Ausstellungen 
   
   
   

NORDEN – Zeitgenössische Kunst aus Nordeuropa Andrea Kroksnes
Kunsthalle Wien 26. Mai bis 17. September 2000

 
   
   

Zuhause in Berlin holt einen dann die Wirklichkeit wieder ein: erst zwei Tage nach der Eröffnung liegt bereits ein elektronisches Schreiben in der Box, welches, zunächst als Spam verkannt, das frühe Ende der Firma Werkleitz.com bekundet. Tags zuvor hatte sich selbige noch als Briefkasten an einem frisch renovierten Haus in Tornitz, Sachsen-Anhalt, manifestiert; darin steckten Zeitung und Werbesendungen. Vorbei am Haus, die Installation Briefkastenfirma wahrnehmend oder nicht, pilgerten große und kleine Gruppen von BesucherInnen nebst einigen Einheimischen, um die im Ort sowie im nahen Werkleitz platzierten Kunstwerke, Performances, Filme und Präsentationen der "3. Werkleitz Biennale"anzusehen. Der kurze Aufstieg und Fall der von einer gleichnamigen KünstlerInnengruppe inszenierten Internetfirma vollzog sich als eine mögliche Antwort auf die Themenstellung der Biennale: Mit "real[work]" hatte sie die veranstaltende Werkleitz Gesellschaft e.V. überschrieben. "Real Work", echte Arbeit, gibt es nicht viel im Landkreis Schönebeck, nahe Magdeburg in der ehemaligen DDR. Schönebeck hat mit 20% eine der höchsten Arbeitslosenraten in ganz Europa. Ob bei einem "aktuellen Stand der weltweiten Arbeitslosigkeit von 25%" der Ausstellungstitel überhaupt Sinn macht, fragt sich der im Katalog mehrfach zitierte AndrŽ Gorz. "real[work]" stellt, angesichts von Industrieruinen, Schwarzarbeit und anderen Realitäten der Berufsumwelt, zeitgemäß die Frage, wie – und von wem –"Arbeit" heute überhaupt definiert werden kann.

