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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
24. November 2005
10:26 MEZ
Von Markus Mittringer Link

kunsthallewien.at

Bis 5. 2. 

Foto: Collection Wendy Williams, New York/VBK, Wien, 2005
Mit zum Beeindruckendsten im "Spätwerk" der Louise Bourgeois zählen die tagebuch-artigen Zeichnungen der 94-jährigen Künstlerin: "WHO WHERE WHEN WHY WHAT", 1999.

Foto: Kunsthalle Wien / Courtesy of Cheim and Read, New York; Galerie Karsten Greve, Köln; Galerie Hauser and Wirth, Zurich / VBK, Wien
"Untitled" (2004)

Vom Glück des späten Erfolgs
Die Kunsthalle Wien zeigt "Aller – Retour", eine Schau mit Arbeiten von Louise Bourgeois aus den letzten zehn Jahren

Die Kunsthalle Wien zeigt "Aller – Retour", eine von Peter Weiermair zusammengestellte Schau mit Arbeiten von Louise Bourgeois aus den letzten zehn Jahren. Die 94-jährige Künstlerin fährt unbeirrt fort, ihr formales Vokabular zu erweitern.


Wien – Sie wurde 1911 in Paris geboren. Seit 1938 lebt sie in New York. Mit der Teilnahme an der Kasseler Documenta IX gelang ihr 1992 so etwas wie ein internationaler Durchbruch. Als einen der Hauptverantwortlichen dafür muss man Peter Weiermair nennen. Er hat Louise Bourgeois 1989 eine erste große Retrospektive in Europa im Frankfurter Kunstverein ausgerichtet. (Die Schau war im Anschluss in der Wiener Galerie Krinzinger zu sehen.)

Der Documenta folgte eine Teilnahme an der Biennale von Venedig 1993. Louise Bourgeois bespielte den amerikanischen Pavillon in den Giardini. Die Rezeption ihrer Arbeit auf einer breiten Publikumsebene setzte in Amerika um 1982 mit ihrer Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Art ein. Dazwischen lag ein Künstlerleben, das sich nicht beirren ließ. Vorwiegend Galerien zeigten die Arbeit der eigenwilligen Pariserin. Die Helden der Jahrzehnte, die sie in ihrem Studio tätig war, in denen sie so nebenbei auch drei Söhne zur Welt brachte, waren stets die Männer ihrer Generation.

Erst spät im Leben kam der Erfolg. Heute gilt sie als "Superstar der Avantgarde", als "die" Bourgeois. Und die ist alles andere als enttäuscht darüber, den Ruhm erst jetzt zu ernten: "My luck was that I became famous so late that fame could not destroy me". Erst vor Kurzem etwa fand eine Werkgruppe von Louise Bourgeois in die Sammlung der DIA-Foundation, ins DIA Beacon, so etwas wie die Ruhmeshalle der Helden der 60er- und 70er-Jahre.

Was auch bedeutet, dass Louise Bourgeois sich nicht zur Ruhe gesetzt hat, alles andere im Sinn hat, als ihre Werke aus all den Jahrzehnten auf Welttournee zu begleiten – sie arbeitet einfach weiter, lebt immer noch in New York und produziert. Demnach ist auch die aktuelle Bourgeois-Schau in der Kunsthalle Wien im Museumsquartier keine Retrospektive; sie ist eine weitere Station im Lebenswerk der Künstlerin.

Wieder hat Peter Weiermair kuratiert. Nur einen Raum hat er älteren Arbeiten der heute 94-jährigen Künstlerin gewidmet; als Referenzapparat oder kleine Einführung für Neulinge. Den Rest füllt das Oeuvre der letzten zehn Jahre – ein nach wie vor unvermindert kräftiges und überzeugendes Oeuvre, für Wien gegliedert in thematische Blöcke ("Spinnen", "Sprichwörter/Aper¸cus" oder "Flüsse").

Ausuferndes Archiv

Die Schau zeigt einige rezente Skulpturen, wie sie momentan international in annähernd jedem Museum, in annähernd jeder Überblicksschau zur Gegenwart zu sehen sind, daneben aber sind es vor allem die Zeichnungen der Bourgeois, die hier nachhaltig beeindrucken. Wie Tagebucheinträge wirken die Blätter, virtuose Bildgedichte, in denen sie ihr so lange erarbeitetes Vokabular wieder und wieder erprobt. Symbole mischen sich da unter Texte, Häuser, Landschaften, Surreales und dann wieder ganz Konkretes finden in diesen Notizen zusammen, die allesamt doch endgültig sind. Louise Bourgeois zieht kein Resümee aus ihrem Werk, sie kombiniert über die Jahre und Werkabschnitte Gefundenes immer wieder neu. Aus Jahrzehnte zurückliegenden Zeichnungen können plötzlich Skulpturen entstehen, oder umgekehrt tauchen längst erarbeitete Güsse abstrahiert in jüngsten Zeichnungen auf.

Die Bourgeois schöpft aus einem Archiv, das sie permanent erweitert. Etwa um die Spinnen, die sie für die Londoner New Tate entworfen hat und die seitdem in unzähligen Varianten und albtraumhaften Inszenierungen immer wieder auftauchen. Oder die Käfige, in und um die sie in den letzten Jahren immer wieder grottenbahnartige Installationen setzt. Die Bourgeois verknüpft Lebensfreude mit allen nur erdenklichen Ängsten, Ohnmacht mit Stärke, Pathos mit nüchterner Bestandsaufnahme. Sie scheint sich zu weigern, die Dinge des Lebens, der Liebe, des Körpers und der Seele getrennt voneinander zu verhandeln.

Lebensgeflecht

Der Titel der Ausstellung in der Kunsthalle, "Aller – Retour", verweist ganz eindeutig auf ein fortwährendes Rückbesinnen als Mittel der Gegenwartsbewältigung. So sind Jugend und Alter, der späte Erfolg und die Zeit ohne solchen, ihr problematisches Verhältnis zum Vater und die Überwindung desselben durch ein selbst bestimmtes Leben als Künstlerin stets miteinander verwoben.

Die Zeichnungen beinhalten all das: Sie gleichen Musterbögen für das komplexe Geflecht, das jede Biografie charakterisiert. Sie sind fein und ungeheuer brutal zugleich, so locker hingesetzt sie wirken, so schwer erarbeitet sind sie doch. Sie stammen aus ihrem Reich zwischen Gefühl und Denken. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24.11.2005)


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