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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
20. Februar 2005
21:53 MEZ
Von
Markus Mittringer
 
Foto: APA/EPA/ANSA/ANDREA MEROLA
Harald Szeemann 2001 auf der 49. Biennale

Harald Szeemann 1933-2005
Der Schweizer Ausstellungsmacher erlag 71-jährig einem Lungenleiden

Bern - Der ganze Kunstmarkt mit seiner Betriebsamkeit, das ganze New York mit all diesen Galerien, sagte Harald Szeemann, werde ihm zusehends öder. Die Kunst aber, die aktuelle Produktion, die könne ihn gar nicht langweilen. Das ganze Gerede vom Tod der Malerei oder irgendeiner anderen Sparte interessiere ihn nicht. Weil: "Es fängt ja doch alles immer wieder von vorne an."

Und er ist nun einmal gerne dabei, zur Initiation, wenn es noch Solidarität gibt unter den Künstlern, man noch beisammensitzen kann und trinken und reden, bevor alles seinen Lauf nimmt - und schlussendlich scheitert.

Und also hat Harald Szeemann zuletzt, kurz nach dem Kartografieren Chinas für den Kunstmarkt, das seine Biennale von Venedig 2001 prägte, den Balkan heimgesucht. Und war sich auf seiner letzten großen Entdeckungsreise längst der Tatsache bewusst, durch die Präsentation seiner Funde dem unausweichlichen Scheitern des Ideals an der Praxis Vorschub zu leisten. Und dennoch hat er Blut & Honig in der Sammlung Essl inszeniert, weil "im Westen im Moment niemand wirklich etwas verändert".

Harald Szeemann, der erste der "Ausstellungsmacher", ist tot. Vor ihm war das Berufsbild des Kurators fest umrissen, und auch die Kunst folgte weit gehend ehernen Gesetzen. Die Kuratoren gingen streng wissenschaftlich an die Kunst heran, die wiederum hatte bis auf Ausnahmen nichts dagegen, abgepackt in Kategorien, chronologisch aufgereiht zu werden.

Die Ergebnisse derartiger Untersuchungen an Bildern nannte man Ausstellungen. Die Ausstellungen zeigten die Kunst als dem Leben entrückt. Schüchtern schlichen ihre Besucher von Meisterwerk zu Meisterwerk und kauten ehrfürchtig an hochgescheiten Bildlegenden.

Haltung formt

1961 übernahm Harald Szeemann die Leitung der Berner Kunsthalle. Da war er gerade einmal 28 Jahre alt und hatte nicht nur an der Sorbonne Kunstgeschichte studiert, sondern auch als Schauspieler, Bühnenbildner, Künstler und Texter gearbeitet. Der Dadaist Hugo Ball prägte sein Bild vom Künstler. Szeemann machte sich mutig ans "Erweitern", was 1968 zu seiner ersten spektakulären "Ausstellung" führte: Er ermöglichte Christo dessen erste Verpackungsaktion. Und der verpackte gleich die ganze Kunsthalle.

Nach When Attitude Becomes Form - Szeemanns Definition von Avantgarde (mit europäischen Erstauftritten von Richard Serra, Lawrence Weiner oder Joseph Beuys) - wurde es den Schweizern zu bunt. Szeemann kündigte und gründete die "Agentur für geistige Zusammenarbeit": Der freie Kurator war geboren. Der stand mitten im Leben, griff zu und präsentierte 1970 in Köln Happening und Fluxus, Künstler wie Wolf Vostell, Allan Kaprow, George Macunias, die Wiener Aktionisten, die ebenfalls "im Leben standen".

Etwa zur selben Zeit steckte die Kasseler Documenta in ihrer ersten Krise. Der Nachholbedarf an internationaler Kunst war gestillt, das zusammenhanglose Nebeneinander diverser Positionen nicht länger mehr befriedigend. Szeemann kam und erfand mit der fünften Documenta dem etablierten Kunsthandel zum Trotz die Themenausstellung und, um eins draufzusetzen, auch gleich die "Sehschule":

Der Generalist Bazon Brock kämpfte wortgewaltig um künftig mündige Besucher, Joseph Beuys kämpfte im Boxring für direkte Demokratie, James Lee Byars und Mario Merz inszenierten "individuelle Mythologien", die Haus-Rucker-Co erweiterten die Fassade des Fridericianums um eine funktionelle Blase. Und Szeemann selbst brachte mit seiner Sammlung Trivialismus den Kitsch ins Kunstgespräch und installierte eine Abteilung für die Bildnerei der Geisteskranken.

Von da an galt Szeemann als Großmeister, inszenierte Ausstellung um Ausstellung, erfand der Biennale von Venedig 1980 die "Jugendabteilung" Aperto, choreografierte 1983 den Hang zum Gesamtkunstwerk, leuchtete 1989 den Hamburger Bahnhof ein.

Obsessionen

1999 brachte der Springer-Verlag eine Neuauflage des Katalogs zu Szeemanns Schau Jungesellenmaschinen, einer Sammlung von scheinbar Unmöglichem, Irrationalem, Unnützem, Widersinnigem, von Hirngespinsten, Phantasmen und Obsessionen, von angedachten oder ausgeführten Apparaten - ein Leitfaden für ein Leben in der Geborgenheit der ungelenkten Wunschproduktion.

In Wien realisierte Szeemann zwei Großprojekte: Zum einen die hinsichtlich der Gestaltung prägende De Sculptura für die Festwochen 1986. (Lois Weinberger, Franz West oder Heimo Zobernig hatten darin entscheidende frühe Auftritte im internationalen Kontext). Zum anderen 1996 Austria im Rosennetz im Museum für angewandte Kunst. Szeemann zeigte im Millenniumsjahr, wie vielschichtig und sensibel, wie kritisch und zugleich liebevoll die Bestandsaufnahme von Produktion und Seele eines Landes ausfallen können. Katalog unbedingt nachlesen. Gerade heuer!
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.2.2005)


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