Hilfreich bei der Definitionsarbeit war das von Marcel Schwierin und Florian Wüst als eingeladenen Kuratoren zusammengestellte Film- und Videoprogramm. Ein bisschen wirkte es wie ein versuchtes "Best of" von künstlerischen Film- und Videoproduktionen zum Thema Arbeit, spannte den Bogen von früheren Arbeiten John Baldessaris, Richard Serras, über Martha Roslers Klassiker "Semiotics of the Kitchen" bis hin zu so unterschiedlichen dokumentarischen Arbeiten wie Michael Moores "Roger & Me" und Vladimir Tjulkins "Herr der Fliegen" – beides Paraphrasen auf den Kapitalismus, einmal West, einmal Ost, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Beispiele interventionistischer Videopraxis wurden von a-clipund ¨ªark vorgestellt, VertreterInnen dieser Organisationen stellten sich den Fragen. Vladimir Tjulkin war ebenso anwesend wie Christopher Wilcha, der Filmemacher des letztjährigen Geheimtipps: In "The Target Shoots First" beschreibt er die Wirklichkeit der Produktion "alternativer" Musik und Fanzines anhand seiner eigenen Unfähigkeit, sich der Indoktrination der Firma zu entziehen. Von Anfang an dokumentierte er seine Arbeit bei Columbia Records miteiner Hi8, editierte dann mehrere hundert Stunden Video – nun darf sich dieses neue Genre Industrial-Homevideo-Essay nennen. Die frappierende Distanzlosigkeit bei gleichzeitiger Positionierung, mit der Wilcha die umsatzsteigernde Funktion adaptierter €sthetiken in der Musikindustrie offen legt, steht in einem angenehmen Kontrast zu den Strategien Armin Chodzinskis. Chodzinski, gelernter Künstler, stellte sich auch dem sogenannten "echten" Arbeitsleben, seit er 1999 nach einem Praktikum Projektberater/Unternehmensentwicklung und in diesem Jahr Assistent der Geschäftsleitung "eines großen Handelskonzerns" wurde. Seine Tätigkeit dokumentiert er in verschiedenen Ordnern, hält Vorträge darüber und arbeitet sie in illustrative Comics um. In all diesen Medien scheint sich die Transformation jedoch nur beschreibend zu vollziehen. Die Parallelisierung der Arbeitsrealitäten legt nahe, dass alle Arbeit am Ende denselben Gesetzen, Markt- und Ideologieeinflüssen unterliegt. Diese Idee ist jedoch nicht neu und als scheinbar neutrale Haltung wenig innovativ. In letzter Konsequenz liegt der Gedanke nahe, dass, statt der beschriebenen "Überschreitung der Grenze zwischen Kunst und Leben", einfach ein Berufswechsel stattgefunden hat, dessen Faszination sich aus ähnlichen Quellen nährt wie die derzeitige Begeisterung für Manager- und Anlagemagazine. Das Wirken seines Konzerns könnte sich jedoch schlicht so auswirken, wie Nils Normans Plakat am Eingang zu Tornitz prognostiziert: 1A Totalgentrifizierung der beiden Ortschaften. Der Bereich Kunst innerhalb von "real[work]" wurde von Corinna Koch und Christiane Mennicke mit viel Engagement vorbereitet, und die KünstlerInnen reisten zum Teil bereits ein Jahr vorher zur Erkundung an. Gerade deshalb stellt sich dort mehrfach die Frage nach Funktion und Unterschied von affirmativen, kritischen und überaffirmativ-kritischen Strategien. Der Biennaleort in der Arbeitswüste Sachsen-Anhalts verschiebt dabei die Kriterien und die Wahrnehmung der angereisten ExpertInnen. Eva Hertzschs undAdam Pages Hausverkleidung in Silbergrau wirkt im ansonst gleichmäßig braun-rot gealterten, aber nicht unansehnlichen Dorf Werkleitz absichtlich so fremd wie ein UFO. Die neue Fassade ist ein verkleinertes Modell der Bürobautenarchitektur, wie sie seit den Neunzigern in Schnellbauweise in (Vor)Orten hochgezogen werden, wo Investoren den Boom vermuten; als Hinweise dienen Up-To-Date Sonnenblende, Wellblechoptik, Kamera aus Kunststoffguss, vorgelagerte Werbesäule und Fahnenstange. Die Applikation wurde minuziös vorbereitet und mit den Anwohnern abgesprochen, einschließlich der ironisch-kritischen Komponente. Doch dieses Moment wird als Taktik quasi absorbiert: Die HausbewohnerInnen äußerten den Wunsch, die neue Fassade über den abgesprochenen Zeitraum hinaus, ja, für möglichst lange behalten zu wollen. Das ist RealLife. Direkter geht da besser; beispielsweise wenn Christoph Schäfer auf die nach der Vereinigung eingestellte Unterstützung Kubas durch Milchpulverlieferungen hinweist. Keineswegs elegant dabei seine formale Lösung: Kühe trugen mehr oder weniger willig lila Banner mit appellativen Slogans und der Adresseeiner Internetseite, welche die Wiedereinsetzung dieses Programms propagiert.

Zwar haben es am Ende ortsunabhängige Produktionen leichter, ähnlich den Filmprogrammen, die als solche überall konsumierbar sind. Das zeigen u.a. die Arbeiten von Aeronaut Mik, oder jene von Ingo Vetter und Annette Weisser. Letztere forschten lieber in Chicago und versuchen nun die dort gemachten Erfahrungen mit der Realität von Tornitz in ein Verhältnis zu setzen, während ersterer mit einem inszenierten Video, in dem sich Personenpaare in gemeinsam getragenen Drei-Bein-Hosen zu bewegen versuchen, von Anfang an auf eine breitere Interpretation baut. Jedoch, Miks Videoinstallation fungiert hier– wie auch Produktionen von Liam Gillick, Philip Parreno, ZAPP Magazine und anderen, die nicht für die Biennale gemacht wurden – wie eine Erinnerung an in der Kunstheimat stattfindende Debatten. Dort wird mit solchen Arbeiten an der Kanonisierung gearbeitet, in Werkleitz/Tornitz ist es gerade mal ein Wiedererkennen; dann wendet man sich den Projekten zu, die sich an den Gegebenheiten reiben und dabei ihre Grenzen zeigen. Zuhause wartet die E-mail.

 
     

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