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„Tagedieb“ am Wiener Graben

07.05.2010 | 18:35 |  (Die Presse)

Die Kölner Künstlerin Cosima von Bonin zeigt Wirtschaftskrise und Konsumrausch die lange Nase - Teil einer Serie temporärer Interventionen am Wiener Graben.

Der Standort ist ideal – an der Kreuzung der Luxusmeilen Kohlmarkt und Graben, genau vor der Zentrale eines österreichischen Bankinstituts. Da sitzt ein lässiger Kerl mit Kappe auf einem Schiedsrichterstuhl. Von seiner Pinocchio-Nase baumelt eine Spinne, als würde er schon Jahrzehnte hier hocken, nicht erst seit Freitag. Und wer sich ihm nähert, dem geht ein Licht auf – dann beginnt die Straßenlaterne dem „Tagedieb“ (und uns) heimzuleuchten.

So nennt die in Köln lebende renommierte Künstlerin Cosima von Bonin (*1961) ihre Skulptur. Die erste einer Serie temporärer Interventionen an diesem prominenten Innenstadtfleckerl, organisiert von der städtischen Organisation „Kunst im öffentlichen Raum“. Eingeladen wurde Bonin vom Wiener Künstler Matthias Herrmann, der gerade die Vieldeutigkeit der Arbeit schätzt. Und warnt, sie allzu ortsspezifisch zu deuten. Prinzipiell gehe es um ein Innehalten im Konsumrausch. Vor dem Bankenhintergrund sind belustigte Passantenkommentare allerdings aufgelegt.

Was aber soll die (nächtens) glühende Zigarette an der Rückseite des Hochstuhls? Hier wird es surrealistisch – oder persönlich: Einerseits denkt man an Magrittes berühmtes (Anti-)Bild „Das ist keine Pfeife“, das dazu auffordert, die Realität zu hinterfragen. Andererseits ist Bonin einfach schwere Raucherin. Gemeinsam mit dem Berliner Künstlerwirt Michel Würthle, einem Wiener, hat sie das Zigarettenlogo entwickelt. Wahrscheinlich bei einer Geteiltes-Leid-Zigarette vor der Paris-Bar. Wo heute ebenfalls ein solches Schild prangt. Und so eine subtile Rauchachse zwischen Berlin-Charlottenburg und Wien-Graben eröffnet. sp


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