"Picasso hat uns an der Gurgel", sagten die
bekannten Maler der New York School in den Vierzigerjahren des 20.
Jahrhunderts. Nun lässt uns das Spätwerk in einer vom Spezialisten Werner
Spies konzipierten Schau den Atem anhalten.
Pablo Ruiz Picasso (1881-1973) hat in seinem letzten Lebensjahrzehnt in
einem Schaffensrausch so viel gemalt und gezeichnet, wie davor in
Jahrzehnten. Die Drucker seiner Radierungen, Aldo und Piero Crommelynck,
sind an dem Entstehen von 750 Druckgrafiken der "Mougins-Periode"
maßgeblich beteiligt: Sie zogen in seine Nähe, ihre Familien wurden auch
Modelle. Heute gehören sie, neben den Picassoerben, allen namhaften Museen
und anderen Privatsammlern, zu den Leihgebern einer von der Albertina und
der Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen konzipierten Schau.
Im südfranzösischen Ort Mougins lebte Picasso ab 1961 mit seiner
letzten Frau Jacqueline Roque und ihrer Tochter im Anwesen
Notre-Dame-de-Vie. Er rühm te sich zuweilen damit, je den Tag zumindest
ein Werk zu schaffen. Das musste die Zeitgenossen verunsichern. Kritikern
meinten gar, dass es sich um die "Schmierereien" eines sexbesessenen
Greises handle. Dementsprechend lange dauerte es, bis Picassos letztes
Jahrzehnt im Zuge der Postmoderne rezipiert wurde.
Große Formate
In der Albertina ist nun durch die neuen Jeanne & Donald Kahn
Galleries über der Propter Homines Halle mehr Platz zum Hängen, der auch
genützt wird, denn die Bilder mit an den vorderen Rand gerückten
gigantischen Figuren und großen Formaten brauchen viel Abstand. Doch haben
auch die von Kurator Spies als eine zweite stilistische Parallelwelt
bezeichneten Grafiken eine ähnliche, geradezu ungeheure Präsenz.
Da ist natürlich ein routinierter Künstler am Werk, der alles erreicht
hat und, auch wenn er die Abstraktion verweigert hatte, der
Kunstgeschichte bis heute seinen Stempel aufdrückt.
Die von Spies als "grüne Periode" bezeichneten Werk gruppen – auch
einige interessante Skulpturen sind dabei – beginnt mit einer Hommage
Picassos an Edouard Manets "Frühstück im Grünen". Später folgt er
Rembrandt und seinen Modellen ins Atelier, oder auch Edgar Degas in den
gezeichneten Bordellbesuchen.
Das Nachlassen sexueller Potenz und die Angst vor dem Tod verpackt
Picasso in Bilder voll viriler Kraft. Da sind von ihm geliebte Heldentypen
zu finden: Stierkämpfer, Musketiere, Sportler und auch immer wieder der
Voyeur.
Sie begegnen willigen, meist ruhenden und passiven nackten Frauen,
deren Geschlecht wie ein Strich- oder Dreieck-Kürzel der damals aktuellen
Semiotik allgegenwärtig ist. Jene Lehre von den Zeichen lässt die klare
Botschaft der rasend ablaufenden Zeit verstehen: Man wird da zum Zeugen
eines Sterbens in Bildern.
Dokument des Sterbens
Verstärkt wird der tragische Effekt durch die Anwesenheit der
allerletzten von Picasso bemalten Leinwand in der Ausstellung: Es handelt
sich um eine Umarmung, die männliche Geschlechtsteile scheinbar aus dem
Bildvordergrund heraus ragen lässt. Der Mann kommt unter der Frau zu
liegen, sie ist nun nicht mehr nur Muse, sondern auch Todesengel.
Die ruhige und meist klare Linie der Zeichnung steht zwar in einem
Gegensatz zu den zuletzt auch manchmal in wilder Eile hingefegten
Bildfindungen, ist aber von gleicher Intensität. Der Hang bunten Farben,
schließt den Wechsel zur Monochromie nicht aus. Dabei kopiert Picasso
seine frühen Strandbilder oder die Guernica-Phase.
Auch sein eigener Rückblick gerät ins Rasen – Zögern oder Skepsis kennt
er nicht, die zeitgleiche Konzeptkunst bleibt ohne Resonanz: Picasso
schert sich nicht um den Zeitgeist. Die Malerei ohne ihn muss über seine
Leiche gehen. In der Kunstgeschichte der großen Namen wird er auch kaum
gelöscht werden.
Der späte Picasso – Malen gegen die Zeit
Werner Spies und Christine Ekelhart (Kuratoren)
Albertina
Zu sehen bis 7. Jänner 2007
Spätes Furioso.
Freitag, 22. September
2006