Die MAK Galerie zeigt die außergewöhnliche Sammlerleidenschaft des Westafrikaners Georges Adéagbo
Die Geografie der Abweichungen
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Die Sammlungstätigkeit des westafrikanischen Künstlers Georges Adéagbo
thematisiert die vermeintliche Logik nationaler Archive. Im Bild eine
Ausstellungsansicht der MAK-Galerie. Foto: Wolfgang Woessner/MAK
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Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer
![Aufzählung Aufzählung](00084730-Dateien/wzfeld.gif)
Stationen eines Künstlers: 1942 in Cotonou, Benin, geboren, wurde
Georges Adéagbo 1999 im Zuge der 48. Biennale von Venedig mit dem Preis
der Jury ausgezeichnet. Okwui Enwezor, Kurator der "documenta 11",
machte den Westafrikaner 2002 weltbekannt. Danach kam 2008 eine
Intervention als erster Gegenwartskünstler im Palazzo Vecchio in
Florenz.
Der Konzeptkünstler setzt sich vor allem mit der
europäischen Geschichte und dem Blick der Europäer auf den
afrikanischen Kontinent auseinander. Vorzugsweise stellt er gesammelte
Archivalien, die nicht zwangsläufig aus künstlerische Objekten bestehen
müssen, in einen, selbst für eine postkoloniale Sicht, nicht immer
ergründbaren Zusammenhang mit seiner Heimat Afrika.
Folklore und Abweichung
Für das Wiener Museum für angewandte Kunst (MAK) erzeugte Adéagbo
gemeinsam mit Malern und Bildschnitzern aus Benin Masken und Sphingen
(Plural von Sphinx). Er ließ historische Themen rund um das Haus
Habsburg sowie Porträts der österreichischen Herrscherdynastie auf
Holzplatten malen und stellt diese aktuellen Zeitungsausschnitten
gegenüber, die etwa die US-Präsidentschaft Barack Obamas zum Inhalt
haben. Dazu gesellen sich in der MAK-Galerie Möbel, Bücher,
Schallplatten, Fotos, Reiseführer und Textilien. Was wie spontan
aufgelegt oder genagelt aussieht, könnte eine Absicht beinhalten – auf
jeden Fall wird der europäische Blick auf die "Primitivität der
Stammeskunst" beleuchtet. Auch wird durch die scheinbar willkürliche
Sammlungstätigkeit die vermeintliche Logik nationaler Archive und
Museen in Frage gestellt.
Ein weiterer Faktor ist Adéagbos kluge Einsicht, dass die
Inbesitznahme von Fetischen auf beiden Seiten zur Erstarrung führt.
Kulturgeschichtliche Abhandlungen der Vergangenheit über die "Seele
Afrikas" und eine Bezugnahme zu der österreichischen Wahlafrikanerin
unter den Art Club-Künstlern, Susanne Wenger (1915-2008), spielen dabei
ablesbare Randrollen.
Wir plündern Archive, wir drehen alles um, um eine verständliche
Erzählung zu konstruieren – diese lineare Sinnproduktion versperrt der
Künstler absichtsvoll. Wenn Hans Gassers Donauweibchen aus dem
Stadtpark, gemalt von einem Afrikaner, neben Hirtenstöcken á la Joseph
Beuys auftaucht, ist auch das Tirolerhaus in Kitschmalerei nicht mehr
weit.
Folklore hier, Abweichungen da, immer bleibt in den an- und
abschwellenden Anhäufungen und Boden-Assemblagen eine sichtbare
Differenz im Denken.
Postkoloniales Welttheater
Adéagbo setzt diese Arbeit auch mit Interventionen in drei
Schausammlungen fort – die Teppiche sind um afrikanische Objekte
erweitert, das Barock auf Spuren des Kolonialismus überprüft. Doch
bleibt der Kommentar mit einem vom Kreuz genommenen Christus für
weitere Interpretationen offen. Das Archiv dieser Wiener Arbeit
spiegelt ein neues, nicht mehr kolonial getrenntes Welttheater wider,
jedoch geprägt vom Studium des Leids.
Ausstellung
Georges Adéagbo: Die
Kolonisation und die Geschichte der Kolonisierten Andreas Krištof (Kurator) Museum für angewandte Kunst bis 13. September
Printausgabe vom Dienstag, 14. April 2009
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