22.04.2002 13:17:00 MEZ
Gib uns unser unnützes Brot
Am Sonntag beging man in Graz den Tag des Nichtutilitaristischen

Was kostet's, was bringt's, was hab' ich davon? Wohin wir auch blicken, das Nützliche durchdringt und bestimmt unseren Alltag. John Stuart Mill formulierte mit den utilitaristischen Prinzipien nur, was im 19. Jahrhundert sowieso immer deutlicher wurde, dass nämlich alles gut ist, was nützlich ist und umgekehrt. Wer so denkt, mag fit sein für den Überlebenskampf in unserer Wirtschaftsordnung, für den privaten Umgang jedoch wird er oder sie auf die Dauer ungenießbar.

Das ist einer der Gründe, warum gegen das Diktat des Nützlichen immer wieder aufbegehrt wird; in vorkapitalistischen Gesellschaften sowieso, in denen mittendrin in der neoliberalen Ökonomie aber ebenso. Denn angeblich wird ja so viel gearbeitet und weitergebracht, damit wir irgendwann "entspannen" und "abschalten" können. Doch wenn diese Phasen selber mit utilitaristischen Überlegungen zugekleistert bzw. wenn sie nur dazu da sind, dass man umso besser wieder "anschalten" kann, dann wird man um etwas betrogen.

Ein Symposium in Graz legt den Finger auf die wunde Stelle und deklariert, dass es gerade die Nutzlosigkeit ist, die dem Leben dient. Allein schon die Idee eines Symposiums! Nicht fleißig etwas weiterbringen wollten ja die klugen griechischen Philosophen, sondern feiern, saufen, high werden, ausschweifen - mit Erkenntnis als willkommenem Nebenprodukt. Heute sind Symposien leider oft nur verkappte Arbeitssitzungen. In Graz am kommenden Sonntag soll das anders ablaufen, zumindest in der Absicht der OrganisatorInnen: Birgit Pölzl (zuständig für Literatur und Crossover), Johannes Rauchenberger (bildende Kunst) und Ursula Baatz (Zeitanalyse/Ö1-Kooperation) wollen der Muße und Entspannung ihren im besten Sinn unnützen Platz wieder einräumen.

"Ich spüre ein Unbehagen an der totalen Verzweckung von allem", sagt Pölzl, "und finde es wichtig, dass wir das Thema nicht nur diskursiv angehen, sondern künstliche Interventionsformen vernetzen, sodass der Stilcharakter, der mit dem Unnützen verwandt ist, sich entfalten kann." Das klingt in den Ohren des Berichtenden schon wieder ein wenig zu ergebnisorientiert. Doch was der erste Akteur der Veranstaltung plant, beruhigt ihn wieder: Hermes Phettberg, vorgesehen für eine "Morgenbetrachtung" von Samstag, 23 Uhr 59 bis zum Sonnenaufgang, wird an einem noch nicht bekannten öffentlichen Ort reden. "Der Sinn des Lebens besteht ja darin, dass sich zwei Leute, die sich nicht leiden können, zufällig treffen. Das könnte in dieser Nacht passieren, und die hören dann mir zu. Oder es kommt niemand, dann ist das Nutzlose wieder sehr schön Wirklichkeit geworden." Und damit man nicht auf die Idee kommt, die Idee des Symposiums könne ihm etwas nützen, fügt er hinzu: "Ich steh' nicht hundertprozentig zur Theorie, weil ich bin arbeitslos, hab' keinen Sinn im Leben, kann daher das Sinnlose nicht so schätzen wie die Veranstalter. Auch der Titel gefällt mir nicht, der klingt zu sehr nach Volkshochschule. Und der Schuh ist sicher zu nützlich. Nein, der Schuh ist eh gut."

Franz Schuh und Sissi Tax lesen am Sonntag Texte zum Thema. Im Netz ging Schuh bereits der Frage nach, ob eine von Freddy Quinn überreichte Streichholzschachtel für Nichtraucher wirklich die Nutzlosigkeit par excellence darstellt. Weiters am steirischen Festmahl beteiligt sind eine internationale Diskursrunde (oje: Arbeit?), eine Modeschau und inszenierte Mahlzeiten, bei denen auch die Brotskulpturen von Michael Kos verspeist werden, die ihrerseits den quintessenziell notwendigen Charakter dieses Lebensmittels auf den Kopf stellen: Aus dem Tabu des Brotwegwerfens wird das "bespielbare Material" von Rennautos und Pantoffeln. (Michael Freund - Album, 20.04.2002)


Quelle: © derStandard.at