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Doug Aitken: I AM IN YOU Ute Vorkoeper
Galerie Hauser & Wirth & Presenhuber 17. Juni bis 5. August 2000

 
   
   

"You can't stop." Die wispernde Stimme des Mädchens zieht in den Bann. Schon das Foto auf der Einladungskarte zur Videoinstallation I AM IN YOU verführt. Versunken, rot beleuchtet vor milchigem Orange, steht die Kleine da, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, den Blick nach unten gerichtet. Ihre Haltung signalisiert Entspannung und Konzentration. Sie bespricht und beschwört die Flüchtigkeit der Welt. Ein Kinderspiel – dieser Ernst.

Nach Jahren der kritischen Reflexion, Dekonstruktion und Ironie ist so viel Existenzialismus und Transzendenz verwirrend. Doug Aitken (geboren 1968) versucht, uralte Geschichten und €ngste unter den glatten Flächen der Gegenwart aufzuspüren und anders zu wiederholen. Angepasst an die Komplexität einer vernetzten, schnellen, vergesslichen Zeit. Und seine Installationen werden weltweit gezeigt, sind unter anderem bald in der Wiener Secession und Wolfsburg zu sehen.

I AM IN YOU ist eine dreiteilige Produktion aus diesem Jahr, die Aitken in S-Form auf fünf Projektionsflächen in einem abgedunkelten Raum inszeniert hat. "I like to run and not slow down. I like to see and look", raunt das Mädchen in Rot und starrt die BesucherInnen riesig vergrößert an. Ihre Iris wird Minuten später über die fünf Flächen verteilt den ganzen Raum ausfüllen. Zu einem geflüsterten "You got to be sharp" waren zuvor Loops von verschiedenen Hand-Spielen zu sehen, außerdem rückwärtslaufende Bilder von Flugzeugen, vom Lenkrad eines Autos, von badenden Kindern. Lauter Unschärfen. Dazwischen geschnitten ist immer wieder eine flüchtige Sequenz von Konstruktionsrahmen. Der Sound wechselt zwischen knisternder Stille, Klavierspiel, technischem Sphärenklang und Höllenlärm.

Man befindet sich mitten in einem durch und durch suggestiven Bildfeld. Alles dreht sich um Verführung, um das Geheimnis des Blicks und die Konstruktion von Bildern. Aitken führt uns in ihre Untiefen, in Bilder hinter Bildern, vor immer neue Bildschirme. Doch es geht um mehr als um Wahrnehmungsillustration. Das Abschlag-Spiel der Hände füllt jetzt den ganzen Raum. Das Mädchen spielt es auf die unsichtbare Trennwand zwischen uns und ihr. Schnitt. Sie spielt mit einem Gefährten, der hinter einem weiteren Bildschirm steht. Die Realität wird geschichtet. Es ist nicht länger zu entscheiden, welche der Ebenen realer ist. Fest steht nur, dass für das, was hinzukommt, zuvor etwas verlassen wurde. "You can't stop", flüstert die Kleine ein weiteres Mal.

Douglas Fogle sieht in der Darstellung der Verlaufslinien zwischen physischer Topografie und medialem Datenfluss Aitkens zentrales Thema. Und ihre Entropie. Reale Landschaft wird als Akteurin erfahren, die über die Reste menschlicher Anstrengungen oder Leiden wächst. So in "Monsoon" (1995), in "Diamond Sea" (1997) oder in "Eraser" (1999). Am Ende sind es Wüsten, die bleiben. In den neueren Arbeiten betont er die Übergänge und Brüche von Imaginärem und Realem, von Unbewusstem und Sichtbarem deutlicher. Darauf folgt eine Beschreibung von I AM IN YOU als "innere" Bildlandschaft, die Schicht für Schicht vermittelter und konstruierter zu werden scheint, bis sie schließlich verlischt. Dennoch bewahrt sie magisches Wissen, kindliche Geheimnisse.

Eins aber irritiert: Passagen zwischen Bildräumen und Betrachtungsraum stellten sich nicht ein. Ich stand vor Flächen oder wurde hineingezogen in Illusionsräume. Nach leicht zerstreutem Hin und Her suchte ich einen festen Blickpunkt, da die Bilder keineswegs zum Flanieren, zur Bewegung durch den Raum auffordern. Sie sind nicht beiläufig anzusehen, sondern verlangen ein Mehr an Konzentration als frühere Arbeiten von Aitken, die mich mitgenommen, in Bewegung versetzt oder in den Kreuzungspunkt widersprüchlicher Blicke gestellt haben. Bei Hauser & Wirth & Presenhuber wurde ich gebannt - und im selben Augenblick wieder zerstreut. Dieser Widerspruch ließ das dichte Bildgefüge zwischenzeitlich glatt und etwas aufgeblasen erscheinen. Eine massive und doch unkonzentrierte Verführung. Eine Werbung. Liegt es am Kontext Galerie? An der großen Nachfrage? Probeweise stelle ich mir das Video auf drei Leinwände reduziert vor – die Übersetzung vom Bildraum in den Zuschauerraum, bis in die Blickposition hinein.

Doch man sollte Doug Aitken an dem messen, was bleibt. An Bildern, die sich im Erinnern tiefer ins Gedächtnis schreiben. Das sind nicht wenige der verschwörerischen Szenen: Kinderspiele, ein fahrendes Haus, unruhiges Einschlafen und geisterhafte Autos auf einem nächtlichenHighway. Sie wiederholen Erlebnisse aus entfernter eigener Kindheit und holen Momente in die Gegenwart, in denen sich die Welt zwischen Wachen und Schlafen unerklärlich fortbewegte. Sie verführen sogar zu frühen Versen von Rilke: "Und ich weiß jetzt: wie die Kinder werde. / Alle Angst ist nur ein Anbeginn; / aber ohne Ende ist die Erde, / und das Bangen ist nur die Gebärde, / und die Sehnsucht ist ihr Sinn –" Angesichts der Unabwendbarkeit unserer Verluste wirkt Aitkens Neumischung von kindlicher Ungeduld und Gelassenheit ähnlich prekär: verklärend und ungeheuer verlockend.

 
     

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