Salzburger Nachrichten am 2. August 2005 - Bereich: kultur
Wo "Shell" zu "Hell" wird Teeniewelten und wie sie
sich, weil alles schon einmal da war, immer schwerer erzeugen lassen. Die
Ausstellung "Coolhunters" im Wiener Künstlerhaus.
MARIA STERKLWIEN (SN). "Guilty of stealing every thought I own" - Ich
bekenne mich schuldig, jeden meiner Gedanken gestohlen zu haben. Diese
Aussage bringt das zentrale Problem heutiger Jugendkulturen auf den Punkt.
Alles, was Jugendliche in der Gegenwart hervorbringen, war in ähnlicher
Form schon einmal da. Der Drang, sich von früheren Generationen abzuheben,
ist immer schwieriger zu befriedigen. Diese Problematik wird auch in der Schau "Coolhunters - Jugendkulturen
zwischen Medien und Markt" deutlich, die noch bis 16. Oktober im Wiener
Künstlerhaus zu sehen ist. Mit Kleidungsstücken, Videos und Fotos
versuchen die Kuratoren Birgit Richard, Klaus Neumann-Braun, Sabine
Himmelsbach und Peter Weibel verschiedene Aspekte der Lebenswelten von
Jugendlichen darzustellen. Die Ausstellungsräume wurden zu überdimensionalen Halfpipes verkleidet
- Orte, die der Skaterszene als Treffpunkt und Modeschöpfern als
Ideengeber dienen. Einzelne Repräsentanten der Skaterkultur, aber nicht
nur dieser, sind "Coolhunters": Junge Alphamenschen, die Vorbilder für
kommende Jugendkollektionen großer Textilketten sind. Sie liefern Ideen,
die Unternehmen schneidern daraus Trends, die, wenn sie sich
breitenwirksam durchgesetzt haben, längst wieder veraltet sind. In diesem Punkt leistet die Ausstellung einen wichtigen Beitrag zur
schon etwas abgeschmackten, aber immer noch aktuellen Debatte rund um die
vermeintlich konsumsüchtige und politikverdrossene Jugend von heute.
Jugendliche, so könnte die Botschaft der Kuratoren lauten, sind nicht etwa
Chamäleons, die ihr Aussehen dem Regalinhalt des nächstgelegenen "H &
Ms" anpassen. Sie prägen diesen auch durch eigene Einfälle. An Politik
sind sie nicht desinteressiert. Sie stehen nur in einem ständigen Konflikt
zwischen Gesellschaftskritik und der Unfähigkeit, Strukturen zu verändern,
die längst schon global verankert sind. Labels ändern, die längst verankert sind T-Shirts, auf denen das
"Kinder"-Logo der gleichnamigen Schokolade zu "Kiffer" und "Shell" zu
"Hell" werden, sind insofern nichts anderes als eine Form des Protests,
gepaart mit dem Eingeständnis, dass niemand der kommerzialisierten Form
der Bedürfnisbefriedigung entkommt: Wir verändern die Labels, ohne die wir
nicht leben können. Junge Menschen, die nach einer Zugehörigkeit suchen, stehen in der
Ausstellung neben anderen, die sich gegen Einordnung wehren, und oft
treten beide Bedürfnisse in einer Person auf: Etwa in vier Fotos
weiblicher Teenager, die sich zur Ravekultur bekennen, aber äußerlich gar
nichts miteinander zu tun haben. Sie sind wild, verspielt, burschikos oder
hippiesk - Hauptsache anders als die anderen in derselben Gruppe. Und dann
gibt es jene, die sich eine Einordnung wünschen, aber an gängigen
Klassifikationen verzweifeln: Drei finnische Mädchen erzählen im Video vom
Alltag als Menschen zwischen den Geschlechtern. "Biologisch bin ich eine
Frau, soziologisch ein Mann", sagt eine. Unter Freunden sei das kein
Problem. Im Alkoholladen, wo die Verkäuferin den Personalausweis nicht
anerkennt, weil der weibliche Name gar nicht zum Erscheinungsbild passen
will, schon. Existenzängste, Angst vor Arbeitslosigkeit oder vor Terror erwähnt die
Ausstellung nicht explizit. Hier geht es um spezifisch jugendliche
Befindlichkeiten, alles Andere muss erst dazu gedacht werden. Aus Sicht
der Ausstellungsbesucher ein komplexes Unterfangen - so komplex wie das
Erwachsenwerden selbst."Coolhunters - Jugendkulturen zwischen Medien und
Markt" ist im Künstlerhaus in Wien bis zum 16. Oktober zu sehen. |