Salzburger Nachrichten am 14. Oktober 2005 - Bereich: Kultur
Ein Bild vom Kino Die Viennale 05 tritt
einmal mehr für die Vielfalt der Arten im Kino ein. Viennale-Chef Hans
Hurch im Gespräch über sein Filmfestival und spannende Kinotendenzen.
PIA FEICHTENSCHLAGERWIEN (SN). Mit Woody Allens Film "Match Point" wird
heute, Freitag, das Filmfestival Viennale im Wiener Gartenbaukino
eröffnet. Den Abschluss am 26. Oktober bildet "Good Night, and Good Luck"
von George Clooney. Dazwischen sollen Vertreter des Gegenwartskinos wie
Takeshi Kitano, Gus van Sant, Tim Burton oder Lars von Trier das Publikum
in die Kinosäle locken. Festivalleiter Hans Hurch wünscht jedoch, dass vor
allem jene Arbeiten ihr Publikum finden, die noch kaum Assoziationen
wecken: "Das Schöne ist ja, wenn einem Titel und Namen nichts sagen und
man sich überraschen lässt." Mit der Retrospektive "Andy Warhol Filmmaker" und Gästen wie Jane
Birkin oder Danny Glover gönnt sich das Festival zwar bescheidenen
Starglanz, aber nur auf große Namen setzen will Hurch nicht: "Oft sind die
großen Namen große Enttäuschungen. Mich interessieren vor allem
Strömungen, etwa jüngste Kinoentwicklungen im ostasiatischen Raum." In den vergangenen Jahren sei etwa China ein "extrem interessantes"
Filmland geworden: "Im Zuge der Videoentwicklung entstand ein sehr
dokumentarisches Kino, durch das man sehr viel über die Menschen dort
erfährt. Und immerhin ist das fast ein Fünftel der Weltbevölkerung." Auch aus Deutschland kämen "sehr viele interessante Dokumentarfilme die
nicht unbedingt deutsche Themen abhandeln: In ,Between the
Lines‘ geht es etwa um die Kultur der Kastraten in Indien, in
,Massaker‘ um die Blutbäder in Sabra und Shantila."Kritik,
Intervention und Provokation Als ein Festival der Intervention übt die
Viennale Kritik am reglementierten Kinobetrieb. "Das Festival hat die
Möglichkeit ein Bild vom Kino zu entwerfen", erläutert der
Viennale-Leiter. "Es soll nicht nur ein kulturpolitisches Ereignis sein,
sondern auch Rückschlüsse zulassen. Ihm kommt gewissermaßen die Rolle
eines Agent Provocateur zu." Die Viennale sei ein Festival, das die marktüblichen Kategorisierungen
aufbreche: "99 Prozent des Kinoprogramms sind Spielfilme. Zugleich ist
aber der Dokumentarfilm die wesentliche, die ältere Form des Kinos. Schon
die Brüder Lumière haben damit die Welt gezeigt. " Auch als Plattform gegen die Reduktion der Vielfalt und die
Schubladisierung des Kunstkinos will er die Viennale verstanden wissen:
"Es gibt nur mehr auf der einen Seite das Kunstkino und auf der anderen
Seite die kommerziellen Filme, die meistens ja nicht einmal unterhaltend
sind. Es gibt so viele US-Katastrophenfilme, wo die Welt mit Special
Effects zumindest einmal gerettet wird. Diese Koketterie mit der
Katastrophe, diese seltsame Lust am groß inszenierten Untergang, bestimmt
den Markt. Doch gerade das, was wirklich sichtbar wird bei einer
Katastrophe wie in New Orleans, die gesellschaftlichen Verhältnisse, die
Armut, das Fehlen eines Superhelden, das ist es, was das Kino eigentlich
erzählen kann." Dass es eine wachsende Sehnsucht nach einer Alternative zur lauten
Bildgewalt gibt, zu mitunter recht sperrigen Formaten und einem anderen
Umgang mit Erzählzeit, scheinen die wachsenden Publikumszahlen des
Festivals zu bestätigen. Im Vorjahr verzeichnete die Viennale eine
Auslastung von 76,8 Prozent, die Zuschauerzahl lag bei 81.600. Heuer steht
mit dem Künstlerhauskino ein zusätzlicher Spielort zur Verfügung. "Die Ahnung und die Lust nach etwas anderem, das Bedürfnis sich zu
spüren, nicht als Konsument behandelt zu werden, vielleicht auch unruhig
zu werden durch einen Film" macht den Erfolg der Viennale aus, sagte
Hurch. "Es ist mittlerweile ja schon schön, einen Film zu sehen, der einen
normalen Ton hat, der ohne tausend Soundeffekte auskommt. Das hat nichts
mit Konservativismus zu tun, sondern mit Konzentration."Viennale 05: 14.
bis 26. 10. 2005; Karten und Information: www.viennale.at |