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Kunstberichte

Das Alter ist kein Schiffbruch

Albertina: Umfassende Schau über das früher umstrittene und jetzt aufgearbeitete Spätwerk von Pablo Picasso
Illustration
- Pablo Picasso: Stillleben mit Katze und Hummer (1962).  Foto: Succession Pablo Picasso/VBK, Wien, 2006

Pablo Picasso: Stillleben mit Katze und Hummer (1962). Foto: Succession Pablo Picasso/VBK, Wien, 2006

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

"Picasso hat uns an der Gurgel", sagten die bekannten Maler der New York School in den Vierzigerjahren des 20. Jahrhunderts. Nun lässt uns das Spätwerk in einer vom Spezialisten Werner Spies konzipierten Schau den Atem anhalten.

Pablo Ruiz Picasso (1881-1973) hat in seinem letzten Lebensjahrzehnt in einem Schaffensrausch so viel gemalt und gezeichnet, wie davor in Jahrzehnten. Die Drucker seiner Radierungen, Aldo und Piero Crommelynck, sind an dem Entstehen von 750 Druckgrafiken der "Mougins-Periode" maßgeblich beteiligt: Sie zogen in seine Nähe, ihre Familien wurden auch Modelle. Heute gehören sie, neben den Picassoerben, allen namhaften Museen und anderen Privatsammlern, zu den Leihgebern einer von der Albertina und der Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen konzipierten Schau.

Im südfranzösischen Ort Mougins lebte Picasso ab 1961 mit seiner letzten Frau Jacqueline Roque und ihrer Tochter im Anwesen Notre-Dame-de-Vie. Er rühm te sich zuweilen damit, je den Tag zumindest ein Werk zu schaffen. Das musste die Zeitgenossen verunsichern. Kritikern meinten gar, dass es sich um die "Schmierereien" eines sexbesessenen Greises handle. Dementsprechend lange dauerte es, bis Picassos letztes Jahrzehnt im Zuge der Postmoderne rezipiert wurde.

Große Formate

In der Albertina ist nun durch die neuen Jeanne & Donald Kahn Galleries über der Propter Homines Halle mehr Platz zum Hängen, der auch genützt wird, denn die Bilder mit an den vorderen Rand gerückten gigantischen Figuren und großen Formaten brauchen viel Abstand. Doch haben auch die von Kurator Spies als eine zweite stilistische Parallelwelt bezeichneten Grafiken eine ähnliche, geradezu ungeheure Präsenz.

Da ist natürlich ein routinierter Künstler am Werk, der alles erreicht hat und, auch wenn er die Abstraktion verweigert hatte, der Kunstgeschichte bis heute seinen Stempel aufdrückt.

Die von Spies als "grüne Periode" bezeichneten Werk gruppen – auch einige interessante Skulpturen sind dabei – beginnt mit einer Hommage Picassos an Edouard Manets "Frühstück im Grünen". Später folgt er Rembrandt und seinen Modellen ins Atelier, oder auch Edgar Degas in den gezeichneten Bordellbesuchen.

Das Nachlassen sexueller Potenz und die Angst vor dem Tod verpackt Picasso in Bilder voll viriler Kraft. Da sind von ihm geliebte Heldentypen zu finden: Stierkämpfer, Musketiere, Sportler und auch immer wieder der Voyeur.

Sie begegnen willigen, meist ruhenden und passiven nackten Frauen, deren Geschlecht wie ein Strich- oder Dreieck-Kürzel der damals aktuellen Semiotik allgegenwärtig ist. Jene Lehre von den Zeichen lässt die klare Botschaft der rasend ablaufenden Zeit verstehen: Man wird da zum Zeugen eines Sterbens in Bildern.

Dokument des Sterbens

Verstärkt wird der tragische Effekt durch die Anwesenheit der allerletzten von Picasso bemalten Leinwand in der Ausstellung: Es handelt sich um eine Umarmung, die männliche Geschlechtsteile scheinbar aus dem Bildvordergrund heraus ragen lässt. Der Mann kommt unter der Frau zu liegen, sie ist nun nicht mehr nur Muse, sondern auch Todesengel.

Die ruhige und meist klare Linie der Zeichnung steht zwar in einem Gegensatz zu den zuletzt auch manchmal in wilder Eile hingefegten Bildfindungen, ist aber von gleicher Intensität. Der Hang bunten Farben, schließt den Wechsel zur Monochromie nicht aus. Dabei kopiert Picasso seine frühen Strandbilder oder die Guernica-Phase.

Auch sein eigener Rückblick gerät ins Rasen – Zögern oder Skepsis kennt er nicht, die zeitgleiche Konzeptkunst bleibt ohne Resonanz: Picasso schert sich nicht um den Zeitgeist. Die Malerei ohne ihn muss über seine Leiche gehen. In der Kunstgeschichte der großen Namen wird er auch kaum gelöscht werden.

Der späte Picasso – Malen gegen die Zeit

Werner Spies und Christine Ekelhart (Kuratoren)

Albertina

Zu sehen bis 7. Jänner 2007

Spätes Furioso.

Freitag, 22. September 2006


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