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Wien - "Kino" steht in lila Neonschrift im Schaufenster der Bawag Foundation. Zurecht. Kaum ein zeitgenössischer Kunstbetrieb kann mehr ohne (Kino-)Filme oder Videos auskommen, eine im Gegensatz zur klassischen Malerei viel zeitgemäßere Ästhetik. Die borgen sich viele Künstler - manchmal zum Leidwesen etwa von Biennale-Besuchern, die stundenlang in dunklen Kojen zumeist Mittelmäßiges wie das kontemplative Abfilmen der künstlereigenen Zehen oder anderer lähmender Homestorys vorgesetzt bekommen.
Kutlug Ataman, ein in London lebender, 1961 in der Türkei geborener Filmemacher, kehrt den Spieß um und nutzt den Kunstkontext für künstlerische Aussagen, die sich vom Kinofilm entfernen. Rund zwölf Stunden bräuchte man, um alle seiner drei erstmals gemeinsam präsentierten Installationen anzusehen. Allein siebeneinhalb Stunden dauert das innerhalb von 14 Monaten gedrehte Porträt, die Selbstdarstellung einer berühmten türkischen Operndiva, von der der Ausstellungs- titel stammt: A Rose blooms in the Garden of Sorrows.
Alles zu sehen ist von Ataman gar nicht intendiert. Stück für Stück, wie die Diva, setzen die Besucher ihre "Wahrheit" bei und über semiha b. unplugged zusammen. Obwohl offen bleibt, ob das Gefilmte nach Script erfolgt, eine Liedzeile oder authentisch ist. Bob Wilson holte die durch den Film wiederentdeckte Sängerin noch einmal auf die Bühne.
Ganz anders als bei der Berlin Biennale 2001 zeigt sich die Abfolge von Videos über einen Transsexuellen, der aus seinem Leben plaudert - in der Badewanne, während seiner Liebesdienste, im Krankenhaus (Never My Soul) - und der natürlich unter einem sehr strengen Vater gelitten hat. Waren die unterschiedlichen Ausschnitte, animierten Nan-Goldin-Fotos ähnelnd, in Berlin in private, tapetenverklebte, dunkle Zimmern abzugehen, so lockern die Kojen in Wien mehr auf und verändern den intim-wehleidigen Charakter der Arbeit, die übrigens auf der Biennale Sao Paulo vertreten sein wird.
Bleibt hier das Künstlerische etwas auf der Strecke, so fundamental und
exemplarisch führt Ataman in seiner wohl besten (4-Kanal-)Videoprojektion
simultan vier Frauentypen im O-Ton vor, die - ohne die modischen Schlagworte wie
kulturelle Differenz etc. zu strapazieren - jeweils an der Perücke ihre
Identität festmachen müssen: eine untergetauchte Terroristin, eine an Krebs
leidende Journalistin, eine transsexuelle Prostituierte und eine bild-lose
Muslimin, die in der Türkei nicht mit Schleier auf die Uni gehen darf und
deshalb Kunsthaar trägt. Über allem liegt eine, so Ataman, "türkische
Kakophonie". Am Wesen der Perücke und an individuellen Lebensberichten macht
sich die Geschichte und Politik (eines Landes) fest: In der Türkei avancierte
das Drehbuch kürzlich zum Bestseller.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13. 3.
2002)
Quelle: © derStandard.at