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Kunstberichte
Das Ars Electronica Festival 2009 nimmt den Menschen ins Visier

Wohin die Welt steuert

Der Mensch als Nährboden: Levi van Veluw zeigt ihn in der Schau "Human Nature". Foto: Levi van Veluw

Der Mensch als Nährboden: Levi van Veluw zeigt ihn in der Schau "Human Nature". Foto: Levi van Veluw

Von Julia Urbanek

Aufzählung Roboter als Abbild, blutrote Blumen: Linz zeigt Spielarten der menschlichen Natur.
Aufzählung Das Festival läuft noch bis Dienstag.

Linz. Es wäre eine spannende Idee gewesen: Zwei Stunden lang sollte Donnerstagnacht in Linz die Beleuchtung abgedreht werden, um dann in der verdunkelten Stadt endlich einmal den Sternenhimmel zu sehen. Eine Armada an Teleskopen auf dem Hauptplatz sollte zum kollektiven Sternderlschauen einladen. Dicke Regenwolken machten diesem Auftaktprojekt der Ars Electronica 2009 allerdings einen Strich durch die Rechnung. Der Himmel blieb so dunkel wie der Linzer Hauptplatz.

Andere Veränderungen sind dieser Tage sehr wohl zu bemerken: Mit Festivalpässen und Laptop-Taschen behängte junge Menschen spazieren durch die Straßen, Kamerateams und Fotografen ziehen von einem Veranstaltungsort zum nächsten. Die Hotels sind ausgebucht, und vor den Ausstellungshäusern bilden sich Besuchertrauben. Das Ars Electronica Festival ist wieder in der Stadt und feiert – noch bis Dienstag – 30-Jahr-Jubiläum. Mit dem heurigen Motto "Human Nature" macht man Biotechnologie, Biokunst und den in die Natur eingreifenden Menschen zum Thema.

Der höfliche, etwas steife Professor, der im Ars Electronica Center (AEC) gerade einem Radioteam Fragen beantwortet, zieht die meisten Besucher an. Sein Name ist "Geminoid HN-1", er besteht aus Silikon und ist das detailgenaue Abbild seines Schöpfers Hiroshi Ishiguro von der Universität Osaka. Dieser forscht daran, einen Roboter zu kreieren, der nicht nur wie sein menschliches Vorbild aussieht, sondern sich auch so verhält.

Eine Reihe von Künstlern, ebenfalls aus Japan, widmet sich zwei Stockwerke höher nicht Frankenstein-Fantasien, sondern der "Device Art", einer jungen Kunstform, die Kunst, Design, Wissenschaft und Unterhaltung vereint. Hier wird gespielt und gestaunt – etwa bei "Touch the small world" von Hideyuki Ando, der auf einer vollkommen glatten Oberfläche Unebenheiten spürbar macht.

Eine Menschenblume

Die Erschaffung von Leben durch den Menschen spielt in der Ausstellung "Cyber Arts" im Offenen Kulturhaus (OK) eine starke Rolle: Der US-Künstler Eduardo Kac etwa kreierte eine transgene Petunie, ein Mischwesen aus Mensch und Pflanze, in der die DNS aus seinem Blut der Blüte rote Äderchen verleiht. In der Ausstellung sehen wir Fotos seiner Pflanze, die Einfuhr nach Österreich war wegen komplexer Genehmigungsverfahren nicht möglich. Shiho Fukuhara aus Japan und Georg Tremmel aus Österreich beschäftigen sich in ihrem Projekt "Common Flowers – Flowers Common" auch mit Gentechnik: Sie klonen im Do-it-yourself-Verfahren aus genmanipulierten violetten Nelken frische Pflanzen.

Sturm der Kügelchen

Bereits zum elften Mal vereint die Schau im OK die interessantesten und besten Einreichungen für den Prix Ars Electronica. Eduard Kac erhielt für sein Petunien-Projekt die Goldene Nica in der Kategorie Hybrid Art, in der Sparte Digital Musics ging sie an den US-Künstler Bill Fontana: Er dekonstruierte einen der berühmtesten Klänge der Welt, den Glockenschlag des Big Ben.

Der Preisträger in der Kategorie Interactive Art befördert den Besucher direkt in das Auge eines wilden Sturms: Lawrence Malstaf aus Belgien entwarf einen transparenten Zylinder, in dem kleine Styroporkugeln umhergeblasen werden. Wer inmitten des Sturms auf einem Sessel Platz nimmt, kann sich von der Installation und ihren hypnotisierenden Effekten berieseln lassen. 25 Projekte sind in der abwechslungsreichen Schau noch bis 4. Oktober zu sehen. Am gestrigen Freitagabend wurden die Preise der Ars Electronica, die Goldenen Nicas, im Brucknerhaus verliehen.

Das Brucknerhaus ist auch einer der Stützpunkte des Festivals: Im Foyer wird in die langjährige Geschichte der Ars Electronica geblickt, im Mittleren Saal sprechen bei den "Human Nature-Lectures" Künstler mit Forschern und Medientheoretikern, hier finden Symposien und "History Talks" statt. Am heutigen Samstag beherrscht das Symposium "Cloud Intelligence" das Brucknerhaus: Hier will man mit viel internationaler Beteiligung eine neue Weltkarte entwerfen, die zeigen soll, worauf unsere Erde zusteuert.

Klangwolke bringt Flut

Zur gleichen Zeit steuern heute fabelhafte Kreaturen und große Tiere auf die Donau zu. Die Klangwolke, die ab 21 Uhr stattfindet, steht unter dem Motto "Flut". Der Mythos der Sintflut wird den ganzen Tag von Menschen in Tierkostümen und Schrecken verkündenden Propheten heraufbeschworen, am Abend soll das Ufer zum "Schauplatz eines Dramas zwischen Untergang und Rettung" werden. Der "Visualisierten Klangwolke" folgt am nächsten Wochenende die "Klassische Klangwolke", mit der das Brucknerfest eröffnet wird.

http://www.aec.at/humannature

Printausgabe vom Samstag, 05. September 2009

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