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Bastelbogen Karl-Marx-Allee

In Berlin lernte Vicente Blanco die Architektur der DDR lieben. Der spanische Maler bannte sie auf Leinwand - bevor sie verschwindet wie der Palast der Republik. Jetzt tourt er mit seinen Gemälden um die Welt

von Dirk Krampitz

Es ist schon etwas skurril, in einem gläsern-futuristischen Flugzeughangar am Rande von Salzburg einem galicischen Künstler gegenüberzustehen und auf seinen Bildern die Karl-Marx-Allee zu entdecken. Aber das Kunstgeschäft ist längst ein globales. Und so ist Vicente Blanco wie viele seiner Kollegen ein Reisender der Kunst. Sein Weg führte von Spanien nach Berlin, von Berlin nach Salzburg, wo seine Bilder im Moment zu sehen sind.

"Ich bekam ein Stipendium und wollte in eine andere Stadt gehen", erzählt der Spanier. "Also habe ich mich umgesehen. Als ich nach Berlin kam, spürte ich die Energie der Stadt und entschied zu bleiben."

So verließ er seine Heimat im Nordwesten Spaniens für Berlin. Die Mieten hier sind nun einmal günstig, die Lebenshaltungskosten auch. Ein Atelier bekam er in der Kunstfabrik am Flutgraben. Und so tauchte Blanco ein in das Leben der Stadt und ließ sich inspirieren. Obwohl er glaubt, daß es die Aufgabe eines Künstlers sei, seine Umgebung genau zu beobachten und darauf zu reagieren, hätte er nicht gedacht, welchen ungeheuren Einfluß die Stadt auf sein Werk haben würde.

Denn kaum war er hier, spürte er die Anziehungskraft, die die Gebäude des Sozialismus auf ihn ausüben. Blanco kann ausführlich schwärmen von den Hinterlassenschaften der DDR-Zeit. Dem Fernsehturm, dem Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park, dem Palast der Republik. Er ist begeistert von Berlin, wo - wenn vielleicht auch aus Trägheit und Geldmangel - alte Architektur Bestand hat. "In meiner Heimat Galicien wird alles, was nicht mehr paßt, abgerissen und durch Betonneubauten ersetzt", sagt er und seufzt.

"Galicien sei der Betonverbraucher Nummer eins", sagt Blanco. "Alles ist voll furchtbarer, sogenannter Luxus-Apartments."

Berlin hingegen bietet Blanco ideale Voraussetzungen für seine Recherchen über Gebäude mit Geschichte. "Ich interessiere mich für den Moment, wo alte Symbole einen anderen Nutzen bekommen: Das "Café Moskau", wo die kommunistische Elite es sich gutgehen ließ, ist nun eine Disko für Schwule und der Palast der Republik war Treffpunkt für Skateboarder. Die Gegensätze ziehen ihn an.

Für seine Bilder hat er sich vor allem das Kino International vorgenommen. Er taufte seine Berlin-Bilder-Serie "The Proll Thing" - eine ironische Hommage an den Bierflaschen- und Ausgewaschene-Jeans-Schick Berlins, der sich in den Bildern Blancos mit der sozialistischen Architektur der Karl-Marx-Allee paart. "Ich glaube, Berlin erlebt gerade einen sehr besonderen Moment. Die Stadt baut sich gerade ihre neue Identität auf, indem sie die kommunistische Vergangenheit an die neue Realität anpaßt." Für Blanco steht Berlin nun an seinem Scheidepunkt: "Was gerade mit dem Kaufhof passiert oder dem Palast der Republik, macht es zu einem entscheidenden Augenblick, wie die Zukunft von Berlin sein wird."

Sein Werk "The Proll Thing" besteht aus Videos und Bildern. Blanco arbeitet immer wieder mit unterschiedlichen Medien. Er nutzt Modell-Installationen genauso wie Filme, Bilder und Zeichnungen. Der Zuschauer sieht den Film, schaut auf die Bilder und das Ganze ergibt nicht den gewohnt geschlossenen Sinn.

Der Zuschauer muß die Wahrnehmungslücken dazwischen selbst ausfüllen. Die Bilder sind nur wie Momentaufnahmen der Wirklichkeit: Ein junger Mann im Hemd mit bunten Streifen in einem Lichtwirbel. Eine Lampe aus dem "Café Moskau", das Foyer des Kinos International. Eine Art Weltzeituhr auf dem Plattenbau.

Knapp ein halbes Jahr hat Vicente Blanco an dem Werk gearbeitet und hatte dabei mit ungewohnten Hürden zu kämpfen: Fotografieren ist im Foyer des Kinos International verboten. Nach einigen fruchtlosen Diskussionen wich er auf Postkarten als Vorlage aus. Dann machte er die Zeichnungen. Zuletzt fertigte er die Animationen am Computer. Herausgekommen ist eine Art Mischung aus Gemälde, Film, Manga und Fotografie. So wie er die Aspekte der verschiedenen Kunstformen kombiniert, so setzt er sich auch eine eigene Stadt zusammen. Er schneidet aus, fügt neu zusammen und verdichtet. Heraus kommen auf seltsame Weise genauso irritierende wie anziehende Bilder im Berlin-Mitte-Schick, die sich auch in jedem Loft gut machen würden.

Mit seiner verdichteten und auf verschiedene Medien aufgeteilten Realität hat er auch die Kuratorin der Ausstellung "HangART-7" in Salzburg gewonnen. Lioba Redekker, früher Österreichs Bundeskunstkuratorin und lange zuständig für Konzeption, Realisierung und Finanzierung von staatlichen Kunstprojekten, ist für den österreichischen Brause-Milliardär Dietrich Mateschitz durch die spanische Kunstszene gestreift. Dabei hat sie Vicente Blanco entdeckt. Bisher förderte Mateschitz, ein bekannter Flugzeugsammler, vor allem Motor- und Extremsport. Doch offenbar hat sich der Unternehmer neu orientiert und fördert nun junge Kunst, die er neben seinen Flugzeugen im Hangar ausstellt. So kommt es, daß Blancos Berlin-Bilder nun ausgerechnet in Salzburg hängen. Zuvor waren sie in diversen spanischen Städten auf Tour - und von Los Angeles bis Leverkusen. Nur in Berlin waren sie noch nicht zu sehen. Aber es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis Blanco einen passenden Raum gefunden hat. Er sucht bereits.

Artikel erschienen am 26. März 2006

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