aufklären wollen, leugnen natürlich standhaft.
Sagen, weil es ihnen sonst peinlich wäre, vor ihren Kindern je wieder
Kaffee zu trinken, das wär’ eine Polartasse, ein Pelzmantel für den
Kaffee. Denn auch Kaffee könne erfrieren, wenn er sich im Winter
draußen aufhält. (Aber dann hätte die Oppenheim ihn doch in einen
dicken Anorak eingepackt.)
Und genau diese Tasse hat Dorothee Golz (bis 9. September bei
Hohenlohe & Kalb, Bäckerstraße 3) ernüchternd nachgebaut. Keine
schwüle, flauschige Erotik, sondern spröd und kratzig. Wie der Titel:
"Die Tasse ist eine Tasse, keine Tasse." Spielt auf Gertrude Steins
Rosen-Litanei an, den Merksatz, den sich seither die Rosenzüchter als
Mantra vorbeten wie andere "Hare Krishna" sagen: "Eine Rose ist eine
Rose ist eine Rose ist eine Rose." Gut, Golz hat nicht eine
stinknormale Steingutschale hingestellt und genannt: "Tasse, rasiert."
Das wäre ja dadaistisch.
Einsam in die Fastensuppe
hineinmeditieren
Ihr "Lebensentwurf" ist auch kein sinnlicher
Geschirr-Streichelzoo. Da zeichnet sie aus dünnen Eisenstäben eine in
ihrer Präzision beeindruckende lebensgroße 3-D-Skizze. Von einem
Single-Küchentisch, den sie dann sauber mit einem struppigen Gedeck aus
Polyester belegt: mit einem Suppenteller (wohl für die Fastensuppe, die
fleischlose, einsame Kost), einem Löffel, einer Flasche und einem
Becher. Irgendwie traurig.
Häusliche Kakteen: Zum Leibwächter oder Rausschmeißer eignen sie
sich wahrscheinlich nicht. Dazu sind die Stachelkreaturen zu sesshaft
in ihren Blumentöpfen. Da müsste man sie schon selber schwingen
wie ein Jedi-Ritter sein Laserschwert. Das Thema der sehr poetischen
Serie "I and Myself" ist aber eh nicht: Kakteen und ihre Traumberufe.
Golz hat vielmehr neben echte Kakteen deren Ich-Ideal hingestellt.
Größer, mehr Fortsätze, entstachelt. Diese ungeselligen Pflanzen
könnten ja insgeheim kontaktfreudig sein wie die Hunde und wollen
vielleicht nicht nur von Masochisten gekost und umarmt werden, die sich
die Liebesbezeigungen nachher mit der Pinzette einzeln herausfischen.
Die Jungfrau Maria darf
endlich ihre Wadeln zeigen
Uralte Supermodels hat Golz auch entführt. Die präsentieren jetzt
die allerneueste Mode. Genauer gesagt, hat sie nur die berühmten Gesichter
entwendet (zum Beispiel von Leonardo da Vincis "Dame mit dem Hermelin")
und glaubwürdig in Modefotos implantiert. Identitätsklau? Sensible
digitale Collagen. Bronzinos Eleonora von Toledo war ja schon im
Original ein Modepupperl (das in Stoff und Muster ertrinkt), und die
Jungfrau Maria, die immer dasselbe anhaben hat müssen (wegen der
Ikonografie), darf endlich ihre Wadeln herzeigen. Das ist so, als
würden kleine Mädchen ihre Barbies mittels Kopftransplantation
umziehen. Ihnen das blonde Haupt abreißen und einer besser gekleideten
Barbie wieder aufsetzen. Und ist eine Plakatwerbung mit Heidi Klum
nicht eigentlich ein Heidi-Porträt?
Die Arbeiten von Dorothee Golz haben Ausstrahlung. Wohl auch, weil sie so sorgfältig gemacht sind.
Le Meridien: Weil Spiegel so vergesslich sind
Ein Spiegel hat die Angewohnheit, total naturgetreue Porträts
anzufertigen. Aber er hat kein Erinnerungsvermögen. Und keine
Wiederholtaste. Deshalb fotografiert der H. H. Capor ja die Spiegelbilder seiner Nackedeis, damit sie ihm bleiben.
Seine Methode: Er verfolgt immer eine Frau mit seinem Spiegel bis in
ihre Privatgemächer, die lässt die Hüllen fallen und posiert im Spiegel
klassisch liebesgöttinnenhaft oder schüchtern, der Capor macht ein Foto
(wo auch ein bisserl der Wohnstil drauf ist), das nimmt er dann mitsamt
dem Spiegel zur Nächsten mit, schummelt es ins Ambiente und immer so
weiter. Drum ist das bislang letzte Bild ein Konzentrat aus 71 nackten
Frauen und zwei "nackten" Capors. Selber ist er ja feig. Lässt sich den
kompletten Unterleib von seinem Krimskrams zuwuchern wie von einem
Salat aus Feigenblättern.
Komposition ist nicht immer seine Stärke. Seine Ausdauer ist aber
bewundernswert, das Spiegel- und Bilderschleppen seit immerhin 1990.
Die Aussicht auf Fleisch dürfte eine starke Motivation sein. Vermutlich
müssen die deshalb alle unbedingt hüllenlos sein wie in der Badewanne. Bis 4. September im Le Meridien (Opernring 13–15).
Freitag, 19. August 2005